Hoffnung liegt in der Luft

USA Barack Obama ist nun der erste schwarze Präsident der Vereinigten Staaten. Für den Bürgerrechtler Jesse Jackson ist das aber nur ein Etappensieg

Barack Obamas Amtseinführung als erster schwarzer Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ist ein prachtvoller Augenblick in dem Jahrzehnte langen Kampf für Bürgerrechte, in Amerika und der Welt. Für so viele steht Barack für Hoffnung gegen Zynismus. Die Erwartungen, dass er uns erfolgreich aus Krieg und globaler Wirtschaftskrise herausführt, sind hoch. Die Leute trauen ihm zu, die demokratischen Werte Amerikas wiederzubeleben. Eine neue Zeit bricht an.

Barack steht auf den Schultern vieler berühmter Leute: Mahatma Gandhi, Martin Luther King und Nelson Mandela – aber auch auf den Schultern der Millionen namen- und gesichtsloser Menschen, die seinen Sieg erst möglich gemacht haben. Von kenianischen Dörfern bis zu Wohnvierteln von Kansas.

Sein Sieg spiegelt die Zeit wieder und inspiriert sie zugleich. In Baracks Wahl kommt die Idee einer großen, multiethnischen Bewegung zum Ausdruck, die daran glaubt, dass wir zusammen schaffen können, was uns einzeln nicht gelingt. Die Zahlen sind erstaunlich. Am vierten November des vergangenen Jahres umfasste diese Koalition 95% der afroamerikanischen Wähler, zwei Drittel der lateinamerikanischen und der jungen Wähler. Barack gewann große Mehrheiten unter asiatischen Amerikanern, Native Americans sowie unter jüdischen und arabischen Wählern. Er konnte große Zuwächse bei Gewerkschaftern, schwulen und lesbischen Wählern und Wählerinnen, allein stehenden Frauen und „nichtreligiösen“ Wählern erzielen.


Dieser Sieg musste Jahrzehnte lang vorbereitet werden. Er hätte in einem früheren Amerika nicht stattfinden können, ganz bestimmt nicht vor 1954, als die Mauer der legalen Rassentrennung uns voneinander trennte, uns in Unwissenheit hielt und verängstigte. Denken Sie an die schwarzen Veteranen, die aus dem Zweiten Weltkrieg nachhause kamen und ihre Gleichstellung innerhalb der Armee forderten. Oder die Verhandlungen zur Rassentrennung an öffentlichen Schulen von 1954, die schließlich zur Überwindung jahrhundertelanger legaler Segregation führten. Oder denken Sie an Rosa Parks, die sich 1955 weigerte, in den hinteren, den Schwarzen zugewiesenen Teil des Busses zu gehen. Oder daran, wie King erschien, um den Montgomery Bus-Boykott zu anzuführen. Oder die Little Rock Nine, die 1957 die Rassentrennung an Schulen durchbrachen. Oder denken Sie daran, wie Martin Luther King in Washington DC Millionen auf die Straße brachte, um Arbeit und Gesundheitsversorgung für alle zu fordern. Das führte schließlich zur Verabschiedung des Civil Right Act. Oder der Voting Rights Act von 1965. Auch meine Wahlkämpfe mit der Regenbogen-Koalition in den Jahren 1984 und 1988 waren Glieder in dieser nie abbrechenden Kette. Hände, die einst Baumwolle pflückten, wählen nun den Präsidenten. Es ist ein neues Zeitalter für Amerika.

Die USA werden erwachsen, sie verändern sich zum Guten hin, indem wir versuchen, unsere höchsten Ideale von Gleichheit, Freiheit und Demokratie zu verwirklichen. Alte Mauern der Trennung, Teilung und Ignoranz werden durch Brücken ersetzt, die auf die Hoffnung und die Einigkeit darüber gebaut sind, dass die Menschen zusammen mehr erreichen können. In diesem Sinne ist Baracks Sieg ein wirklich erlösender Augenblick.


