Glaub ich nicht!

Weltbilder Wenn Forschungsergebnisse an den Überzeugungen der Leute rütteln, sind die Reaktionen erstaunlich. Im Zweifelsfall wird Wissenschaft überhaupt als Murks abgestempelt

Was machen die Menschen, wenn Sie mit wissenschaftlichen Beweisen konfrontiert werden, die ihr Weltbild infrage stellen? Sie versuchen sie zu ignorieren, den Gegner einzuschüchtern, sich freizukaufen, beklagen Verleumdung - oder diskutieren sie weg.

Das klassische Paper über die letztgenannte Strategie stammt von Lord, Ross und Lepper aus dem Jahr 1979: Die Forscher untersuchten zwei Gruppen von Leuten, die einen Befürworter der Todesstrafe, die anderen deren Gegner, und zeigten beiden Gruppen je eine wissenschaftliche Arbeit, die ihre Überzeugungen stützte, und eine, die ihren Ansichten widersprach – etwa, dass die Zahl der Mordfälle nach Abschaffung der Todesstrafe in einem Staat zu- oder abnahm.

Die Ergebnisse können Sie sich vorstellen. Jede Gruppe fand große methodische Mängel in den Arbeiten, deren Ergebnis der eigenen Ansicht widersprach. Dieselben Mängel ignorierten die Leute dann, wenn die Studie ihre Auffassung stützte.

Manche gehen noch viel weiter und erklären die Wissenschaft an sich für falsch, wenn sie mit unwillkommenen Ergebnissen konfrontiert werden. Politiker erklären voller Leidenschaft, dass die wissenschaftliche Methode überhaupt nicht in der Lage sei, die Wirksamkeit der Drogenpolitik zu bestimmen. Alternativmediziner behaupten, dass ihre Pille eine so spezielle Pille sei, dass man mit einer normalen Studie überhaupt nicht bestimmen könne, ob sie funktioniert.

Wie weit geht das alles? Geoffrey Munro hat 100 Studenten an einer Studie zur „Qualitätsbeurteilung wissenschaftlicher Arbeiten“ teilnehmen lassen, die jetzt im Journal of Applied Social Psychology erschienen ist. Im Vorfeld wurde erfasst, ob die Teilnehmer der Ansicht sind, dass ein Zusammenhang zwischen Homosexualität und psychischer Krankheit besteht. Dann wurden sie in zwei Gruppen eingeteilt. Die Studenten der ersten Gruppe bekamen fünf Studien zu lesen, deren Resultate ihre jeweilige Überzeugung bestätigten - zum Beispiel, dass Schwule häufiger eine Psychotherapie beanspruchen als die allgemeine Bevölkerung. Die andere Gruppe bekam Studien, die ihrem Standpunkt widersprachen. (All diese Studien waren gefaked. Die Studenten erfuhren das später auch und bekamen die Möglichkeit, echte Studien zum Thema einzusehen)

Wie zu erwarten war, glaubten die Studenten umso weniger an die Qualität der wissenschaftlichen Arbeiten, je deutlicher die Ergebnisse von ihren Überzeugungen abwichen. Die Forscher gingen aber noch weiter: Sie fragten die Studenten anschließend danach, ob Wissenschaft dazu in der Lage sei, Erkenntnisse über alles mögliche zu gewinnen das gar nichts mit Homosexualität zu tun hat. Über Hellseherei, Klapse auf den Po als Erziehungsmethode für Kleinkinder, die Auswirkung von Gewalt im Fernsehen auf gewalttätiges Verhalten, über die Präzision, mit der die Astrologie Charaktereigenschaften vorhersagt und über die seelische und körperliche Wirkung von Kräutermedizin.

Alle Antworten wurden in einer Punktzahl zusammengefasst die widerspiegelt, in welchem Ausmaß die Studenten Wissenschaft auf diesen Gebieten für gewinnbringend halten, und die Ergebnisse fielen wahrhaft beängstigend aus: Die Leute, deren Stereotypen über Homosexualität durch Forschung angegriffen wurden, hielten wissenschaftliche Studien auch auf allen anderen Gebieten häufig für nichtssagend.

Es sieht so aus, dass die Konfrontation mit unangenehmen wissenschaftlichen Wahrheiten die Leute dazu bringt, die Wissenschaft gleich grundsätzlich als Ganze infrage zu stellen – aus dem verzweifelten Versuch heraus, zumindest Teile ihres persönlichen Weltbildes zu retten. Das ist eine interessante Erkenntnis, aber ich bin nicht sicher, ob sie mich richtig glücklich macht.

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Übersetzung: Christine Käppeler
Geschrieben von

Ben Goldacre | The Guardian

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