Abtreibungsverbot auf den Philippinen: Frauen sterben an tödlichen Pillen
Katholizismus Auf den Philippinen gilt eines der strengsten Abtreibungsverbote der Welt. Den Frauen bleibt oft keine andere Möglichkeit, als mit gefährlichen Pillen abzutreiben – rigide, frauenfeindliche Gesetze lassen ihnen keine andere Wahl
Hände greifen nach einer Figur der heiligen Maria, Mutter Gottes, die in einer Kirche in Manila steht
Foto: Mads Nissen/LAIF
Anna*, eine junge, verängstigte, schwangere Frau von den Philippinen, hatte kurz vor der Ankunft eines Kuriers Anweisungen erhalten: Per Facebook schrieb ihr der Verkäufer, wie sie sich verhalten sollte, wenn sie ihr Medikamentenpaket mit Cytotec, Cortal und Tabletten zur Verhinderung von Blutungen erhielt.
Sie sollte den Tag über fasten. Sie sollte keinen Reis essen, sondern nur Cracker naschen und Cola trinken. Anna zahlte 1.000 Pesos (etwa 17 Euro) im Voraus, weitere 1.000 Pesos würden fällig werden, wenn die Abtreibung erfolgreich wäre. Anna befürchtete, wegen ihrer Schwangerschaft verurteilt zu werden, sagt ihre jüngere Schwester Carla*. Es gab nur wenige Menschen, an die sich die 20-Jährige wenden konnte. Die Beziehung zu ihrem Partner, dem
rtner, dem Vater ihres ersten Kindes, war in die Brüche gegangen, und sie war gezwungen worden, sein Elternhaus zu verlassen. Ihre Eltern waren wegen Drogendelikten verurteilt und saßen im Gefängnis, seit sie zehn Jahre alt gewesen war. „Sie wollte nicht, dass man ihr sagt, sie sei dumm“, erzählt Carla. „Sie sagte, sie habe Angst, aber sie wollte es wirklich tun.“Die Philippinen haben eines der strengsten Anti-Abtreibungs-Gesetze der Welt. Die Regierung hat zwar eingeräumt, dass das Gesetz Abtreibungen zum Schutz des Lebens und der Gesundheit schwangerer Frauen zulassen kann, doch in der Praxis werden solche Ausnahmen nicht gemacht. Die Frauen haben kaum eine andere Wahl, als sich einem illegalisierten Abbruch zu unterziehen – dazu haben sie Zugang und können es sich leisten.Bestellung im InternetJedes Jahr werden auf den Philippinen schätzungsweise 1,1 Millionen Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen. Und die Zahl ist gestiegen, sagt Jihan Jacob, leitende Rechtsberaterin für Asien beim Center for Reproductive Rights. „Wie in jedem anderen Land mit restriktiven Gesetzen wird die Abtreibung dadurch nicht verhindert, sondern nur unsicher gemacht“, so Jacob.Frauen, vor allem in den Städten, lassen sich zunehmend per Internet behandeln – ein Trend, den Covid-19 beschleunigt hat. „Man kann nicht nach Quiapo (ein Markt, der für den Verkauf von pflanzlichen Behandlungsmitteln bekannt ist, Anm. d. Red.) reisen, wenn eine Pandemie ausgebrochen ist, also muss jede andere Wege finden. Und das sind in der Regel Internetplattformen und -foren oder sogar Online-Shopping-Plattformen“, sagt Jacob.Um zwei Uhr morgens, ein paar Stunden nachdem Anna die Pillen genommen hatte, klopfte ihre Schwester Carla an die Schlafzimmertür ihrer Tante Rose und bat um Hilfe. Anna hatte Fieber und war verzweifelt. Sie hatte sich in eine Decke gewickelt, konnte aber nicht aufhören zu zittern. Ihre Stirn war heiß. „Sie fragte Tante Rose: ,Warum seht ihr alle violett aus?‘“, erinnert sich Carla. „Sie dachte, sie würde frieren, aber in Wirklichkeit schwitzte sie.“Die nächsten vier Stunden verbrachten sie damit, von Krankenhaus zu Krankenhaus zu fahren. Immer wieder wurden sie abgewiesen; in einer Einrichtung hieß es, die betreffende Station nehme nur Covid-Patienten auf, eine andere verlangte vor der Behandlung eine hohe Kaution.Am nächsten Nachmittag erklärte ein Arzt in einem Krankenhaus, das Anna schließlich aufnahm, dass sie sich in einem kritischen Zustand befinde und Komplikationen nach einer Abtreibung habe. Dort erhielt Anna eine Nachricht von dem Facebook-Verkäufer, der die zweite Zahlung – die restlichen 50 Prozent – erwartete. „Anna wurde wütend. Sie sagte: Wie soll ich dich bezahlen? Ich bin im Krankenhaus“, erinnert sich Carla. Der Verkäufer blockierte sie auf Facebook. Sie verbrachte einen Monat und 15 Tage im Krankenhaus. Dort