Porträt Binyavanga Wainaina ist eine der wichtigsten Stimmen des jungen Afrika. Als der Literat sich im Januar outete, ging diese Nachricht um die Welt. Eine Begegnung in Nairobi
Bekannt wurde Binyavanga Wainaina mit einer Satire mit dem Titel: How to write about Africa. Sie ist das perfekte Anti-Lehrbuch für jeden angehenden Afrika-Korrespondenten, denn Wainaina widmet sich darin so ziemlich jedem Klischee unter der riesigen, roten Savannensonne.
"Verwenden Sie stets die Worte ‚Afrika‘, ‚Dunkelheit‘ oder ‚Safari‘ im Titel", rät er gleich zu Beginn. Und man dürfe niemals einen erfolgreichen Mittelklasse-Afrikaner abbilden – "es sei denn, er hat den Nobelpreis gewonnen". Viel besser seien AK-47s, hervorstechende Rippen und nackte Brüste. Vor allem aber: "Afrika ist der einzige Kontinent, den Sie lieben können. Machen Sie sich dies zunutze. Sind Sie ein Mann, lassen Sie sich in seine warmen, jungfr
warmen, jungfräulichen Wälder fallen. Als Frau behandeln Sie Afrika wie einen Mann, der in den Sonnenuntergang verschwindet. Afrika muss bemitleidet, angebetet oder beherrscht werden. Egal, welche Perspektive Sie einnehmen – erzeugen Sie immer den Eindruck, Afrika sei ohne Ihr Eingreifen und Ihr wichtiges Buch dem Untergang geweiht."Die Satire erschien 2005 in dem einflussreichen britischen Magazin Granta und wurde für Wainaina zu einer Visitenkarte. Sie verschaffte ihm eine Gastprofessur in Amerika, wo er an einem angesehenen College im Bundesstaat New York bis vor kurzem die Fakultät für Afrikanistik leitete. Und sie setzte ihn auf das Einladungskarussell für Literaturfestivals in aller Welt.Vor drei Jahren gab er dann mit seinem teils autobiografischen, teils reportageartigen Buch Eines Tages werde ich über diesen Ort schreiben (auf Deutsch im Wunderhorn Verlag) selbst eine Antwort auf seine satirische Provokation. Mit dem Buch untermauerte Wainaina seinen Ruf als eine der wichtigsten Stimmen des jungen Afrikas. Der Kenianer ist Teil einer Generation, die sich bestens mit der postkolonialen Geschichte auskennt, einen spielerischen Umgang mit ihr pflegt und es ablehnt, sich als Opfer zu sehen.Literarisches Coming-OutAm 18. Januar dieses Jahres veröffentlichte Wainaina dann noch ein zusätzliches Kapitel seines autobiografischen Buchs, indem er es auf der Website des kenianischen Literaturmagazin Kwani? postete. Das Kapitel beginnt mit dem Satz: "Mama, ich bin schwul." Es beschreibt eine fiktive Szene, in der der Autor seiner vor 13 Jahren verstorbenen Mutter an deren Totenbett seine Homosexualität offenbart. Und es stellt die echten Ereignisse gegenüber: Wainaina hatte seine Mutter fünf Jahre lang nicht mehr gesehen, saß dann wegen Visa-Problemen in Südafrika fest und kam zu spät, um noch mit ihr sprechen zu können.Der Text hat alles, was Wainaina als Literaten auszeichnet: Er ist intensiv, intim und sich all der Hollywood-Klischees dieses besonderen Dramas zwischen Mutter und Sohn bewusst. Seine Bedeutung erhielt er aber vor allem durch den Zeitpunkt seiner Veröffentlichung. In Wainainas Heimat Kenia verschärfte sich zu diesem Zeitpunkt die homophobe Rhetorik extrem. Im Nachbarland Uganda – der Heimat seiner Mutter – wurde ein Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, der für manche homosexuellen Akte die Todesstrafe vorsah. Kurz zuvor war ein führender Schwulenrechtler ermordet worden. Und in Nigeria wurden gleichgeschlechtliche Beziehungen jeder Art verboten. In diesem Umfeld war der Text ein bewusster Akt der Provokation.Während unseres Gesprächs auf der Terrasse seines Hauses in einem Vorort von Nairobi legt Wainaina Wert darauf, den Kontext seines Coming-outs deutlich zu machen. Er erzählt lebhaft. Seine Schläfen sind rasiert, sein Haar in der Mitte blau und rot gefärbt. Er sitzt nach vorne gebeugt, die Zigaretten immer in Reichweite. Freunde und sein Sekretär kommen und gehen, bringen Laptop, Kaffee und ein Frühstück.Warum hat er sich für dieses öffentliche Coming-out entschieden? "Ich hatte nur einen sehr