Held und Sündenbock

Euro-Krise Der Premierminister David Cameron hat mit dem Nein zur EU-Vertragsreform innenpolitisch gepunktet. Aber der Preis ist hoch: Das Land verliert seinen Einfluss in der EU

Der britische Premierminister David Cameron hat seine konservative Partei durch sein Veto gegen die Umgestaltung der EU-Verträge erfreut und geeint, weite Teile der britische Presse werden ihn als siegreichen Helden feiern. Er riskiert aber auch, zum Sündenbock zu werden, sollte der Euro tatsächlich zusammenbrechen. Seine Entscheidung hat enorme diplomatische Konsequenzen und wird wohl zu einer weiteren Umgestaltung der Beziehungen Großbritanniens zur Europäischen Union führen.

Großbritannien hat einen Verbündeten in Ungarn gefunden. Es sind aber gleichzeitig auch 50 Jahre diplomatischer Bemühungen zunichte gemacht worden, ein französisch-deutsch dominiertes Europa zu verhindern. Von nun an wird Großbritannien nicht mehr an wichtigen, den EU-Binnenmarkt betreffenden Entscheidungen beteiligt

Ebenso mag die City of London nun jubeln, Cameron habe die Interessen des Finanzplatzes London geschützt. Doch wird auch dort die Stimmung umschlagen, wenn das Scheitern einer Übereinkunft zwischen den 27 EU-Mitgliedern das internationale Bankensystem weiter belasten sollte, Rechtsstreitigkeiten innerhalb der EU auslöst und letztlich zu einer europäischen Rezession führen würde.

Die EU-Spitzen werden sagen, Cameron habe sich in Zeiten der Not von ihnen abgewendet.

Koalition im Europasturm

Unverzüglich werden nun Fragen nach der Stabilität der britischen Regierungskoalition zwischen Konservativen und Liberaldemokraten laut werden. LibDem-Chef und Vizepremier Nick Clegg kann nicht gehofft haben, dass Großbritannien in einer Koalition mit Ungarn und eventuell Schweden und der Tschechischen Republik landen würde. Er hat in der zurückliegenden Woche die Telefone heiß laufen lassen und mit bis zu zehn europäischen Staatschefs gesprochen und versucht, Allianzen zu schmieden und einen Bruch zu verhindern. Ebenso wenig kann es dem ehemalige EU-Parlamentarier behagt haben, dass konservative Hardliner nun ein Europa preisen, in dem die Beziehungen Großbritanniens zu Europa mit denen der Schweiz verglichen werden.

Es ist bekannt, dass Wirtschaftsminister Vince Cable und Energieminister Chris Huhne nicht gerade scharf darauf waren, dass Großbritannien seine Rolle in Europa für die Verteidigung einer deregulierten City of London opfert, welche immerhin zu den Hauptverantwortlichen für die Kreditkrise zählt. Cameron hat darauf bestanden, dass die City von einer Reihe künftiger, wie bereits geltender EU-Direktiven ausgenommen werden sollte. Die beiden Liberaldemokraten Cable und Huhne hingegen haben in langen Reden eine Neuausrichtung der britischen Wirtschaft gefordert, um diese weniger abhängig von den Bankern der City zu machen.

Bislang sieht es so aus, als würde Vize-Regierungschef Clegg sich hinter die Verhandlungsstrategie des Premierministers stellen. Der konservative Außenminister William Hague betonte, Clegg sei die ganze Nacht hindurch immer wieder konsultiert worden und hätte der britischen Verhandlungshaltung im Voraus zugestimmt. Und auch der ehemalige Chef der Liberaldemokraten und entschiedene Pro-Europäer Menzies Campell hat verkündet, Cameron hätte keine andere Option, als Widerstand gegen die Forderungen von Frankreichs Präsidenten Nicolas Sarkozys zu leisten, die Londoner City verschärfter EU-Kontrollen zu unterstellen. Es sieht so aus, als würde die Koalition diesen Europasturm überstehen.

Camerons eigene Position wird davon abhängen, ob es ihm gelingt, seine Kritiker davon zu überzeugen, dass die britische Finanzbranche es wert war, für ihren Schutz den britischen Einfluss in der EU zu opfern.

Freude bei den Bankern

Dem Thinktank Open Europe zufolge lässt sich einer vom Meinungsforschungsinstitut ComRes durchgeführten Umfrage unter Finanzdienstleistungsmanagern entnehmen, dass in der City große Unterstützung für Camerons Veto herrscht.

Wenn Cameron vor dem britischen Unterhaus demnächst seine Stellungnahme zu dem Gipfel abgibt, wird er von den Europaskeptikern frenetisch bejubelt werden – einige werden aber auch mehr verlangen. Innerhalb weniger Jahre werden sie ein Referendum über einen kompletten Ausstieg Großbritanniens aus der EU verlangen. Sollten die konservativen Euroskeptiker sich nicht sicher gewesen sein, ob Cameron wirklich einer von ihnen ist – sie haben nun die Antwort erhalten.

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Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Patrick Wintour | The Guardian

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