Jordan Cranes ungeheuer fesselnde und ungewöhnliche Graphic Novel Zwei bleiben liest sich zunächst wie eine Art Tagebuch. Erzählt wird aus dem mitunter schnöden Alltag eines Liebespaares, immer aus dem Gedankengebäude der beiden Figuren heraus. Seitenlang scheint nicht viel zu passieren, später passiert in manch einer Szene alles, könnte in einem Augenblick das Schlimmste eingetreten sein; vielleicht ein Autounfall. Die wilden Fantasien der beiden, wenn sie getrennt sind, führen am Ende zu einer Epiphanie, zu einem Gefühl der Dankbarkeit für den anderen, das versinnbildlicht wird durch überdimensional große Regentropfen.
Cranes Figuren haben keine Namen, sie sind ein normales Alltagspärchen aus der Vorstadt. Als wir sie zum ersten Mal treffen, sitzen sie zu Hause und streiten sich darüber, wer das Abendessen einkaufen geht und wer zurückbleibt, um sich um das schmutzige Geschirr zu kümmern. Am Ende geht sie, und während sie weg ist, steht er an der Spüle, seine Gedanken schweifen ab, ein düsterer Gedanke führt zum nächsten, und so weiter und so fort.
Er erinnert sich an einen Streit, den sie während einer Autofahrt hatten; er erinnert sich an ein gemeinsames Gespräch, in dem er darauf bestand, dass der Tod immer dreimal kommt; er sinniert über den unglaublich schlechten Plot eines Romans, den sie beide gelesen haben.
Im Laufe der Stunden verdichten sich die komplex miteinander verknüpften und irgendwie immer wieder den Tod streifenden Gedanken zu einer dringenden Sorge um seine Freundin. Er vermisst sie. Wo ist sie? Warum braucht sie so lange? Ist etwas passiert? Da er es nicht länger aushält, macht er sich auf den Weg, um sie zu suchen – eine Entscheidung, die schließlich zu den letzten, transzendenten Szenen des Buches führen wird.
Im Sog der strudelnden Gedanken
Jordan Crane, der mit seiner Familie in Los Angeles lebt, hat an seinem Buch Zwei bleiben über 20 Jahre lang gearbeitet. Entstanden ist keine einfache Erzählung, der Leser, die Leserin gerät selbst in strudelnde Gedanken. Der preisgekrönte Comic-Zeichner wechselt ständig zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Fantasie und Realität, und das mit einer Geschwindigkeit, die verwirrend ist.
Jede Seite, jedes Bild ist in ein helles Grün getaucht, das macht es manchmal schwer, die Emotionen der Figuren zu erkennen, und nach ein paar hundert Seiten ist die Farbgebung für das Auge auch ziemlich ermüdend. Es lohnt sich aber, Geduld zu haben, denn der kraftvolle Höhepunkt ist eng mit den frustrierenden Umwegen verbunden, die ihm vorausgehen – und steht in völligem Widerspruch zu ihnen.
Auch wenn es in manchen Szenen um Katastrophen, Trauer, Verlust geht, am Ende erleben wir Erleichterung und Glück. Denn die größere Botschaft hat mit der tiefen Verbundenheit mit einem anderen Menschen zu tun: wie sehr wir uns nach ihr sehnen und wie leicht wir sie doch als selbstverständlich ansehen.
Jordan Crane deutet an – ohne das je auf die Spitze zu treiben –, dass die Worte „bald“ und „eines Tages“ nicht nur schwammig, sondern töricht sind. Es geht um das Jetzt. Hier ist der Augenblick. Wenn Sie durch die Gegenwart schlafwandeln, werden Sie beim Aufwachen feststellen, dass Ihre sogenannte Zukunft schon längst Vergangenheit ist.
Zwei bleiben Jordan Crane Conny Lösch (Übers.), Suhrkamp 2022, 320 S., 26 €
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