Grün statt Geld

EU Europa war zu lange auf Märkte und Wirtschaft fixiert. Das rächt sie derzeit in Griechenland, aber auch anderswo. Noch aber ist eine Umkehr möglich

Die Welt braucht so etwas wie die Europäische Union. Sie braucht einen Akteur auf der internationalen Bühne, der bereit und in der Lage ist, beim Klimawandel die Initiative zu ergreifen. Sie braucht ein wirtschaftlich potentes Staatswesen, das auf neue weltweite Regelungen der Finanzmärkte drängt. Und sie braucht politische Führer, die in der Lage sind, Alternativen zum Krieg gegen den Terror zu formulieren und umzusetzen.
Von der real existierenden EU war bei den Klimaverhandlungen in Kopenhagen allerdings nichts zu sehen. Ihre finanzpolitische Hauptsorge gilt der Frage, wie sie die Wirtschaftskrise am besten überstehen und zugleich ihre rigide Fiskal- und Geldpolitik aufrechterhalten kann. Sie scheint in keiner Weise fähig, den Menschen zu helfen, die existentiell unter den Folgen des Wirtschaftseinbruchs zu leiden haben – weder in den PIIGS-Staaten Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien, geschweige denn jenseits der eigenen Grenzen. Sie ist zögerlich und gespalten, was die Entwicklung einer gemeinsamen Sicherheitspolitik anbelangt. Dies gilt besonders dann, wenn es darum geht, in einzelnen Punkten von Vorstellungen der Amerikaner abzurücken.
Die mit dem Lissabon-Vertrag dekretierten Reformen sollten Europa ein geschlosseneres Handeln ermöglichen. Stattdessen hat es die Zahl der ohnmächtiger Kapazitäten nur noch vergrößert. Wir haben jetzt einen Ratspräsidenten, eine spanische Präsidentschaft, eine EU-Außenministerin, einen Kommissionspräsidenten – nicht zu vergessen Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Sarkozy. Das zugrunde liegende Problem ist indes nicht das Fehlen angemessener Strukturen, auch wenn demokratischere Strukturen gewiss hilfreich wären. Es besteht vielmehr in der Schwäche beziehungsweise dem schieren Nichtvorhandensein von Unterstützung durch die Bevölkerung. Die geringe Wahlbeteiligung 2009 bei den Europawahlen war hierfür ein deutlicher Beleg.

Historische Mission

Von Anbeginn an war die EU ein Friedensprojekt. Sie wurde nach dem Inferno zwischen 1939 und 1945 ursprünglich geschaffen, um jeden weiteren Krieg auf europäischem Boden zu verhindern. Später sollte die EU eine Trennung des Kontinents überwinden helfen, wie sie durch den Kalten Krieg entstanden war. Die Integration neuer osteuropäischer Mitgliedsstaaten war dann auch eine der großen Leistungen seit 1990.
Die dabei praktizierte Methode bestand allerdings darin, Europa durch eine von der politischen Elite beschlossene, kaum öffentlich diskutierte Einigung zusammenzuhalten. In den vergangenen Jahrzehnten waren jedoch die dazu unternommenen Schritte fast ausschließlich marktorientiert. Besonders der Maastricht-Vertrag, der bald nach dem Ende des Ostblocks unterzeichnet wurde und die Grundlagen für eine europäische Einheitswährung schuf, war letztlich ein Kompromiss zwischen dem Neoliberalismus Margret Thatchers und der Vision des damaligen EU-Kommissionspräsidenten Jaques Delors, der an gemeinsame europäische Normen, Werte und eine europäische Identität glaubte.

Das Ergebnis waren „Konvergenzkriterien“ – das europäische Pendant zu Strukturanpassungsmaßnahmen –, in denen die Höhe der nationalen Haushaltsverschuldung festgelegt und einer stärkeren Umverteilung auf europäischer Ebene eine Absage erteilt wurde. Die neuen vornehmlich osteuropäischen Mitgliedsstaaten traten demzufolge zu wesentlich ungünstigeren Bedingungen bei als die älteren.

EU-weite Steuern

Weil anscheinend keine Politik stattfindet, wird die EU lediglich als eine weitere Regulierungsbehörde wahrgenommen. Der jüngeren Generation, die weder die Weltkriege noch den Kalten Krieg miterlebt hat, erscheint die EU nicht als Friedensprojekt, sondern lediglich als neoliberale Bürokratie. Dies ist der Grund, weshalb viele Linke und Grüne in Frankreich, den Niederlanden und Irland mit den xenophoben Rechten zusammen gegen den Lissabon-Vertrag gestimmt haben.

Es muss gelingen, die Menschen wieder stärker für die EU zu begeistern und die öffentliche Unterstützung für das Projekt wieder wachsen zu lassen. Hierfür bedarf es neuer, demokratischerer Strukturen. Zum Beispiel sollte es einen gewählten Präsidenten geben. Eine Reihe gemeinsamer EU-weiter Steuern wäre ein weiterer wichtiger Schritt. Sie würden es dem Europa der 27 erlauben, einen gewissen Grad an Autonomie zu entwickeln. CO2-Steuern wären hier eine Möglichkeit, Steuern auf Spekulationsgewinne (Tobin-Steuer) auch. So etwas lässt sich allein durch politischen Druck erreichen. Und das wiederum bedeutet, dass sich die EU als Friedens- und Umweltprojekt neu definieren muss, anstatt weiter auf dem marktradikalen Weg voranzuschreiten.

Übersetzung: Holger Hutt

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Mary Kaldor | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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