Imponiergeballer

Kaschmir Indien und Pakistan können sich einen Krieg nicht erlauben. Die Luftangriffe waren eher ein Wahlkampfmanöver
Ausgabe 10/2019
Kaschmir bleibt geteilt und anfällig für Gewalt. Die Region ist weiterhin ein Unruheherd, was Extremisten zu-passkommt
Kaschmir bleibt geteilt und anfällig für Gewalt. Die Region ist weiterhin ein Unruheherd, was Extremisten zu-passkommt

Foto: Ntin Kanotra/Hindustan Times/Getty Images

Die Freilassung des gefangenen indischen Piloten durch Pakistan gilt als Geste des guten Willens, doch ist sie ebenso ein Schuldeingeständnis. Islamabad duldet immerhin die Camps islamistischer Freischärler wie der Jaish-e-Mohammed (JeM) in seinem Teil Kaschmirs. Es waren Terroristen dieses Kalibers, die am 14. Februar ein Massaker verübten, bei dem 44 indische Sicherheitskräfte getötet wurden. Doch wirkten die daraufhin von Premier Narendra Modi angeordneten Luftangriffe mehr wie ein Imponiergehabe denn als Vorspiel zum Krieg. Die inzwischen zu registrierende Deeskalation belegt das – weder die Regierung in Islamabad noch die in Delhi können sich derzeit einen ausgewachsenen Konflikt leisten.

Pakistans Premier Imran Khan durchläuft noch eine Phase der politischen Akklimatisierung, nachdem er Mitte 2018 die Regierung übernommen hat. Indiens Regierungschef will im April oder Mai für eine zweite Amtszeit gewählt werden. Er muss daher Stehvermögen zeigen, ohne zu überziehen. Verglichen mit einer leicht ausufernden Operation der indischen Armee am Boden, auf die Pakistan zwangsläufig hätte reagieren müssen, schien ein „gezielter Luftangriff“ die weniger riskante Variante zu sein. Erhitzte Hindu-Nationalisten wollten Modi zu einem drastischeren Aktionismus drängen, der aber widerstand jeder Vergeltungssucht, wobei ihm zugutekam, dass auf der anderen Seite Imran Khan sofort versöhnliche Töne anschlug.

Seit 1947 Indien und Pakistan in zwei Staaten geteilt wurden, ging es bei zwei der drei schwersten Zusammenstöße zwischen den Erzrivalen um die Region Kaschmir. Dabei hatten der Schlagabtausch von 1965 und der Krieg um das Kargil-Tal 1999 sowie eine Reihe kleinerer Konflikte eines gemeinsam: Sie brachten keine Lösung. Kaschmir bleibt geteilt und anfällig für Gewalt. Die Region ist weiterhin ein Unruheherd, was Extremisten zupasskommt.

Könnte es sein, dass unter diesen Umständen ein pakistanischer Führer wie Khan die Lehren der Geschichte annimmt? Sein Land wird das mächtigere, wohlhabendere, ökonomisch prosperierende Indien nicht besiegen. Jeder Versuch, es zu tun, wäre zum Scheitern verurteilt. Auf Kernwaffen zurückzugreifen, wäre keine Option. Dagegen hat Indien einen militärischen wie diplomatischen Schutzwall aufgebaut – und das erfolgreich. „Können wir uns angesichts der Waffenarsenale, die Sie und wir besitzen, eine Fehleinschätzung leisten?“, fragte denn auch Khan bei einer Fernsehansprache und insistierte, „dass die Vernunft siegen sollte“.

Der entscheidende Rückhalt für Islamabad bleibt die Allianz mit China, dem treuen Freund und mächtigen Investor. China vermittelt die Gewissheit, dass man eine Schlüsselrolle beim Seidenstraßenprojekt von Staatschef Xi Jinping spielt. Überdies war erst kürzlich der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman in der pakistanischen Kapitale zu Gast und gab sich gleichfalls als so reicher wie mächtiger Unterstützer zu erkennen. Ganz anders als Präsident Trump, der Islamabad zu viel Beistand für extremistische Gruppen vorwirft. Prompt wurde die US-Alimentierung der pakistanischen Sicherheitskräfte gekürzt. Viele Pakistaner haben das als Ende eines strategischen Vasallentums ebenso begrüßt wie den erwarteten Rückzug der USA aus Afghanistan.

Als Indien nach dem Attentat vom 14. Februar Pakistan mit „internationaler Schande“ drohte und schwor, es diplomatisch „komplett zu isolieren“, wurde mehr versprochen, als sich halten ließ. Was bis heute für viel Frust in Indien sorgt. Geben sich deshalb die meisten Minister aus Modis Kabinett so betont nationalistisch? Sie feiern den Luftangriff als „große Heldentat“ und versprechen, künftig noch „härter und stärker“ durchzugreifen. Solcherart Hurrapatriotismus hat es mitnichten verdient, überbewertet zu werden. Er folgt dem Kalkül, im Wahlkampf mit dem Thema Kaschmir reüssieren zu können. Wer sich mit der jüngsten Geschichte beschäftige, müsse erkennen, dass nur politische Mediation Indien von einem stets wiederkehrenden Kaschmir-Albtraum befreien könne, urteilt der Sicherheitsexperte Happymon Jacob. „Das aggressive Vorgehen hat die öffentliche Meinung im Süden des pakistanischen Teils von Kaschmir gegen Indien gewendet“, schrieb Jacob in der indischen Tageszeitung The Hindu. Indien stecke in einer Zwickmühle. Es werde „viel Geschick, inoffizielle Diplomatie und eine Vision“ nötig sein, um Kaschmir endlich zu befrieden.

Simon Tisdall ist Kolumnist des Guardian

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Übersetzung: Carola Torti
Geschrieben von

Simon Tisdall | The Guardian

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