Ich habe mir geschworen, nie zum Speed-Dating zu gehen. Lieber würde ich allein bleiben. Das schien mir immer noch besser, als mich einer Sache auszusetzen, bei der man ständig peinlich berührt zusammenzuckt. Aber einmal aus journalistischen Gründen hingehen ... - nun, da liegt die Sache freilich völlig anders. Zumal es sich um eine besondere Form des Datings handeln sollte.
Eine erfahrene Daterin namens Ruth riet mir, ich solle es einmal mit Speed-Hating probieren. Das sei „wie Speed-Dating, nur dass man sich dabei nicht verkaufen muss, sondern sich im Gegenteil streitet, gegenseitig beschimpft oder sich den tiefen Hass auf scheinbar harmlose Dinge gesteht.“ Genau das Richtige also für Leute, die nach einer dauerhaften Beziehung suchen: „Man muss miteinander streiten können, sonst kann eine Beziehung nicht funktionieren. Es führt zu nichts, wenn der eine immer nur schmollt und der andere immer die Teller an die Wand schmeißt. Auf diese Weise löst man keine Probleme.“
Das Hassen möge beginnen
Ausgedacht haben sich die Sache Mike Toller und Carl Hill, die unter dem Label Feeling Gloomy eine Reihe von Club-Veranstaltungen und Dating Events organisieren. Sie besitzen die außergewöhnliche Fähigkeit, die Leute mit traurigen Liedern auf die Tanzfläche zu kriegen und das Elend so durch den Kakao zu ziehen. Ich bin heute aber nur bei einer einfachen Dating-Veranstaltung, die in einem kleinen Raum über einer Kneipe im Londoner West-End stattfindet. Beim Hineingehen bekommt jeder einen Phantasie-Namen: Elvis, Ernest, Engelbert, Cruella, Cecily, Cynthia und so weiter. Toller und Hill sind großartige Gastgeber. Sie sind unglaublich freundlich und achten darauf, dass niemand sich ausgeschlossen fühlt. Wir sitzen an einem langen Tisch, die Männer auf der einen, die Frauen auf der anderen Seite. Kirk de Vere (alias Hill), der einen Blazer mit breiten Streifen und eine nicht zu diesem passende Krawatte trägt, fordert uns schließlich auf, „das Hassen möge beginnen“.
Octavians Gezeter über Leute, die auf der Oxford Street zu langsam gehen, ist theatralisch und schlicht zuviel des Guten: „Ich hasse die Idioten, die stehen bleiben, um an Blumen zu riechen … Das ist 'ne verdammte Einkaufsstraße, auf der man sich schnell und effektiv zu bewegen hat und seinen Kram erledigt ... Ich sollte eigentlich Deutscher sein, denn ich liebe deren Effizienz. Aber ich hasse die Deutschen. Gut. Jetzt bist Du dran. Was hasst Du?“
Ich bin eine erbärmliche Hasserin, druckse herum und sage, dass mir nicht so recht etwas einfallen wolle. Da sagt Octavian, er hasse es auch, wenn jemand nicht spontan sein könne. Das bringt mich zur Einsicht und ich sage, ich würde die Leute hassen, die auf Rolltreppen immer links stehen bleiben und dass man sie erschießen sollte. Da heitert sich sein Gesicht etwas auf.
Die Schummel-Karte ziehen
Clive hasst meine Ellbogen. Er geht da auf Nummer sicher, denn er kann meine Ellbogen überhaupt nicht sehen. Ich kontere, indem ich seine Knie beleidige. „Können wir das bitte lassen“, fragt er mich. „Mir ist wirklich überhaupt nicht wohl dabei. Die Dame vorhin hat mir gesagt, sie hasse meine Klamotten.“ Also ziehen wir unsere Schummel-Karte, auf der Dinge stehen, die einem Anregungen zum Hassen geben könnten. Aber auch unter diesen sind einige zu konfrontativ, also nehmen wir eine Sache, die wir beide hassen: Leute, die im Kino reden. Auch wenn Hass dafür eigentlich ein zu starkes Wort ist und wir uns nur zu der Feststellung durchringen können, dass wir die Handlung missbilligen, nicht die Menschen, die sie begehen. Nach Ruths Maßstäben würden Clive und ich wohl zueinander passen: Beide passiv, konfliktscheu mit einer Vorliebe dafür, Probleme diskursiv zu lösen.
Harvey braucht keine der Karten auf dem Tisch, denn er weiß, was er hasst, und das sind Verkehrspolizisten. „Sie sind zu nichts nütze, man könnte sie morgen abschaffen und keiner würde sie vermissen. Die Menschheit wäre sogar besser dran ohne sie.“ Ich fühle mich verpflichtet, den geschmähten Polizisten beizuspringen: „Ich bin Radfahrerin. Verkehrspolizisten können Leuten, die auf dem Radweg parken, einen Strafzettel verpassen.“ „Aber das machen sie nicht, oder?“, pariert er prompt. Leider hat er recht. Ich habe jedenfalls noch nie einen Strafzettel an einem Auto gesehen, das auf dem Radstreifen geparkt war. Harvey redet schon gar nicht mehr mit mir und sieht mich auch nicht an. Er lehnt sich lieber in seinem Stuhl zurück und taxiert die Dame, mit der er es in einer Minute zu tun kriegt. Sein Freund sitzt gleich neben ihm. „Harvey liebt nun mal seine Autos“, entschuldigt er sich. „Und Harvey kann keinen Widerspruch vertragen“, denke ich mir – keine gute Voraussetzung für eine gut funktionierende Beziehung.
Ich bin mir nicht sicher, ob Toller und Hill mit Ruths These einverstanden wären, mithilfe von Speed Hating könne man in Erfahrung bringen, ob man füreinander geschaffen ist. Die beiden nehmen die Sache nicht ganz so ernst. Aber wenigstens war es nicht so schrecklich, wie ich erwartet hatte. Die Leute waren alle zwischen 20 und 30, und damit für mich etwas zu jung, aber der Hass lässt einen wirklich ins Gespräch kommen. Wenn sie mit dem Speed Hating fertig sind, wissen die Dater zumindest, welche Themen sie in den ersten Monaten der Beziehung besser vermeiden sollten.
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