In einem Veranstaltungsraum in Southampton warten etwa 80 Männer. Männer jenseits der 50. Männer, die schlecht angezogen sind. Männer, die morgens keinen Blick in den Spiegel werfen, bevor sie das Haus verlassen. Männer wie ich.
Während ein Großteil der Menschheit einiges auf sich nehmen würde, um diesen Typen aus dem Weg zu gehen, habe ich an diesem eiskalten Donnerstagmorgen zwei Stunden Fahrt in Kauf genommen, um bei ihnen zu sein.
Ich bin hier, um an einer Auktion für Fußball-Devotionalien teilzunehmen. Es ist eine von sieben, die über das Jahr verteilt stattfinden. Über 1.700 Gegenstände werden heute versteigert, zu den wichtigsten zählt die Stadionzeitung des Europacup-Finales 1956 (dem ersten überhaupt, das von Real Madrid und Stade de Reims-Champagne bestritten wurde), die für mindestens 6.000 Pfund den Besitzer wechseln soll. Außerdem werden mehrere Medaillen und Trikots des ehemaligen Manchester-City-Spielers Tony Coleman angeboten. Er verkauft seine Sammlung, um sich in Thailand ein neues Leben aufzubauen.
Nicht normal
Es ist kein Zufall, dass Colemans Medaillen gerade hier aufgerufen werden. Chris Williams, der Mann, der hinter der Auktion steht, sammelt seit beinahe 30 Jahren Manchester-City-Artikel. Weil er sich nicht länger von der großen Auktionshäusern wie Abschaum behandeln lassen wollte, wenn diese sich ab und zu auf das Terrain der Sportlersouveniers verirrten, gründete Williams vor acht Jahren sein eigenes Haus. Für Typen wie mich. Jede Auktion bringt etwa 150.000 Pfund.
Ich bin Tottenham-Fan. Manche würden sagen, ein besessener. Als mein Sohn kürzlich vom Fahrrad stürzte und wir unseren Urlaub im Ausland absagen mussten, da verbrachte ich die ersten beiden Tage an seinem Krankenbett damit, Karten für die Spiele zu organisieren, die ich verpasst hätte. Nicht einmal ich halte das für normal.
Ich büße für meine Sünden, indem ich die Stadionzeitungen und Tickets aller Spiele, die die Tottenham Hotspurs jemals gespielt haben, zusammentrage. Natürlich ist es eine hoffnungslose Mission. Einige Stadionzeitungen sind sehr selten und dementsprechend teuer, bei manchen Spielen wurden weder Zeitungen noch Tickets gedruckt. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich einer Berufung folge. Wenn es mir gelingen sollte, wenigstens beide Spielzeiten der Saison 1960/61 – das Jahr, in dem die Spurs sowohl die Football League als auch den FA Cup gewannen – voll zu bekommen, dann wäre ein Anfang gemacht.
Pathologische Störung
Ich schlendere zu dem Tisch, auf dem die Auktionsgegenstände ausgestellt sind. Ich lasse mir die Stadionzeitung des Spiels gegen Sunderland beim FA Cup 1915 zeigen. Schön. Sehr schön. Sie ist mit 300-350 Pfund angesetzt. Scheiß drauf – vielleicht werde ich einfach meine Kreditkarte damit belasten. Ich male ein Fragezeichen in meinen Katalog. Dann kommt der ernste Teil des Geschäfts. Die Stadionzeitung eines Auswärtsspiels in Everton aus der Saison 60/61. Ein Muss. Dann wäre da noch ein Schwarzweißfoto des siegreichen Spurs-Teams von 1961, das im Wembley-Stadion den Meisterpokal in die Höhe hält, signiert von sieben Spielern. Auch das ein Muss.
Artikel Nummer 668 verfolgt mich bereits seit geraumer Zeit. Es ist die Stadionzeitung eines Freundschaftsspiels gegen Valetta auf Malta. Ich habe sie erst einmal bei einer Auktion gesehen – und damals meine Chance verpasst. Das wird sich nicht wiederholen, aber dafür werde ich viel zahlen müssen. Und schließlich wäre da noch das Uefa-Cup-Spiel gegen den rumänische Verein UT Arad. Es gibt zwei Ausgaben der Stadionzeitung, eine in rot und eine in schwarz. Die rote besitze ich bereits.
Wie die meisten pathologischen Störungen hat auch meine Spurs-Leidenschaft ihre Wurzeln in meiner Kindheit. Alles begann im Jahr 1966. Ich war im Bann des Spurs-Stürmers Jimmy Greaves, der damals als Inbegriff von Eleganz bekannt war.
Stadionzeitung im Kleiderschrank
Einer wie ich, dessen Eltern sich weigerten, die 200 Meilen zum White-Hart-Lane-Stadion zu fahren, hatte es nicht leicht als Tottenham-Fan. Samstags gab es den Fernschreiber von der Haupttribüne, der die Ergebnisse übertrug, ansonsten waren da das Radio, die Zeitungsberichte und ab und zu schaffte es ein Tottenham-Spiel als Partie des Tages in die Sendung The Big Match. Und dann gab es noch das Magazin Football Monthly. Wichtiger als die Artikel selbst waren die kleinen Anzeigen im hinteren Teil des Hefts. Hier fanden sich die wahren Schätze: Die Stadionzeitungen aller Spiele, die ich so gerne besucht hätte, viele davon kosteten nur ein paar Cent. In diese schwarze Kasse sollte fortan mein gesamtes Taschengeld fließen.
