Gute Folter, schlechte Folter

Syrien/USA Jahrelang ließen die USA in Syrien Terrorverdächtige foltern. Die Entrüstung über Assad, die jetzt aus Washington kommt, bezeugt die übliche westliche Doppelmoral

Seit Wochen überschlagen sich US-Regierungsvertreter dabei, die Brutalität des Regimes von Baschar al-Assad gegen die demonstrierende Bevölkerung zu verurteilen. Barack Obama sprach von einem „ungeheuerlichen Blutvergießen“ und forderte Assad zum Rücktritt auf. Hillary Clinton bezeichnete ihn als „Tyrannen“, und Elliot Abrams schließlich, Nationaler Sicherheitsberater in der Ära George W Bush, erklärte Syrien zum „bösartigen Feind“.

Was mag sich Maher Arar bei diesen Kommentaren denken? Der in Syrien geborene Telekommunikationsingenieur wanderte 1987 als Teenager nach Kanada aus und erhielt 1991 die kanadische Staatsbürgerschaft. Am 26. September 2002 wurde er bei der Zwischenlandung auf dem Heimweg von einem Familienurlaub auf dem New Yorker John F. Kennedy-Airport verhaftet. Aufgrund falscher Informationen der kanadischen Polizei verdächtigte man ihn, Verbindungen zu al-Qaida zu unterhalten. Er wurde 13 Tage lang festgehalten und verhört, danach aber nicht an die Behörden seines Heimatlandes Kanada überstellt, sondern nach Syrien abgeschoben, von wo seine Familie 15 Jahre zuvor geflohen war.

Die gleichen Fragen

Während der folgenden zehn Monate wurde er ohne Anklage in einer nicht einmal zwei Quadratmeter großen Zelle festgehalten und gefoltert. Arar sagt, er sei während der mehrstündigen Verhöre getreten und mit einem Elektrokabel geschlagen worden. Eine kanadische Untersuchungskommission bestätigte seine Angaben. Die Regierung in Ottawa, die sich für die Freilassung Arars eingesetzt hatte, entschädigte ihn zwischenzeitlich mit 10,5 Millionen kanadischen Dollars. Und Premier Stephen Harper entschuldigte sich förmlich für die Mitverantwortung an dieser Tortur.

Um so mehr stellt sich die Frage, warum die USA überhaupt jemanden an ein „bösartiges“ und „feindliches“ Land ausgeliefert haben, das von einem „Tyrannen“ regiert wird. Hatte dies damit zu tun, dass etwa Kanada nicht foltern durfte, und Arar deshalb nach Syrien geschickt wurde? Menschenrechtsgruppen sind schon lange der Auffassung, das eigentliche Ziel so genannter außergewöhnlicher Auslieferungen bestehe darin, Terrorverdächtige aggressiven Verhörmethoden auszusetzen, die in den USA laut Gesetz illegal sind.

Die US-Behörden können nicht so tun, als hätten sie nichts von den Verhältnissen in Damaskus gewusst. Sie hatten jeden Grund zu der Annahme, dass die Syrer Arar misshandeln würden. Sechs Monate zuvor, im März 2002, war im Menschenrechtsbericht des State Departement zu Syrien von immer wiederkehrenden Fällen der Folter die Rede. Arar behauptet, seine syrischen Folterer seien von der US-Regierung instruiert worden. Man habe ihm in Damaskus genau die gleichen Fragen gestellt wie zuvor in New York.

Sehr angetan

Nach seiner Entlassung im Jahr 2003 wurde Arar sowohl von Syrien als auch durch Kanada öffentlich vom Vorwurf der Verbindungen zu Al-Qaida freigesprochen. Die US-Regierung – zuerst unter Bush und heute unter Obama – weigert sich bis heute, über die Sache zu sprechen, geschweige denn, sich zu entschuldigen. Doch der geschilderte Fall war keine Ausnahme. Jane Mayer vom Magazin New Yorker hat während der vergangenen zehn Jahre viel Zeit auf das verwendet, was sie die „dunkle Seite des Krieges gegen den Terror“ nennt. Ihr zufolge stellt Syrien eines der häufigsten Abschiebeziele bei außergewöhnlichen Auslieferungen dar, oder – wie ein ehemaliger CIA-Agent 2004 sagte: „Wenn man ein ernsthaftes Verhör möchte, schickt man einen Gefangenen nach Jordanien. Wenn man will, dass er gefoltert wird, schickt man ihn nach Syrien.“

Der in Syrien geborene deutsche Staatsbürger Mohammed Hajdar Zammar wurde wegen des Verdachts, als Anwerber für al-Qaida zu arbeiten, im Oktober 2001 in Marokko verhaftet, von der CIA an Syrien ausgeliefert und im berüchtigten Far'Falastin-Gefängnis in Isolationshaft gehalten. „US-Beamte in Damaskus händigen den Syrern in schriftlicher Form ihre Fragen aus und die übermitteln den Amerikanern dann Zammars Antworten“, schrieb das Magazin Time im Juli 2002. „Im State Departement ist man von diesem Arrangement sehr angetan. So hat die US-Regierung offiziell nichts mit der Folter zu tun, die die Syrer an Zammar verüben könnten.“

Die Beweise sind erdrückend: In den Jahren und Monaten nach dem 11. September 2001 haben die USA eng mit Syrien kooperiert. Damaskus wurde zu einem Verbündeten im Kampf gegen den Terror und häufiges Ziel für „außergewöhnliche Auslieferungen“. Syrische Folterer und amerikanische Vernehmungsoffiziere arbeiteten Hand in Hand.

Heutzutage verdammen US-Politiker aller politischer Couleur das syrische Regime für seine Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Vor zwei Wochen veröffentlichten Senatoren von Demokraten und Republikanern eine Erklärung, in der sie Assad für „schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen“ und „die Anwendung von Folter“ verurteilten. Wer kann da noch behaupten, Amerikaner seien nicht zur Ironie fähig? Arar steht hingegen immer noch auf der Flugverbotsliste der USA.

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Mehdi Hasan | The Guardian

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