sagte sie ihren Verwandten, dass sie keine Behandlung wolle und lieber sterben würde. Anna stabilisierte sich und setzte die Dialyse monatelang zu Hause fort, beendete die Behandlung jedoch vorzeitig.In den folgenden sieben Monaten wurde sie immer kränker. Sie versuchte, die Behandlung wieder aufzunehmen, aber ihre Familie konnte die Gebühren nicht aufbringen. Sie starb im Juli 2021. Ihre Tante muss noch 600.000 Pesos (etwa 10.500 Euro) an Arztrechnungen bezahlen. Auf den Philippinen stehen viele Frauen vor der gleichen Entscheidung wie Anna und haben das Gefühl, dass sie keine andere Wahl haben, als ihr Leben zu riskieren, um einen illegalen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. Die letzte Schätzung aus dem Jahr 2008 geht davon aus, dass jedes Jahr bis zu 1.000 Frauen an Komplikationen im Zusammenhang mit unsicheren Abtreibungen sterben. Es ist zu befürchten, dass diese Zahl aufgrund der steigenden Zahl von Abtreibungen und der anhaltenden Beschränkungen, die den Zugang zu sicheren Diensten verhindern, auf mehr als 2.000 – sechs Frauen pro Tag – gestiegen ist. „Dies sind vermeidbare Todesfälle und unnötiges Leid für die Frauen“, sagt Jacob.Aktivist*innen vermuten, dass der Online-Verkauf von Abtreibungspillen während der Pandemie stark zugenommen hat. In Foren tauschen Frauen Ratschläge und Bewertungen aus und versuchen, andere auf zuverlässige Anbieter hinzuweisen. Es gibt furchtbare Geschichten darüber, was alles schiefgehen kann. Frauen berichten von Medikamenten, die einfach nicht wirkten oder unerträgliche Schmerzen verursachten.Einige Frauen wenden sich an traditionelle Heiler in ihren Gemeinden, die ihnen kräftige Massagen anbieten, um eine Abtreibung herbeizuführen. Das ist eine schmerzhafte und gefährliche Prozedur, sagt Junice Melgar, Mitbegründerin des Likhaan Centre for Women’s Health: „Es passiert nicht nur einmal – man muss es mehrmals machen, bis man blutet.“Placeholder image-1Sorgen wegen Roe vs. WadeAndere kaufen Kräutermedizin. Außerhalb von Manilas Quiapo-Kirche werden an Ständen Flaschen mit der Aufschrift „Pampa Regla“, zur Auslösung der Menstruation, neben Tischen voller Rosenkränze und religiöser Ikonen angeboten – ein Zeichen dafür, dass Abtreibung in dem katholischen Land ein offenes Geheimnis bleibt. Diejenigen, die gefährliche oder nutzlose Behandlungen anbieten, werden kaum zur Rechenschaft gezogen, da die Angst vor strafrechtlicher Verfolgung und Stigmatisierung die Frauen davon abhält, sich bei den Behörden zu melden oder sich Angehörigen anzuvertrauen.Früher hätten einige Verkäufer in der Gemeinde geholfen, sich um die Frauen zu kümmern, wenn sie krank wurden, sagt April*, eine Freundin von Annas Familie. Wenn jetzt etwas schiefgeht, weiß niemand, was die Frauen genommen haben oder wer es verkauft hat. Der neue Präsident der Philippinen, Ferdinand Marcos, hat die Abtreibung in Fällen von Inzest und Vergewaltigung befürwortet und sie als „die Entscheidung der Frau“ bezeichnet. Aber Frauenrechtlerinnen betrachten diese Äußerungen mit Vorsicht. Sie sind sich des Widerstands bewusst, den die katholische Kirche gegen eine Gesetzesänderung leisten würde.Jacob macht sich auch Sorgen wegen der Auswirkungen, nachdem der Oberste Gerichtshof der USA das Urteil Roe vs. Wade gekippt und damit den jahrzehntelangen Zugang zu sicheren Abtreibungen für Millionen von Frauen in ganz Amerika zurückgenommen hat. „Wenn dies in den USA geschieht und die Abtreibungsgegner sehen, dass dies möglich ist – dass man ein Gesetz umstoßen kann –, könnte sie das ermutigen, dasselbe auch in anderen Ländern zu tun. In der Zwischenzeit erschüttert der Verlust von Frauen wie Anna die Familien im ganzen Land. Carla sagt, sie sei eine lebenslustige und willensstarke junge Frau gewesen, die davon träumte, Anwältin zu werden, motiviert durch die Erfahrungen ihrer Eltern mit dem Strafrechtssystem.Ihre Mutter konnte ihre Beerdigung per Videolink vom Gefängnis aus verfolgen. Ihrem Vater war es nicht gestattet, sich von seiner Tochter zu verabschieden.* Namen geändertPlaceholder authorbio-1