Amerikas Seele retten
Martin Luther King hätte Baracks Sieg gefeiert. Und genauso sicher ist, dass er uns darauf aufmerksam gemacht hätte, was wir noch zu tun haben und zu Ende bringen müssen. Bis zuletzt kämpfte er mit den Müllmännern in Memphis, die um ihre Würde und gewerkschaftliche Organisation kämpften, unterstützte die Poor People`s Campaign und den Kampf für die Beendigung des Vietnam-Krieges und der Armut. Vierzig Jahre nach seinem Tod haben wir es immer noch mit den gleichen Herausforderungen zu tun; wenn Barack das Oval Offive betritt, werden die zwei wichtigsten Vorgänge auf seinem Schreibtisch die Beendigung des Irakkrieges und die Überwindung der Wirtschaftskrise sein.

Auch wenn wir eine Sternstunde der Politik feiern, erlebt unsere Wirtschaft gerade eine tiefdunkle, sternenlose Nacht. Wir – und ich meine damit wirklich alle Menschen weltweit – befinden uns in der schlimmsten Wirtschaftskrise seit der Großen Depression, und es ist kein Ende in Sicht. Die ungezügelte, unregulierte und unkontrollierte Gier und Lust nach Profit, die den Kapitalismus in seiner industriellen Phase charakterisierte, zeigt sich im modernen Finanzkapitalismus von heute wieder. In den USA haben wir ein Finanzsystem, das durch seine Exzesse krank geworden ist. Das Gesundheitssystem liegt in Scherben. Wir sehen uns einem bislang ignorierten katastrophalen Klimawandel gegenüber. Die soziale Ungleichheit ist mit den Zeiten der industriellen Revolution vergleichbar und die Armut nimmt immer mehr zu. Die Infrastruktur bricht zusammen. Die globale Wirtschaftsstrategie ist gescheitert.

Krieg gegen die Armut

Wir in den USA exportieren Arbeitsplätze, Produktionsstätten und Kapital, während Drogen und Feuerwaffen sich in unseren Gemeinden breit machen. Die Zahlen sind niederschmetternd: 38 Millionen Menschen leben in Armut, das sind nahezu 13 % der Bevölkerung der wohlhabendsten Nation auf der Erde. Dreißig Prozent der afroamerikanischen Kinder gelten offiziell als arm. Ungefähr 47,5 Millionen Menschen haben keine Krankenversicherung. Wir haben global agierendes Kapital, aber keine global geltenden Menschen-, Arbeits- und Kinderrechte und Wirtschaftsbestimmungen.

Mehr als eine Million Amerikaner haben in den vergangenen zwei Monaten ihre Arbeitsplätze verloren. Das ist eine moralische Schande und es ist höchste Zeit, dass sich etwas ändert. Es ist an der Zeit, einen neuen Krieg gegen die Armut zu beginnen, hier in den USA und auf der ganzen Welt. Ich weiß, dass es woanders ähnliche Probleme gibt.

Unsere Nation und die ganze Welt braucht einen Augenblick, wie er nach dem New Deal Franklin D Roosevelts herrschte, einen Krieg gegen die Armut, wie Lyndon Johnson ihn führte – damals zeitigten große Ideen große Taten. Barack steht für diesen Augenblick in der Geschichte. Mit der gegenwärtigen nationalen und weltweiten Wirtschaftskrise ergibt sich eine neue Gelegenheit, „Amerikas Seele zu retten“, wie Dr. King es vorhersagte und forderte.
Wir Amerikaner müssen unser Gelobtes Land bestellen. Baracks Plan zur Wiederbelebung der Wirtschaft muss Wasser an die Wurzeln bringen, nicht nur an die Blätter an der Spitze. Er muss Entwicklung in unsere Gemeinden bringen, unsere Städte wieder aufbauen, unsere Kinder ausbilden, ärztliche Versorgung für alle bereitstellen, den Hungernden zu essen geben, den Obdachlosen Unterkunft gewähren, die Luft beschützen, die wir zum Atmen brauchen und die Umwelt, in der wir leben und nach Gerechtigkeit streben. Um diese Veränderungen durchzusetzen, müssen wir investieren. Mit Steuerkürzungen kommen wir nicht aus dieser Krise heraus.