vagen Plan", sagt er. "Ich bin zwar kein Schachspieler, aber ich habe mehrere Monate darüber nachgedacht." Begonnen hatte alles mit dem Tod eines jungen Freundes, den er finanziell unterstützte, damit er studieren konnte. Der Freund war schwul und Wainaina ist sich sicher, dass er an Aids gestorben ist. Aber er hatte das Gefühl, nicht einmal mit seinen engsten Freunden darüber sprechen zu können. Die Familie behauptete, der junge Mann sei an Kehlkopfkrebs gestorben. Das machte Wainaina wütend. Sollte er nicht für seinen Freund das Wort ergreifen und ein paar Dinge sagen, die dieser nicht mehr sagen konnte? Die Nachrichten aus Uganda und Nigeria vergrößerten seine Wut noch.„Wenn du hier der Mittelschicht angehörst oder internationale Freunde hast, kannst du mehr oder weniger so leben, wie du möchtest“, erzählt er. Für seinen jungen Freund war das aber nicht so einfach. Und in Uganda und Nigeria ist es zunehmend unmöglich. „Mein Freund arbeitete früher für eine NGO und erklärte den Menschen, wie wichtig es ist, offen und ehrlich zu sein, wenn es um Gesundheitsfragen geht. Er konnte uns aber nicht sagen, was er selbst durchmachte. Da dachte ich mir: Es ist Zeit. Ich muss darüber schreiben.“Zuspruch und AblehnungEr schrieb das Kapitel in einer Nacht. Um vier Uhr früh schickte er den Text ab und legte sich schlafen. Nach der Trauerfeier für den Freund am nächsten Vormittag betrank er sich ein wenig und erst als am Abend jemand auf ihn zukam und sagte: „Sieh mal, was auf Twitter alles über dich steht“, erinnerte er sich wieder an das, was er geschrieben hatte. Er entschied sich, erst mal 48 Stunden auf all die Kommentare nicht zu reagieren. „Ich wollte die Menschen das erst mal etwas verdauen lassen – bevor mir Mikrophone vor die Nase gehalten werden und man mich auffordert, den Unterschied zwischen Homosexualität und Sodomie zu erklären.“ Das Echo in den seriösen Zeitungen war allerdings weitgehend positiv, aber es gab auch viele Leute, die online wie offline ihren Ekel ausdrückten. Seine Autobiografie verkauft sich seitdem noch besser, aber viele Leser schickten ihre Exemplare auch an den Verlag zurück.Schon mit fünf habe er gewusst, dass er schwul sei, erzählt Wainaina. Auch wenn ihm damals noch die Sprache gefehlt habe, es zu beschreiben. In seinem Buch erzählt er ausführlich von dem Gefühl, anders zu sein als sein älterer Bruder und seine jüngeren Schwestern. Er war verträumt und benahm sich merkwürdig. Dazu gehörte auch das Gefühl, nur Beobachter zu sein und mehr in der Sprache zu leben als in der Realität. „Irgendwie war ich mir immer unsicher. Ich wusste noch nicht einmal, wie ich mich bewegen sollte. Ich beobachtete die anderen und ahmte sie nach.“Wenn er heute in seinem Buch nachliest, von welchen Kulturimporten er im Wohnzimmer seiner Kindheit besessen war, amüsiert ihn das: Abba, Pam Ewing aus Dallas und „der mit dem Bart von den Bee Gees“. Bis zu seinem 33. Lebensjahr lebte Wainaina zölibatär. Er wurde depressiv und sperrte sich in seinem Zimmer ein, als er seinem Vater zuliebe in Südafrika Rechnungswesen studierte. Es sei eine schreckliche Zeit gewesen. Als er mit Mitte Zwanzig zu schreiben begann, half ihm das ein wenig. Als seine Mutter starb, hatte er aber noch nie einen Mann so berührt, wie er sich das in der Fantasie ausmalte. Stattdessen flüchtete er sich in Internet-Pornos.Vor zehn Jahren habe er dann, als er einen Freund in London besuchte, „diese großartige Seite im Internet“ gefunden und sich einen Callboy kommen lassen. Der massierte ihn und holte ihm einen runter, und das war es. Als er später bei einem Bier einem Freund davon erzählte, habe der ihn nur angestarrt. „Ich sagte, ich sei nicht schwul, es sei nur ein bisschen merkwürdig gewesen. Mein Freund starrte immer noch. Ich dachte mir: ‚Oh, okay‘, und wir tranken weiter.