Kunst im Bau Ein Gruppe von Kreativen kämpft in London darum, leer stehende Gebäude Künstlern zur Verfügung zu stellen. Mit moderner PR, Business-Plänen und einigem Erfolg
Zunächst ist es Dan Simon ein Anliegen, Sie wissen zu lassen, dass er kein Hausbesetzer ist. Der 31-jährige, ein lässig-elganter Typ, gibt jedoch gerne zu, dass sein aktuelles Zuhause ein gigantisches, neunstöckiges Gebäude in Londons exklusivstem Stadtteil ist, das er und sein halbes Dutzend Mitbewohner am 6. Dezember in Beschlag genommen haben, ohne den Eigentümer um Erlaubnis zu bitten oder ihn überhaupt darüber in Kenntnis zu setzen. Der Eigentümer ist eine Briefkastenfirma namens Greencap IV Limited, die den Gerüchten nach dem Prinz von Brunei gehört. Trotzdem bestehen sie darauf, dass sie keine Hausbesetzer sind. Sie nutzen den gigantischen freien Raum, um ein „Kunsthaus“ zu betrieben - einen unabhängigen Kulturv
Kulturverein, der sich „The Oubliette“ (das französische Wort für „Verlies“) nennt und unabhängig von privaten und öffentlichen Geldern die Künste unterstützen will.Anders als die meisten Hausbesetzer, die tendenziell eher chaotisch und anarchisch sind, wird „The Oubliette“ beinahe nach Unternehmensmaßstäben geführt. Es gibt sogar eine Art Business-Plan, für den sie unter den reichen Immobilienmagnaten der Stadt werben wollen. Das Ziel? Die Reichen davon zu überzeugen, deren leerstehende Immobilien den Oubliettes für Ausstellungen, Konzerte und Theateraufführungen leihweise zur Verfügung zu stellen. „Wir bieten außerordentlich reichen Menschen eine Möglichkeit, Kultur zu fördern, ohne viel investieren zu müssen,“ erläutert Simon.Die Gruppe weiß, wie man PR macht und lud kurz vor Weihnachten in ihrer geräumigen neuen Residenz in der Curzon Street 61 in Mayfair zu einer offenen Benefizveranstaltung. Das Gebäude war einst die Zentrale des Verlags Reader’s Digest. Von ihren Fenstern aus blickt man auf Marco Pierre Whites Szenelokal Mirabelle und das ehemalige Hauptquartier des britischen Geheimdienstes MI5 im Thames House. Zwölf Jahre lang stand das Gebäude leer.Beim Katasteramt ist der 1997 zuletzt gezahlte Verkaufspreis, der zuletzt 1997 nicht registriert, aber es ist mit Sicherheit einige Millionen Pfund wert und befindet sich trotz der langjährigen Vernachlässigung in einem guten Zustand. Es ist die fünfte auffällige Residenz, die The Oubliettes in diesem Jahr in London bezogen haben. Im vergangenen Monat wurden sie aus einem Gebäude vertrieben, von dem man alle Kinos am Leicester Square überblicken konnte und im September besetzten sie zwei ehemalige Botschaftsgebäude in der Nähe des Green Park.Um die Quadratmeterzahl ihres jüngsten Fangs kann sie jedes Kulturzentrum im Land nur beneiden. Er ist so groß, dass bei der Benefiz-Veranstaltung, für die sie mit der Obdachlosen-Organisation The Connection der Gemeinde St. Martin-in-the-Fields zusammengearbeitet haben, nur ein Teil der Räume im Erdgeschoss und im ersten Stock verwendet wurde. Sie zeigten Werke von obdachlosen Künstlern und von Philip Firsov aus den Reihen der Oubliette-Künstler. Klassische Ensembles untermalten die Ausstellung mit kleinen Konzerten in den verschiedenen Räumen. Die Veranstaltung war eine der vielen ungewöhnlichen Kollaborationen, mit denen die Oubliettes