Wenn diese Hefte endlich in unserem Briefkasten lagen, fing ich eigentlich nicht viel mit ihnen an. Ich blätterte sie durch und sah mir die Fotos an. Dann legte ich sie in meinem Kinderzimmer zu den anderen und überließ sie dem Staub.
Erst vor wenigen Jahren begann ich meine Sammlung zu erweitern. Seit ich mit meinem Sohn zu den Spielen der Spurs gehe, kaufen wir uns immer eine Stadionzeitung, die er dann in seinem Kleiderschrank verstaut.
Sichere Altersvorsorge
Es dauerte etwa ein Jahr bis ich erkannte, dass ich ihn zwar erfolgreich zu den Spurs bekehrt hatte, er sich aber für die Hefte null interessierte. Ich räumte seinen Schrank und nahm sie mit in mein Arbeitszimmer, wo ich sie zu der Sammlung aus meinen Kindertagen legte. Da wurde mir klar, dass das nicht das Ende sein musste.
Ich fing mit Ebay-Käufen an und schon bald trudelten unzählige Pakete ein. Ich kaufte die Hefte stapelweise, um meine Lücken aufzufüllen. Meine Familie dachte, ich sei übergeschnappt. Sie können sich nicht vorstellen, dass es irgendeine sinnlosere Tätigkeit auf der Welt geben kann.
Im Prinzip bin ich ihrer Meinung.
Ich zog das etwa ein Jahr lang durch, dann musste ich kämpfen, um mein Arbeitszimmer überhaupt noch betreten zu können. Mir wurde klar, dass ich die Sache noch einmal überdenken müsste.
Anfangs hatte ich es auf alle großen Spiele abgesehen – auf die Halbfinal- und Finalspiele der Nachkriegsära. Aber da diese Spiele von so vielen besucht wurden, sind die Programme nicht viel wert. Wirklich lohnenswert sind die Freundschaftsspiele im Ausland. Also spezialisierte ich mich darauf. Und ich kaufte fortan alte Tickets. Sie sind ziemlich rar und brauchen wenig Platz.
Das ganze kostet mich sehr viel Geld. Ich sehe das als Altersvorsorge. Denn meine Sammlung ist wertvoll. Sollte es hart auf hart kommen und sich ihr Wert halbieren, wäre ich immer noch nicht schlecht dran. Und anders als bei einer Rentenversicherung hatte ich unterdessen meinen Spaß, ohne die Boni irgendwelcher Fonds-Manager zu unterstützen. Aber es kommt noch besser. Da ich an meinen „Investitionen“ Freude habe, gebe ich weit mehr aus, als ich in eine gewöhnliche Rente stecken würde. Ich lege also für meine Zukunft mehr auf die Seite. Und meine Sammlung hat nicht an Wert verloren. Die Preise für Fußball-Devotionalien sind in der Rezession stabil geblieben. Mein nerdiges Interesse hat zu einem besseren Ergebnis geführt als die Arbeit der großen Banken.
Passions-Investment
Es gibt viele, die nach einem Fußballspiel die Stadionzeitung als Souvenir aufbewahren, aber nur etwa 5.000 Fans investieren ernsthaft in ihre Leidenschaft. Teilt man diese 5.000 durch die 92 Vereine der Football League, dann wird deutlich, wie klein der Markt für jeden Verein ist. Aber natürlich sind manche Vereine begehrter als andere. Die Spurs und Manchester United haben die meisten Sammler. Das hat Vor- und Nachteile: die Artikel sind teurer, dafür gibt es einen großen Markt für den Weiterverkauf.
In Southampton kommt nun der erste Artikel, auf den ich bieten möchte, unter den Hammer. Die Internetbieter steigen bei der Stadionzeitung des Spiels gegen Everton früh aus, also machen ich und die Sammler im Raum das unter uns aus. Ich bekomme den Zuschlag, kurz bevor mein selbst auferlegtes Maximum erreicht ist. Bei der Stadionzeitung aus dem Jahr 1915 besinne ich mich jedoch recht schnell. Als der Schätzwert erreicht ist, steige ich aus. Am Ende kostet sie wesentlich mehr.
Zugreifen
In der Pause bietet mir einer das Auswärtsspiel 1964 gegen Leicester für 3 Pfund an. Die Stadionzeitung ist keine Rarität, aber sie hat einen sentimentalen Wert, denn es war John Whites letztes Spiel für die Spurs, bevor er auf einem Golfplatz vom Blitz erschlagen wurde. Ich greife zu.
Die Auktion geht weiter und es entbrennt ein erbitterter Kampf um meine verlorene Liebe, das Freundschaftsspiel auf Malta. Telefongebote, Internetgebote, Saalgebote und Bieter, die sich vertreten lassen ... ich bekomme den Zuschlag, aber nur weil ich 20 Pfund mehr bezahle, als beabsichtigt. Mir ist klar, dass ich fürs Erste genug ausgegeben habe. Zeit zu gehen.
Als ich im Zug nach Hause sitze klingelt mein Telefon. Wieviel ich ausgegeben habe? „Die Verbindung ist schlecht ... ich kann dich nicht mehr hören ... da kommt ein Tunnel.“ Klick.
Übersetzung: Christine Käppeler
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