In Historie getränkt

Scotch Für schottischen Whisky werden Fantasie-Preise bezahlt. Wie wurde aus einer regionalen Spezialität ein milliardenschweres globalisiertes Geschäft? Eine Vor-Ort-Recherche

Es sei noch gar nicht lang her, erzählt Neil Urquhart, da sei dieser Typ bei ihm in den Laden gekommen. Der Laden ist das Gordon MacPhails in Elgin im Nordosten Schottlands. Dieses 1895 eröffnete Mekka des Malt Whiskys hat über tausend Sorten im Angebot und verkauft nahezu jeden derzeit in Großbritannien erhältlichen Scotch.

Der Kerl, der da reingekommen war, sagt Urquhart, „hat gewusst, was er wollte. Einen speziellen Ardbeg und einen älteren Macallan. Es war ein Taiwanese. Er hat vier Flaschen Whisky für 20.000 Pfund gekauft.“ Selbst für den Scotch-Markt, in dem Edel-Produkte heute enorme Preise erzielen, ein bemerkenswerter Einkauf.

Neil Urquhart gehört zur vierten Generation seiner Familie, die bei Gordon MacPhails arbeitet. Echte Whisky-Kenner kommen hierher – an einen gediegenen, beruhigenden Ort in einer gediegenen Stadt im Norden der Region Speyside, in der mehr als die Hälfte der über einhundert Whisky-Destillerien Schottlands beheimatet sind. Jeden Monat geben einige Whisky-Afficionados im Gordon MacPhails 5.000 Pfund oder mehr aus.

Es gibt also offenbar viele Leute, die Geld haben und Whisky mögen. Nach eigenen Angaben trugen die Verkäufe der Mitglieder der Scottish Whisky Association im zurückliegenden Jahr 3,45 Milliarden Pfund (knapp vier Milliarden Euro) zum britischen Exportvolumen bei – zehn Prozent mehr als 2009 und 60 Prozent mehr als noch vor zehn Jahren. Jede Sekunde wird heute schottischer Whisky im Wert von 123 Euro verkauft.

Der Scotch ist zu einem milliardenschweren globalen Phänomen geworden, zu einer eigenen Welt mit Büchern, Magazinen und Webseiten. Die Whiskyexperten – die Maltheads oder Whiskygeeks – stehen den Weinkennern in Sachen verfeinerter Prosa in nichts nach: Das Malt Whisky Yearbook beschreibt den Ardbeg etwa als „sanft torfig, nach geräuchertem Fisch schmeckend, mit einem Hauch Lakritz“. Der Glenlivet erinnere dagegen an „frisch geschnittene Äpfel, Rhabarber und Stachelbeeren“.

In Speyside gibt es Bars, die sich ausschließlich auf Scotch spezialisiert haben. Einige Meilen südlich von Elgin bieten Duncan Elphick, Inhaber des Highlander Inn, und sein bewanderter Whiskymanager Tatsuya Minagawa 280 Sorten an, dazu eine Auswahl von Probentabletts, die Namen wie Some Great 18-Year-Olds oder The Ultimate Tour of Scotland tragen.

„Unsere Gäste kommen von überall her“, sagt Minagawa, der selbst vor Jahren aus Japan kam und blieb. Schotten und Engländer seien natürlich darunter, aber auch „Deutsche, Holländer, Franzosen und Skandinavier, die sich unheimlich gut auskennen. Viele Amerikaner und Kanadier. Auch Taiwanesen und Japaner. Und letzte Woche war ein Tscheche da, der mehr über Scotch wusste als die meisten Schotten.“

Je älter, desto besser

Mit dem kleinen Steindenkmal, das in den Hügeln über den Tälern der Flüsse Avon und Livet den Ort kennzeichnet, an dem ein gewisser George Smith 1824 eine Brennerei baute, hat das alles nicht mehr viel zu tun. Smiths Brennerei gilt heute weithin als Wiege der modernen Whisky-Industrie. (Allerdings gibt es dazu auch abweichende Meinungen. Alter und Tradition sind im Single-Malt-Gewerbe wertvoll. Denn je weiter die Geschichte einer Destillerie zurückreicht und je besser sie sich erzählen lässt, desto höher sind die Verkaufszahlen.)

Smith reichte kurz nach dem 1823 erlassenen Excise Act, der das Whiskybrennen für legal erklärte, einen Antrag zur Errichtung einer Brennerei ein. „Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass er das Brennen von seinem Vater und Großvater lernte, die Bauern waren“, erzählt Ian Logan, internationaler Botschafter der Marke Glenlivet. „Damals wurde überall illegal gebrannt und geschmuggelt, schon seit dem 15. Jahrhundert. Es gab komplexe, gut organisierte Netzwerke, die sich über weite Distanzen mit Signalen informierten, wenn Soldaten gesichtet wurden.“

Wir stehen neben dem Steinhaufen, der an Smiths Destillerie erinnern soll, und schauen den Hügel hinunter auf die heutige Glenlivet-Brennerei: Man sieht lange Hallen. Darin lagern zehntausende Fässer, in denen Whisky reift. Ein Besucherzentrum empfängt jedes Jahr 45.000 Menschen. Kürzlich erst wurde hier ein 10 Millionen Euro teurer Erweiterungsbau eröffnet. Die zehn Mitarbeiter, die an jedem Produktionszyklus beteiligt sind, könnten zehn Millionen Liter Whisky im Jahr produzieren. „Das muss man sich mal vorstellen“, sagt Logan. „Die können fast jedes Land der Welt bereisen, dort in fast jede Bar gehen und ihre Erzeugnisse sehen.“