versuchen, ihren Ansatz, Hausbesetzungen als eine Möglichkeit, Kunst ohne Unterstützung des Steuerzahlers auszustellen, zu legitimieren. Gleichzeitig wollen sie sich damit von chaotischeren, weniger organisierten Hausbesetzern absetzen.Sie hoffen, dass der mysteriöse Eigentümer Greencap, der das Gebäude 1997 zu einem unbekannten Preis erworben hat und es dann leerstehen ließ, ihnen das Gebäude zur Verwaltung überlässt. Simon gibt zu, dass dies unwahrscheinlich ist, er habe aber noch keine Räumungsklage erhalten. Die Londoner Kanzlei Boodle Hatfield, die im Katasteramt als Greencaps britische Repräsentanz eingetragen ist, sagte, sie könne keinerlei Auskünfte bezüglich ihres Klienten geben.Gegenwärtig bereitet die Gruppe eine Powerpoint-Präsentation vor, die private und öffentliche Eigentümer davon überzeugen soll, Oubliette ihre Räume als Plattformen für die Künste zur Verfügung zu stellen. In einem Entwurf wird versucht, Hausbesetzungen als Mittel darzustellen, das kostenlos die Sicherheit des Gebäudes gewährleistet, es vor Wertverlust durch Verfall bewahrt und gleichzeitig der Allgemeinheit einen Mehrwert bietet. So koste ein 24-stündiger Wachschutz 7.500 Pfund pro Sicherheitskaft pro Jahr und ein nicht genutztes Gebäude könne „einen Wertverlust von 18 Prozent gegenüber Gebäuden in der Nachbarschaft erleiden“. Oubliette verspricht darüber hinaus, den Zustand leerstehender Gebäude nicht nur zu erhalten, sondern sogar zu verbessern. „Zu unserm engagierten Team gehören Fachkräfte für Elektrizität, Sanitär und Bauwesen“, heißt es und man verspricht, das Gebäude dem Eigentümer innerhalb einer Frist von 28 Tagen wieder besenrein und intakt zurückzugeben, nachdem dieser den Wunsch hierfür schriftlich angemeldet hat.Der harte Kern der Gruppe, der im Gebäude lebt, besteht aus acht Leuten. Sieben sind jeweils für einen Bereich, wie etwa IT, PR, Graphikdesign, Rechtsberatung oder Copyright zuständig, dazu kommt ein Artist in Residence. Simon zufolge, der bis 2002 als IT-Arbeiter in Chelsea gelebt hat, haben sie große Pläne: „Unser langfristiges strategisches Ziel besteht darin, dass der Eigentümer einer geeigneten Immobilie uns sein Objekt zur langfristigen Nutzung zur Verfügung stellt. Die Inbeschlagnahme hochpreisiger Locations ermöglicht uns, das Bewusstsein in der Öffentlichkeit zu erhöhen, Unterstützer zu finden, und unser Projekt gleichzeitig organisatorisch weiter voranzubringen.“Er ist sehr zuversichtlich und behauptet, in den vergangenen sieben Jahren bereits acht Objekte auf diese Weise erfolgreich übernommen zu haben. Zusammen mit der Theatergruppe Donkey Work habe man bereits einen erfolgreichen Beitrag zum Londoner Kulturleben geleistet. Die Gruppe hatte im Juni im ersten von Oubliette besetzten Gebäude in Waterloo ein Theaterstück aufgeführt, das sehr gut angenommen wurde. Der Erfolg des Stückes brachte ihnen eine Einladung für die Arbeit an einem neuen Stück in Verbindung mit der South Bank ein.Simon gibt zu, dass der durchorganisierte Ansatz von Oubliette in der traditionellen Besetzerszene nicht besonders gut angekommen ist. „Für manche Leute bedeutet dies eine Art von Ketzerei“, sagt er, dreht sich eine Zigarette und macht sich wieder an die Arbeit an seinem Exopsé.
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