Im Auftrag Beijings?

Hongkong Für die Angriffe auf Demonstranten werden offiziell kriminelle Schlägertrupps verantwortlich gemacht. Die Protestierenden selbst glauben, dass China dahinter steckt
Oppositionspolitiker werfen der Regierung vor, die Angriffe auf Demonstranten zu unterstützen
Oppositionspolitiker werfen der Regierung vor, die Angriffe auf Demonstranten zu unterstützen

Foto: Laurel Chor/AFP/Getty Images

Am 20. Juli machte einer der Redner bei der Kundgebung zugunsten der Regierung einen beängstigenden Vorschlag, wie man die jungen Hongkonger Demonstranten disziplinieren könnte: „Habt ihr Stöcke zuhause? Bringt eure Stöcke mit!“, so der Mitbegründer der Economic Times, Arthur Shek. „Findet einen langen Stock, mit dem ihr euren Sohn vermöbeln könnt. Wer keinen Stock hat, geht in einen Eisenwarenladen und kauft ein Alurohr!“ Am nächsten Tag tauchten auf einem Bahnhof in Yuen Long Dutzende Männer in weißen T-Shirts auf und verprügelten Pendler mit langen Bambusstangen und Rohren.

Auf Aufnahmen ist zu sehen, wie mehrere Männer auf Demonstranten, die von einer Anti-Regierungs-Demonstration zurückkommen, einschlagen und ihnen ihre Knie in die Mägen rammen. Bilder zeigen Fahrgäste mit blutigen Gesichtern und einen mit Blut verschmierten Bahnhof. Mindestens 45 Menschen wurden ins Krankenhaus gebracht.

Shek hat sich unterdessen für seine angeblich als Scherz gemeinten Bemerkungen entschuldigt. Allerdings handelt es sich bei eben diesen Bemerkungen um eines von vielen Details, die den Angriff mit dem regierungsfreundlichen Lager verbinden – zumindest, was die Absicht anbelangt. Demonstranten und Oppositionspolitiker haben der Regierung nicht nur vorgeworfen, bei solchen Angriffen wegzusehen – die Polizei kam erst dazu, als die Angreifer bereits wieder weg waren –, sondern sie auch zu unterstützen.

Galileo Cheng, der für die katholische Kirche arbeitet, wurde verletzt, als er einer angegriffenen Journalistin helfen wollte. Der 34-Jährige musste ins Krankenhaus gebracht werden und erlitt Blutergüsse auf Rücken und Armen. Eine Gesichtsverletzung muss möglicherweise mithilfe eines plastischen Eingriffs behandelt werden.

Die Regierung weiß sich nicht anders zu helfen

Cheng zufolge ist es allgemein bekannt, dass die Triaden in Gegenden wie Yuen Long in den Außenbezirken von Hongkong aktiv sind. „Normalweise würden sie Einheimische nicht angreifen“, sagt er. „Die Triaden zu benutzen, um Bürger anzugreifen und sie einzuschüchtern, damit sie sich nicht mehr politisch engagieren, ist eine verbreitete Taktik der Kommunistischen Partei. Sie nennen es ,qunzhong dou qunzhong‘ – ,die Menge bekämpft die Menge’. Es scheint mir so, als hätte die Regierung kein anderes Mittel, um die Proteste zu stoppen.“

Auf einem Video ist zu sehen, wie der Beijing-freundliche Anwalt Junius Ho die weißgekleideten Männer in Yuen Long trifft, ihnen die Hände schüttelt und den Daumen nach oben reckt. Als einer von ihnen Ho lobt, antwortet dieser mit den Worten: „Ihr seid meine Helden.“ Auf einer Pressekonferenz am 22. Juli reagierte Ho auf die Anschuldigungen, er habe die Männer angeheuert, um Jagd auf Demonstranten zu machen. Er erklärte, er habe mit dem Angriff nichts zu tun. Die Bevölkerung solle sich schützen und sich von gewaltbereiten Demonstranten fernhalten. Als ein Journalist darauf hinwies, dass die Angriffe von den weißgekleideten Männern ausgingen, nicht von den Demonstranten, antwortete er: „Ich weiß nicht, was passiert ist. Ich kann es nicht wirklich kritisieren, aber … es ist natürlich falsch, Menschen zu schlagen. So einfach ist das.” Auch Hongkongs Regierungschefin, Carrie Lam, sowie der Polizeichef weisen jede Verbindung zu dem Angriff entschieden zurück und nennen solche Vorwürfe „beleidigend“.

Die Gewalt vom Sonntag spiegelt in gewisser Weise Angriffe aus dem Jahr 2014 – während der demokratiefreundlichen Regenschirm-Bewegung – wider. Nachdem Demonstranten wochenlang das Stadtzentrum besetzt hatten, begannen Männer mit Festland-chinesischen Akzenten sie gewaltsam anzugreifen. Jetzt, da die jüngsten Proteste in ihre siebte Woche gehen, könnten die Verantwortlichen erneut verzweifelt versuchen, sie endlich zu zerschlagen. „Das ist nicht das erste Mal, dass Schläger geschickt wurden, um Demonstranten zu verprügeln“, sagt Lynette Ong, eine Politikwissenschaftlerin von der University of Toronto, die sich mit dem organisierten Verbrechen in China beschäftigt. „Dass der Angriff besser organisiert war, lässt darauf schließen, dass die Hongkonger Regierung und die Verantwortlichen in Bejing immer verzweifelter und entschiedener versuchen, die Proteste zu beenden.”

Die Angriffe verfehlen ihren Zweck

Für das Vorgehen gibt es Präzedenzfälle auf dem chinesischen Festland. Dort sind örtliche Behörden bekannt dafür, Schläger anzuheuern, um Einwohner einzuschüchtern, die nicht bereit sind, ihr Land aufzugeben, oder Leute zum Schweigen zu bringen, die lästige Petitionen einreichen. „Das zugrundeliegende Motiv ist recht ähnlich. Schläger zu schicken ist eine Möglichkeit, um sich der Verantwortung zu entziehen“, sagt Ong. „Wenn man Schläger schickt, ist das nahezu unmöglich nachzuverfolgen und niemand kann zur Rechenschaft gezogen werden.“

Anders als 2014 scheinen die Angreifer allerdings dieses Mal aus Hongkong gekommen zu sein, denn sie fluchten Cheng zufolge fließend auf Kantonesisch. Die Triaden, die Privilegien genießen, die mit ihren Clans in ihren jeweiligen Gebieten zusammenhängen, müssen nicht zwingend dafür bezahlt oder beauftragt worden sein, die Pendler anzugreifen. „Diese Schläger terrorisieren die Demonstranten, damit weniger Leute zu den Protesten kommen“, sagt der demokratiefreundliche Abgeordnete Ray Chan. „Einige Opportunisten unter ihnen wollen vielleicht sogar politische Anerkennung für ihr Vorgehen bekommen und sich in eine bessere Position manövrieren, um mehr Einfluss auf die Politik der Regierung zu erlangen und diese in ihrem Sinne zu beeinflussen.“

Die Angriffe könnten allerdings ihren intendierten Zweck deutlich verfehlen. Demonstranten haben zu Vorbereitungen zum Kampf aufgerufen. So gibt es Pläne, eine Genehmigung zu beantragen, die nächste Kundgebung ausgerechnet in Yuen Long, dem Ort der zurückliegenden Attacke, abzuhalten.

Lily Kuo berichtet für den Guardian aus Beijing und Hongkong

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Lily Kuo | The Guardian

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