Nur die übereifrigsten amerikanischen Patrioten glauben, dass die Außenpolitik ihres Landes immer dem selbsterklärten Ziel, der Welt den Frieden und die Demokratie zu bringen, gerecht wird. Die interessantere Frage ist doch, ob die USA ihrem Ziel manchmal vielleicht nahe kommen – oder es zumindest ernsthaft versuchen. Es ist durchaus möglich, zu kritisieren, dass die Interventionen der USA in Übersee fürchterlich fehlgeleitet sind und schrecklich verpfuscht – und trotzdem anzuerkennen, dass im Kern doch auch ein ehrliches, moralisches Bestreben besteht. Viele politische Entscheidungsträger haben Anfangs dieses Jahrzehnts wirklich geglaubt, dass es eine edle Sache sei, den Irak von Saddam Hussein zu befreien.
Wer skeptisch denkt, geht davon aus, dass die Selbstwahrnehmung der USA, als eine Kraft des Guten in dieser Welt, eine gefährliche, irrationale Wahnvorstellung ist. Und wer noch skeptischer ist, der hält die US-amerikanischen politischen Bekehrungsversuche für eine groteske Scheinheiligkeit mit der schlau imperialistische Ambitionen maskiert werden. Und dann wäre da noch Noam Chomsky. Das jüngste Werk des 81-jährigen Linguisten des Massachusetts Institute of Technologie Hopes and Prospects ist die logische Fortsetzung seines Lebenswerks, und auch hier hagelt es nur so vor Kritik an der politischen Eitelkeit der USA. Chomsky begann einst aus Opposition gegenüber dem Vietnamkrieg politische Bücher zu schreiben, seither hält er die Lanze gegen Washington hoch. Für seine Anhänger ist er der Guru und Störenfried, der ungeliebten Wahrheiten eine Stimme gibt. Und er ist eine Art Rockstar der intellektuellen Linken.
So gesehen ist Hope and Prospects eines dieser Live-Alben, die eine altgediente Band veröffentlicht, wenn sie keine neuen Singles mehr herausbringt: leicht nuancierte Versionen der bekannten Hits, die mit schneller Nadel für ein Publikum gestrickt wurden, das leicht zufriedenzustellen ist. Das Buch ist eine Compilation aus Lesungen und Artikeln der vergangenen Jahre, die überarbeitet und aktualisiert wurden. Es gibt keine einzelne These, vielmehr sind die beliebtesten Chomsky-Themen ineinander verwoben: wie der amerikanische Staat von einer kleinen wirtschaftlichen und finanziellen Elite gekapert und die Demokratie dieser unterworfen wurde; die Komplizenschaft der Medien; die einmalig hohe Strafe, die Lateinamerika dafür bezahlt, ausgerechnet in Washingtons Hinterhof zu leben; die Funktion Israels als Amerikas militärischer Auftraggeber im Nahen Osten; die drohende nukleare Apokalypse. Chomsky argumentiert durchweg mit beißender Verachtung für die Mythen, mit denen die westlichen Gesellschaften versuchen ihre unzivilisierte Kolonialisierung des Planeten Erde zu rechtfertigen. Er tut gewaltige Traktate der Geschichtsschreibung in ein paar unwirschen Paragraphen ab als lohne es sich auf keinen Fall, alternative Interpretationen auch nur in Erwägung zu ziehen.
Die schlimmste Katastrophe, die unsere Spezies befallen hat, so impliziert Chomsky, war Columbus’ Kollision mit einem unerforschten Kontinent 1492. Von dort ist es nur ein kurzer Schritt bis zum Genozid an den indigenen amerikanischen Völkern und der Ausbildung einer merkantilen Diktatur der weißen Europäer, die durch Kriege und Terror verfestigt wurde. Chomsky erinnert uns daran, dass das US-amerikanische imperialistische Modell, das im 20. Jahrhundert entstand, sich stark am britischen Vorbild orientierte. Insbesondere wenn es darum ging, fremde Märkte mit vorgehaltener Pistole aufzubrechen, habe der jüngere Cousin den älteren imitiert, indem er den Wettbewerb vor Ort so lange unterdrückt habe, bis ein bequemes Monopol gesichert war – um dann zu behaupten, man unterstütze „fairen Handel“ unter „fairen Wettbewerbsbedingungen“.
Chomsky teilt mit vielen linken Philosophen einen gezielten Widerwillen gegen das gängige Vokabular der „Globalisierung“. Das Wort impliziere, dass alle in ein einheitliches wirtschaftliches Vorhaben mit einbezogen sind. Doch für Chomsky ist das einzige „globale“ Element in diesem ganzen Geschäft das Universalrezept, das der Westen den Entwicklungsländern aufzwingt, weil er sie ihrer Ressourcen und ihrer Vermögen enteignen will. Freie Märkte seien eine Illusion. Washington bediene sich unablässig seiner politischen Macht, um seine wirtschaftlichen Interessen zu schützen und auszuweiten. Wer sich weigert, sich dem zu unterwerfen, wird mit diplomatischer Isolierung und Verunglimpfung bestraft und, wenn der strategische und wirtschaftliche Einsatz hoch genug ist, mit einer militärischen Übernahme.
Es ist eine erdrückend düstere Philosophie. Natürlich will keiner den westlichen Kapitalismus als perfektes System verteidigen. Im Vergleich mit dem abstrakten Ideal einer wohltätigen globalen Verwaltung schneiden die USA schlecht ab – doch sie stehen immer noch besser da, als die meisten anderen verfügbaren Alternativen. Globalisierung unter Chinas kommunistischer Partei, will das einer? Ein anti-amerikanisches Exil in Teheran? Immerhin hat ein Dissident in den USA die Möglichkeit an den Universitäten Karriere zu machen, während er fortlaufend die Regierung brandmarkt.
Vielleicht würde Chomskys Analyse all der Fehler der westlichen Welt auf eine andere Resonanz stoßen, wenn er ab und zu einen kleinen Funken Bewunderung für die eine oder andere Errungenschaft der westlichen Zivilisation einfließen ließe. Seine Kritik würde durchaus gewinnen, wenn er die Ironie anerkennen würde, dass er seinen beachtlichen Erfolg dem System verdankt, das er so sehr verachtet. Ob es ihn wohl beschäftigt, dass er den amerikanischen Traum lebt?
Übersetzung: Christine Käppeler
Hopes and Prospects ist im Mai bei Hamish Hamilton als Hardcover erschienen. Haymarket Books hat nun die Taschenbuchausgabe veröffentlicht.
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