Die ganz normalen Amerikaner wollen nichts anderes als Fairness, Chancengleichheit jenseits rassistischer Diskriminierung und die Möglichkeit wirtschaftlicher Teilhabe. Im vergangenen Sommer haben wir alle unseren Athleten bei den Olympischen Spielen in Bejing zugesehen. Die Voraussetzung ihres Erfolgs war, dass die Regeln für alle gleich waren. Die 100-Meter-Sprint-Strecke war für jeden gleich lang. Wenn die Spielregeln und die Länge des Spielfeldes auch in der Wirtschaft für alle gleich, öffentlich und eindeutig sind, dann haben wir alle die Möglichkeit zu gewinnen. Es dreht sich nicht um einen Mangel an Talenten. Jeder von uns muss die Möglichkeit haben, wirtschaftlich erfolgreich zu sein.

Garten und Wüstenei
Mit Müßiggang hat das nichts zu tun. Das Gelobte Land ist ein Land harter Herausforderungen und neuer Möglichkeiten. Es ist eine Zeit der Wiedergutmachung und der Neugestaltung. Es gibt neue Hoffnung, dass die Obama-Administration die Menschen in die Lage versetzen wird, die Infrastruktur von unten nach oben, Stein um Stein wieder aufzubauen, die Gerechtigkeitslücken zu schließen und die Armut zu bekämpfen. Wir fordern ein faires Wirtschaftssystem für diese neue Ära.

Alle müssen mit einbezogen werden. Darum geht es bei unserer Koalition. Die meisten armen Amerikaner sind nicht schwarz. Sie sind weiß, weiblich und/oder jung. Es sind die, die arm sind, obwohl sie einen Job haben, die, die arm sind, weil sie arbeitslos sind oder keine Ausbildung haben. Es sind die Kriegsveteranen die mit psychischen Schäden aus dem Krieg zurückkommen. Der Plan zur Wiederbelebung der Wirtschaft muss diese Kluft zwischen Arm und Reich überwinden.

Barack wird sich einer Vielzahl von Herausforderungen gegenübersehen. Die Hoffnungen sind groß, dass er einen neuen Weg in der Außenpolitik und Rolle unseres Landes in der Welt einschlagen wird, dass er die Politik der präventiven Ernstschläge, des unilateralen Vorgehens, der Verstöße gegen internationales Recht unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung rückgängig machen wird. Die Hoffnungen sind groß, dass die Rhetorik der Teilung und der Angst sinnvollen Initiativen weichen wird, um wieder in den Dialog einzutreten und Bündnisse wiederherzustellen. Es gibt große Hoffnungen, dass Barack den Krieg im Irak beenden und unsere Truppen nachhause bringen wird, dass er sich für friedliche Verhandlungen und ein Ende der Gewalt im Nahen Osten einsetzen wird, damit ein Palästinenserstaat und Israel nebeneinander koexistieren können.

Es ist höchste Zeit für die USA, ihr internationales Ansehen wieder zurückzugewinnen und wieder zu einem Land zu werden, das durch seine Werte von Freiheit und Demokratie eine Führungsrolle einnimmt und nicht aufgrund seiner militärischen Stärke.
Auf der ganzen Welt scharen sich Menschen und Regierungen hinter Barack und das liegt daran, dass er die Welt nicht durch ein Schlüsselloch betrachtet.

Wenn Barack erbt beides, den Garten und die Wüstenei: das Gelobte Land und die schwierigen Herausforderungen, die vor uns liegen. Für mich wird es ein Augenblick überschwänglicher Freude über die Errungenschaften der Bürgerrechtsbewegung sein. Und warum sollte, was in den USA möglich ist, nicht auch in Frankreich, Großbritannien oder sonst wo möglich sein? Die auf Vorstellungen von Rasse und Geschlecht errichteten Mauern, die unsere menschliches Potential einengen und beschneiden, fallen auf der ganzen Welt.

Der 20. Januar 2009 wir ein großes Fest werden. Für uns Amerikaner wird es ein Augenblick sein, über unsere schwierige Vergangenheit sowie neue Lösungen für die gegenwärtigen Probleme nachzudenken. Es gibt noch viel zu tun. In diesem großen Augenblick in der Geschichte werde ich mir den Weg vor Augen halten, den wir schon gegangen sind, wie auch den Weg, den wir noch zu gehen haben. Hoffnung liegt in der Luft und Hilfe ist auf dem Weg. Haltet die Hoffnung am Leben.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Jesse Jackson | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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