“ Danach brauchte er noch sechs Jahre, bis er sich selbst schwul nannte.Wäre es für einen jungen Kenianer möglich, dieses Geständnis auch einem Freund in Nairobi statt in London zu machen? „Die Umstände sind bei jedem anders. Neulich habe ich einen jungen Mann kennengelernt, der in einer der entlegensten Gegenden aufgewachsen ist. Am letzten Tag seiner Grundschulzeit brachte ihm seine Mutter ein Magazin mit Hochzeitsbildern und fragte ihn, ob er lieber Braut oder Bräutigam sein wollte. Er habe auf die Braut gezeigt und seine Mutter habe nur gesagt: Gut, kein Problem. Doch dann hört man von anderen Fällen, wo man den Männern eine Frau sucht und sie zur Heirat zwingt.“Allgegenwärtige HomophobieIch erzähle Wainaina, dass mir bei meinem letzten Besuch in Ghana auffiel, wie schnell es in Gesprächen zu homophoben Äußerungen kam. Als hätten die Menschen, die ich traf, das Gefühl, sie müssten nach der Begrüßung so schnell wie möglich einen homophoben Kommentar machen. Zweimal wurde ich direkt gefragt, wie ich denn denken könne, dass Sex zwischen zwei Männern etwas Natürliches sei. Dabei wurde unterstellt, Homosexualität sei ein europäischer, von Liberalen verbreiteter Import. Und ich wurde sofort als dessen Vertreter identifiziert. Auch wenn das keine repräsentative Umfrage war: Warum ist Homosexualität heute in afrikanischen Gesellschaften so ein schwieriges Thema?„Homophobie ist Konjunkturen unterworfen“, sagt Wainaina. Er ist überzeugt, dass man die Wellen der Bigotterie am besten versteht, wenn man sich ansieht, wie und wo die Menschen in die Kirche gehen. „Überall, wo diese Themen besprochen werden – in den Medien oder in persönlichen Gesprächen – stößt man auf die gleichen Formulierungen, die von den Kirchen in Umlauf gebracht werden. Die größte Bedeutung hat dabei die evangelikale Pfingstbewegung, die auch Katholiken und Anglikaner beeinflusst, weil sie am lautesten schreit und am schnellsten wächst.“Die Pfingstler kamen nach Afrika, als viele Diktaturen in den Achtzigern in den letzen Zügen lagen. „Und sie kamen mit der Billigung der Präsidenten. Von Malawi über Sambia bis zu uns. Diese Kirchen sprachen viel von Gehorsam und den tödlichen Gefahren dekadenter Einflüsse, die Abtreibung und Homosexualität nach Afrika bringen“, sagt Wainaina. Die Kirchen nutzen die Angst vor HIV und stellen die Krankheit als Rache oder Strafe dar. In Kenia, Uganda und Nigeria findet man heute überall Kirchen der charismatischen Bewegung. Und wie in ihren Hochburgen in den USA predigen die extremeren, dass man sich vom Dämon der Homosexualität wie von anderen auch befreien könne.„Ihre Sprache hat hier überall das Klima verpestet. Und weil die christlichen Kirchen großes Ansehen genießen, wird diese Sprache auch für Politiker attraktiv.“ Wainainas Autobiografie ist so faszinierend, weil viele dieser politischen Brüche sich in seiner Familiengeschichte wiederfinden. Ein Teil seiner Wut auf die evangelikalen Hardliner richtet sich gegen den Pastor, der seine Mutter dazu überredete, ihre Diabetesbehandlung einzustellen und ihr stattdessen auftrug, ihr Heil im Glauben zu suchen – eine Entscheidung, die zu ihrem frühen Tod beitrug. Wainaina sieht in der Hinwendung seiner Mutter zur Religion einen Ausdruck der gesellschaftlichen Verhältnisse. Zusammen mit Freunden aus der Mittelschicht Nairobis trat sie Mitte der Achtziger der Erweckungsbewegung bei, als Daniel arap Moi seine brutale Diktatur errichtete und die kenianische Wirtschaft zugrunde richtete. „Die Rente meiner Eltern war mit einem Schlag nahezu wertlos. Nach so einer Erschütterung ist der Liebe Gott der Katholiken nicht mehr gut genug.“Mit seinem Vater hat er auch nie über seine Homosexualität gesprochen. Als er nach einiger Zeit im Ausland nach Hause kam, fragte sein Vater, warum er nicht daheim schlafe, sondern mit einem Freund im Hotel übernachte. „Das hörte sich so an, als wolle er das Thema ansprechen.“ Es kam dann aber nicht mehr dazu. Am Tag darauf erlitt sein Vater einen Schlaganfall, fiel ins Koma und starb. Hätte er das Gespräch geführt, wenn sein Vater nicht gestorben wäre? „Ich wäre dazu bereit gewesen.“
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