"Ich habe Krebs, Prostata-Krebs"

Jeff Jarvis Medienprofessor Jeff Jarvis gilt als Vorreiter des Onlinejournalismus. Jetzt hat er sich für ein ungewöhnliches Thema in seinem Blog entschieden: seine Krebserkrankung

Als ich die Nachricht erhielt, war mein Reflex darüber zu bloggen. Das konnte ich allerdings nicht, weil mein Sohn auf einem Sommerprogramm seines College, also nicht zu Hause war, und ich nicht wollte, dass er über Twitter davon erfuhr. Dieses Wochenende ist er nach Hause gekommen und wir haben es den Kindern erzählt. Dann bloggte ich:

Ich habe Krebs, Prostatakrebs.

Als der Arzt es mir beibrachte, meinte er, wenn man schon Krebs kriegt, dann am besten diesen. Ich fühlte mich, als ob ich gerade von der Krebsüberlebenden-Vereinigung Cancer Air hochgestuft worden wäre. Es wurde sehr früh festgestellt und in nur fünf der zwölf Proben gefunden, die mir entnommen wurden. Ich habe also Glück.

Leider kein Tumorout

Ich fühle mich an eine Brainstorming-Sitzung erinnert, an der ich gegen Ende der achtziger Jahre gemeinsam mit dem Comedy-Autor Tony Hendra teilnahm, der damals den kollektiven Schreibprozess an einem Buch namens The 90s. A Look Back leitete. Ich war zu einem Treffen eingeladen, bei dem über die Zukunft der Medizin spekuliert wurde und Tony scherzte darüber, wie es wohl sein würde, wenn einmal eine Pille gegen Krebs erfunden sein würde. „Sie haben heute ein bisschen Krebs?“, fragte er. „Kein Problem. Nehmen Sie Tumorout. Sie werden sich fühlen wie neu. Nur zu, zünden Sie sich eine Zigarette an. Es wird überhaupt nicht wehtun.“ Ich war enttäuscht, dass der Krebsgag es nicht ins Buch schaffte. Und ich bin enttäuscht darüber, dass Tumorout nicht erfunden wurde.

Warum ich Ihnen das erzähle? Wie ich in meinem Buch Was würde Google tun? geschrieben habe, habe ich enormen Nutzen daraus gezogen, mich auf meinem Blog über ein anderes Leiden – Herzrhythmusstörungen – auszutauschen. Deshalb habe ich keinen Zweifel daran, dass ich nützlichen Rat und warmherzige Unterstützung erhalten werde (und die Trolls mich vielleicht für ein paar Wochen in Ruhe lassen werden), wenn ich auch über diese Krankheit erzähle. Ich habe immer die Vorteile der öffentlichen Lebensführung angepriesen. Also sollte ich auch besser dementsprechend leben.

Sollte ich irgendwelche Zweifel an dieser Strategie der radikalen Offenheit gehegt haben, wurden diese in Sekundenschnelle von den hunderten – beinahe Troll-freien – Tweets und Blog-Kommentaren vertrieben, die mir beste Wünsche, Rat und Witze zukommen ließen.

Keine OP-Instrumente von Dell

Mein Blog ist nicht zuletzt für die Fehde bekannt, die ich mit einer Computerfirma wegen eines Laptops ausgefochten habe. Die Pointe an der Sache: Ich habe mich für eine roboterassistierte Operation entschieden – was sonst käme für einen Freak wie mich in Frage? Meine einzige Angst ist, dass sie mich in den OP schieben und ich feststellen muss, dass die Instrumente von Dell sind. Nachdem ich das geschrieben hatte, las es ein Dell-PR-Typ und hinterließ einen Kommentar, in dem er mir gute Leistungen versprach.

Ich bin schon immer Krebsphobiker gewesen. Ich kann mir nicht vieles vorstellen, was für mich schlimmer wäre als eine schleichende Invasion. Trotzdem habe ich mich selbst überrascht, indem ich ruhig blieb, als meine Ängste sich erfüllten. Wohl, weil ich wusste, dass es schlimmer hätte kommen können, und die Sache nun einmal ist, wie sie ist.

Ich werde Sie auf meinem Blog über Interessantes auf dem Laufenden halten, während ich mich auf die Operation Mitte September zu bewege und mich dann erhole. Haben Sie keine Angst, ich werde kein Krankheitstagebuch führen. Ich erwarte nicht, dass Sie sich nach meinen Problemen verzehren, wo andere Leute ihre eigenen, weit schlimmeren haben. Oder vielleicht sollten Sie sich doch fürchten. Stattdessen werde ich nämlich weiter über Medienkram schreiben: über den Aufstieg der kommenden Medien und den Niedergang der alten. Nur dass ich dabei schlechtere Laune haben werde.

Jeff Jarvis, geb. 1954, ist Professor an der City University of New York's Graduate School of Journalism und schreibt regelmäßig als Kolumnist für den Guardian. Sein Blog heißt BuzzMachine.

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Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Jeff Jarvis | The Guardian

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