Können Sie ihn sehen? Den Punkt, an dem unser Ökosystem in ein neues, für die meisten Lebensformen feindliches Gleichgewicht kippt? Ich kann ihn sehen. Die plötzliche Beschleunigung der Umweltkrisen, die wir in diesem Jahr erlebt haben, gepaart mit der Tatenlosigkeit mächtiger Regierungen, treibt uns auf den Punkt zu, an dem es kein Zurück mehr gibt. Als vor 252 Millionen Jahren in der sogenannten Perm-Trias-Krise die Temperaturen auf dem Planeten sprunghaft anstiegen, die globale Wasserzirkulation mehr oder weniger zum Erliegen kam, der Boden erodierte, Wüsten sich über weite Teile der Erdoberfläche ausbreiteten und die Ozeane versauerten, wurden 90 Prozent aller Arten ausgelöscht.
Mit anderen Worten: Die Systeme der Erde kippten in einen Zustand, der sie für die meisten damaligen Arten unbewohnbar machte. Wenn wir nichts tun, droht uns das gleiche Schicksal.
Eine in diesem Jahr veröffentlichte Studie geht davon aus, dass der vollständige Verlust des spätsommerlichen Meereises in der Arktis bereits in den 2030er Jahren eintreten könnte. Dies dürfte durch die Abschwächung des Jetstreams noch mehr extreme Wetterereignisse in der nördlichen Hemisphäre auslösen. Das Schmelzen wiederum scheint die Zirkulation der Strömungen im Südpolarmeer zu beeinträchtigen, die sich seit den 1990er Jahren um etwa 30 Prozent verlangsamt hat. Auch die riesigen Kohlenstoffsenken in den tropischen Feucht- und Permafrosttorfgebieten in der Arktis scheinen sich einem Kipppunkt zu nähern: Schlagartige Anstiege von Methan, Kohlendioxid und Distickstoffoxid in der Atmosphäre lassen darauf schließen. Die Folgen sind schon spürbar.
Welches Ereignis zu einer Erderwärmung von acht Grad führen könnte
Der Juli dieses Jahres war der wärmste jemals aufgezeichnete Monat. Der September brach den bisherigen Rekord um ganze 0,5 Grad! Eine im vergangenen Jahr veröffentlichte Studie erklärt, wie dieser Klimakollaps einen gesellschaftlichen Kollaps auslösen könnte. So wird in weniger als 50 Jahren ein Drittel der Weltbevölkerung in Regionen leben, die so heiß sind wie die heißesten Teile der Sahara heutzutage. Viele dieser Regionen sind bereits jetzt politisch sehr instabil. Doch es gibt noch schlimmere Nachrichten.
Eine mögliche Folge des Anstiegs der CO₂-Konzentration in der Atmosphäre ist der Verlust der „Stratocumuluswolken“ – bisher reflektieren diese bis zu 60 Prozent des kurzwelligen Sonnenlichts zurück ins All. Wenn sie verschwinden, könnte dies zu einer zusätzlichen Erwärmung der Erdoberfläche um etwa acht Grad führen. Aus einer kürzlich veröffentlichten Studie geht hervor, dass die Population von 48 Prozent der weltweiten Arten sinkt. Es könnten also weit mehr wildlebende Tiere und Pflanzen vom Aussterben bedroht sein als bisher angenommen.
Wenn der Artenschwund ein Symptom für den Zusammenbruch des Ökosystems ist: Könnten dann nicht auch die Tage unserer Spezies gezählt sein? Doch anstatt sich der größten Krise zu stellen, mit der die Menschheit je konfrontiert war, rasen unsere Regierungen auf den Abgrund zu. Ein gutes Beispiel: Rishi Sunak.
Rishi Sunak will mehr Lizenzen für die Förderung von Öl und Gas in der Nordsee vergeben
Die konservative Regierung des britischen Premiers beschleunigt die Vergabe von Lizenzen zur Förderung von Öl und Gas in der Nordsee, jedes Jahr sollen Vergabe-Runden für neue Projekte stattfinden. So will es ein Gesetz, das am 7. November während der „King’s Speech“ im Parlament vorgestellt wurde. Bereits im Oktober hatte die zuständige Behörde North Sea Transition Authority (NSTA) 27 Lizenzen vergeben.
Hat denn niemand in Sunaks Stab die neue Studie in Nature Climate Change gelesen? Der zufolge wird das verbleibende Kohlenstoffbudget (die Menge CO₂, die der Mensch noch ausstoßen kann, um eine 50-prozentige Chance zu wahren, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen)in sechs Jahren erschöpft sein. Nur wenn die fossilen Brennstoffe im Boden gelassen werden, wird das Überschreiten dieser Temperaturschwelle wohl verhindert.
Jede Stunde ist jetzt ein „Wenn wir doch nur!“-Moment, der eine Chance bietet, den Kollaps unseres Erdsystems zu vermeiden. Und so düster unsere Zeit auch sein mag: Künftige Generationen werden auf sie als ein goldenes Zeitalter zurückblicken. Ein goldenes Zeitalter der wilden Tiere, des milden Wetters, der Stabilität, des Wohlstands, der Möglichkeiten zum Handeln. Unsere Lebenswelt ist ein grauer Schatten dessen, was sie einmal war – ja. Aber sie ist ein lebendiges Paradies im Vergleich zu dem, was sie einmal sein wird. Es sei denn …
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