Immer der Herde nach

USA Die Republikaner verfolgen heute eine so konservative Ideologie wie vielleicht noch nie zuvor in ihrer Geschichte. Das treibt die Polarisierung im Wahlkampf voran

Das entscheidende Charakteristikum der derzeitigen US-Politik besteht im wachsenden Konservatismus, wenn nicht gar der zunehmenden Radikalisierung der Republikaner. Seit Geburt der Tea-Party-Bewegung im Jahr 2009 hat sich eine bereits recht konservative Partei noch weiter nach rechts bewegt. Das hat zu einer noch nie da gewesenen Blockadepolitik und extremen Polarisierung zwischen den beiden Parteien geführt. Es ist unwahrscheinlich, dass sich diese Entwicklung in naher Zukunft umkehrt. Der republikanische Rechtsruck dürfte sich weiter verstärken.

Vor einer Woche fanden die Vorwahlen für den Senat von Kansas statt. Auch hier schlugen die konservativen Bewerber dank des Drucks des republikanischen Gouverneurs Sam Brownbacks und der finanziellen Unterstützung durch die berüchtigten Koch-Brüder fast alle der verbliebenen moderaten Republikaner. Auch in Missouri gewann der Kongressabgeordnete Todd Akin, ebenfalls ein Liebling der Konservativen, gegen zwei moderatere Konkurrenten die parteiinterne Senatsvorwahl. Auch wenn in einigen dieser Fälle andere Gründe als rein ideologische eine Rolle gespielt haben mögen, lassen sich die Anzeichen einer ideologischen Transformation der Partei nicht ignorieren. Eine nicht unwesentliche Rolle spielt auch das Geld, das von außen fließt – etwa von Fanatikern wie den von den Koch-Brüdern finanzierten Americans for Prosperity, dem Tea Party Express und dem Club for Growth oder konservativen Gruppen wie Ralph Reeds Faith and Freedom Coalition.

Romney übte sich in Mäßigung

Die grundsätzlichere Botschaft der genannten Ereignisse ist nicht zu übersehen. Sie gerinnt in der Frage: Welchen Grund sollte es geben, einen politischen Kompromiss oder eine Versöhnung mit den Demokraten anzustreben, wenn man damit die Tea Party herausfordern könnte, die dann ihre Millionen dafür eingesetzt, einem die Karriere zu beenden? Das einzig Vernünftige besteht darin, auf der rechten Seite des politischen Zauns zu bleiben. Diese Botschaft wurde den republikanischen Politikern während der vergangenen zwei Wahlperioden eingehämmert. Sie hinterließ auch bei der Kandidatur des Präsidentschaftskandidaten ihre Spuren. Als Mitt Romney sich 1994 in Massachusetts zum ersten Mal zur Wahl stellte, präsentierte er sich als relativ gemäßigter, technokratischer Geschäftsmann. Bei umstrittenen sozialen Themen wie Abtreibung nahm er gemäßigtere Positionen ein und in einem Jahr, in dem die Republikaner politisch Oberwasser hatten, vermied er es tunlichst, mit Newt Gingrich und der Bundespartei in Verbindung gebracht zu werden.

Auch als er sich 2002 für den Posten des Gouverneurs von Massachusetts bewarb, wich er nur unwesentlich von diesen Positionen ab, bekräftigte weiter seinen Glauben an die Wahlfreiheit und machte sich bei der Waffenkontrolle eine Position zu eigen, die der einflussreichen National Rifle Association widersprach. Selbst 2008, als er erstmals für das Präsidentenamt kandidierte, warb er noch für seine wichtigste innenpolitische Initiative – eine Gesundheitsreform.

Aber diese Zeiten sind vorbei. Die Republikaner sind seit damals kontinuierlich nach rechts gerückt, und Romney vertritt in diesem Sog zunehmend schrillere Positionen. Während der Primaries hatte er es mit einer bunten Ansammlung von Mitkonkurrenten zu tun, die alle ebenfalls den Segen der Tea Party erhielten, und war gezwungen, zu Einwanderung, öffentlichen Ausgaben, Steuern, Abtreibung und einer Reihe weiterer Themen, die den konservativsten Mitgliedern der Partei am Herzen liegen, Stellung zu beziehen. Das machte ihn verwundbar für Gegenangriffe der Demokraten.

Romney verliert die Latinos

Das beste Beispiel ist vielleicht die illegale Einwanderung. Romney übernahm bei dieser Herzenssache der Tea Party die Positionen der Fanatiker bis zu dem Punkt, dass er den unbeliebten texanischen Gouverneur Rick Perry dafür kritisierte, dass dieser illegalen Einwanderern den Zugang zu Sozialleistungen nicht rigoros genug verschloss. Das brachte Romney zwar einen Schub in den Vorwahlen, sorgte aber gleichzeitig dafür, dass doppelt so viele Latinos Obama wählen wollen als Romney.

So wie die republikanischen Abgeordneten im Senat hat auch Romney Grund, den Zorn der Tea Party zu fürchten. Nur drei Wochen vor dem Wahlkonvent der Republikaner ist er in der unbequemen Lage, die Parteirechten von seiner konservativen Haltung überzeugen zu müssen.

Mit der Ernennung des Wisconsiner Kongressabgeordneten Paul Ryan, einem Liebling der Konservativen, zum Vizekandidaten, hat der extrem rechte Flügel Romney komplett für seine Sache gewonnen. Der Verfasser des so genannten Ryan-Haushalts, den das US-Repräsentantenhaus bereits verabschiedet hat und der das soziale Sicherungsnetz zerfetzen und dem wichtigsten staatlichen Gesundheitsprogramm Medicare ein Ende bereiten würde, ist im rechten Parteiflügel beliebt. Seine Wahl erlaubt es der Obama-Mannschaft aber auch, Romney direkter anzugreifen, indem sie die unpopulärsten Elemente des Ryan'schen Haushaltsplans attackiert.

Die Entscheidung für Ryan ist desaströs, aber sie sinnbildlicht, wie sehr Romney durch die Tea Party die Hände gebunden sind. Diese zu beschwichtigen, ist ebenso wichtig, wie die Hand nach weniger konservativen Wählern auszustrecken. Statt die Republikaner zu führen, folgt Romney einfach der Herde.

Aber warum sollte er auch anders sein als der Rest seiner Partei? Binnen vier kurzer Jahre wurden dort jegliche ideologischen Abweichungen beseitigt. Moderate Republikaner trifft man derzeit eher in Geschichtsbüchern als leibhaftig.

Falls Romney verliert

Die Republikanische Partei, das ist inzwischen die Tea Party. Sollte Romney im November gewinnen, werden seine moderaten politischen Instinkte (wenn sie nach Jahren der Anbiederung an den rechten Parteiflügel nicht völlig erodiert sind) nicht gegen die Lautstärke und Rage jener Republikaner im Kongress ankommen, die Treue zu ihrer Agenda verlangen. Sollte es so kommen, können sich die Amerikaner von großen Teilen des sozialen Wohlfahrtsstaates verabschieden, den sie theoretisch verhöhnen, in den konkreten Details – wie Medicare, der staatlichen Bildungsfinanzierung oder den Umwelt- und Arbeitsschutzbestimmungen – jedoch lieben.

Sollte Romney im November unterliegen, was immer wahrscheinlicher wird, ist von den Republikanern kein In-Sich-Gehen zu erwarten. Vielmehr werden die Konservativen sich einreden, ihr Fehler sei gewesen, statt eines Möchtegerns à la Romney keinen wirklich Rechten nominiert zu haben.

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Michael Cohen | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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