Gleicher Maßstab für alle

Macht und Moral Der Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu fordert Tony Blair auf, für seine Rolle im Irakkrieg Verantwortung zu übernehmen
Geht es nach Desmond Tutu, sollen Tony Blair und George W. Bush für den Irakkrieg zur Verantwortung zu gezogen werden
Geht es nach Desmond Tutu, sollen Tony Blair und George W. Bush für den Irakkrieg zur Verantwortung zu gezogen werden

Foto: Rodger Bosch/AFP/Getty Images

Kein anderer Konflikt in der Geschichte hat die Welt so sehr destabilisiert und polarisiert wie der sich auf die Lüge vom irakischen Besitz an Massenvernichtungswaffen stützende anglo-amerikanische Einmarsch im Irak. Anstatt zu erkennen, dass die Welt, in der wir leben – mit ihren immer ausgefeilteren Kommunikations-, Transport- und Waffensystemen – einer klugen Führung bedarf, die die Welt näher zusammenbringt, haben die damaligen Regierungschefs der USA und Großbritanniens einen Vorwand erfunden, sich wie Spielplatz-Rabauken aufführen zu können und uns noch weiter auseinanderzutreiben. Sie haben uns an den Rand des Abgrunds getrieben, von dem aus wir nun auf die Gespenster Syrien und Iran blicken.

Wenn Regierungschefs lügen können, wer sollte dann die Wahrheit aussprechen? Tage bevor George W. Bush und Tony Blair den Einmarsch im Irak befahlen, rief ich im Weißen Haus an und sprach mit der damaligen Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice, um darauf zu drängen, den Waffeninspekteuren der UN möge mehr Zeit gegeben werden, die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak entweder zu bestätigen oder zu dementieren. Schließlich könne man mit der Unterstützung quasi der ganzen Welt rechnen, wenn es darum ginge, eine wirklich existente Bedrohung aus der Welt zu schaffen, argumentierte ich. Frau Rice aber hielt einen weiteren Aufschub für zu riskant – der Präsident werde dem nicht zustimmen.

Der Preis war gigantisch

Auf welcher Grundlage entscheiden wir, dass Robert Mugabe sich vor dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten sollte, Tony Blair auf der ganzen Welt als Redner auftritt, Bin Laden exekutiert wird und man in den Irak einmarschieren sollte – nicht, weil das Land Massenvernichtungswaffen besitzt, sondern um Saddam Hussein loszuwerden, wie Bushs wichtigster Unterstützer Blair in der vergangenen Woche eingeräumt hat?

Der Preis für die Entscheidung, den Irak von seinem zweifellos despotischen und mörderischen Führer zu befreien, war gigantisch, vor allem im Irak selbst. Noch im vergangenen Jahr starben dort dem "Iraq Body Count"-Projekt zufolge täglich im Durchschnitt 6,5 Menschen durch Selbstmordanschläge und Autobomben. Seit 2003 sind über 110.000 Iraker durch den Konflikt ums Leben gekommen und Millionen vertrieben worden. Bis zum Ende des vergangenen Jahres wurde fast 4.500 amerikanische Soldaten getötet und über 32.000 verletzt.

Auf dieser Grundlage allein schon sollten in einer Welt, in der alle nach dem gleichen Maßstab beurteilt werden, die Verantwortlichen für dieses Leid und den Verlust von Menschenleben den gleichen Weg beschreiten wie einige ihrer afrikanischen und asiatischen Kollegen, die sich in Den Haag zu verantworten hatten und haben.

Und auch jenseits der Schlachtfelder wurde großer Schaden angerichtet, in verhärteten Herzen und Köpfen rund um den Globus. Ist die Gefahr terroristischer Angriffe zurückgegangen? Wie weit ist es uns gelungen, mit dem Sähen von Verständnis und Hoffnung die sogenannte islamische Welt und die sogenannte jüdisch-christliche näher zusammenzubringen?

Niveau der Immoralität

Führung und Moral sind untrennbar miteinander verbunden. Gute Führer sind die Bewahrer der Moral. Die Frage ist nicht, ob Saddam Hussein gut oder böse war oder wie viele seiner Landsleute er massakrieren ließ. Der Punkt ist vielmehr, dass die Herren Bush und Blair sich nicht auf Husseins Niveau der Immoralität hätten herablassen dürfen.

Wenn es für einen Regierungschef akzeptabel ist, auf Grundlage einer Lüge drastische Maßnahmen zu ergreifen, ohne dies eingestehen oder sich entschuldigen zu müssen, wenn sie erwischt werden, was sollen wir dann unsere Kinder lehren?

Ich appelliere an Herrn Blair, nicht über Führerschaft zu sprechen, sondern sie zu demonstrieren. Sie sind ein Mitglied unserer Familie – der Familie Gottes. Sie sind zur Güte, Ehrlichkeit, Moral und Liebe erschaffen, wie Ihre Brüder und Schwestern im Irak, den USA, in Syrien, Israel und Iran.

Ich hielt es nicht für angemessen, das auf dem Discovery Invest Leadership Summit anzusprechen, der am 30. August in Johannesburg stattfand und an dem ich teilnehmen sollte. Je näher das Datum rückte, desto unwohler fühlte ich mich bei dem Gedanken, mit Tony Blair zusammen an einer Veranstaltung teilzunehmen, bei der es um „Führung“ geht und entschuldige mich aufrichtig und voller Demut bei den Veranstaltern, Sprechern und Deligierten des Treffens dafür, dass ich erst so spät abgesagt habe.

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Geschrieben von

Desmond Tutu | The Guardian

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