Die Herstellung von Whisky sei nicht besonders schwierig, erzählt Logan. Schwierig sei, einen richtig guten Whisky zu machen. Zuerst wird Gerste gemälzt, indem sie durchfeuchtet und dann getrocknet wird. Der bei der Trocknung verwendete Torf soll schottischen Whiskys dabei ihren charakteristischen, torfigen Geschmack verleihen. Die gemälzte Gerste wird gemahlen und anschließend heißes Wasser darunter gemischt. Dann wird gerührt, bis die enthaltene Stärke sich in Zucker verwandelt. Die hierbei entstandene Flüssigkeit wird schließlich in einen Gärtank gepumpt und Hefe hinzugefügt.

Erst jetzt kommen die Brennblasen zum Einsatz, formschöne Apparaturen aus glänzendem Kupfer. Die neue Brennhalle der Glenlivet-Destillerie ist ein kirchenähnlicher Raum mit hoher Decke, dessen Glasfenster den Blick auf das Tal freigeben. Beinahe religiös, sei die Atmosphäre hier, sagt Logan. Die Tochter des Herstellungsleiters habe hier sogar geheiratet.

Die Brennblasen sind Zweiergespanne. In der ersten wird das, was aus dem Gärtank kommt, erhitzt, bis der Alkohol als Dampf aufsteigt. In der zweiten Brennblase, der spirit still, wird das Ergebnis beim Feinbrand nochmals erhitzt. Was dabei als erstes herauskommt, der Vorlauf, ist nicht zu gebrauchen. Ebenso wenig der Nachlauf. Auf den Mittel- oder auch Herzlauf kommt es an. Der Charakter des Whiskys hängt entscheidend davon ab, wann dieser entnommen wird.

„Es ist wie bei einem Puzzle“, sagt Ian Chapman, Marketing-Manager bei Gordon MacPhail. „Wenn man einen Whisky macht, zählt jedes Detail. Die Gerste, das Wasser, die Hefe. Das Timing. Ob der Gärtank aus Holz oder Stahl besteht. Auf welche Weise die Brennblasen erhitzt werden. Und natürlich die Fässer.“

Wer Whisky macht, der liebt seine Fässer. Was sich schottischer Whisky nennen darf, muss mindestens drei Jahre lang in Eichenfässern reifen. Jedes einzelne immer wieder verwendete Fass beeinflusst einen Whisky unterschiedlich, fügt Geschmacksnoten, Aromen und Farben hinzu, schluckt oder vermengt andere.

Der allergrößte Teil der in Schottland gebrannten Whiskys wird aber entweder mit anderen Single Malts oder weit günstigeren Grain Whiskies aus ungemälztem Getreide gemischt. So entstehen sogenannte Blends, wie Ballantaine’s, Johnny Walker oder Chivas Regal. Einige sind durchaus von hoher Qualität, andere nicht. Neunzig Prozent des weltweit verkauften Scotch sind Blends. Die Single Malts gelten Kennern und Statussuchenden zwar als heilig. Auf das Geschäft mit den Blends könne man aber nicht verzichten, sagt Campbell Evans von der Scotch Whisky Association: „Die Brennereien sind wirtschaftlich darauf angewiesen – und die Leute kommen darüber erst zum Scotch.“

Warum erlebt der Scotch aber nun einen Boom, der auf dem Getränkemarkt seinesgleichen sucht? Früher wurde der Export der schottischen Spirituose durch die Strukturen des Empires, später durch den Commonwealth begünstigt. Hauptkonsumenten waren lange Zeit die Amerikaner, die immer noch für rund 560 Millionen Euro im Jahr Whisky trinken, gefolgt von den Franzosen, die jährlich 180 Millionen Whisky-Flaschen leeren. Die am schnellsten wachsenden Märkte sind heute aber Brasilien, Russland, China und Indien.

Wie Champagner

Scotch zähle wie Champagner zu den „prestigeträchtigsten Getränken der Welt“, sagt Glenlivet-Botschafter Logan. „In vielen Ländern gilt Scotch als Zeichen dafür, dass man es geschafft hat und es auch zeigen will.“ Bei Gordon MacPhail konnte man im vergangenen Jahr eine Exportsteigerung von 60 Prozent beobachten. Geschäftsführer Michael Urquhart hält den gestiegenen Wohlstand für die Ursache des Whiskybooms. „Whisky hat eine wunderbare Tradition – die Geschichte eines Produktes, seine Herkunft wird den Leuten immer wichtiger.“

Vor allem steckt aber eine erfolgreiche Marketingstrategie dahinter, die den schottischen Whisky nach und nach zu einem „Premium-Produkt“ machte. Indem man die Qualität der Blended Whiskies erhöhte und die Single Malts immer unverkennbarer und „schicker“ machte, gelang es, auch die Preise immer weiter hochzuschrauben – der jüngste Schritt ist der erste vollkommen ökologische Whisky, den die Destillerie Benromach in Speyside produziert.

Eine andere Erklärung für den Erfolg könnte sein, dass Whisky-Produzenten in einer Welt des schnellen Geldes durch die Natur ihres Gewerbes dazu gezwungen sind, extrem langfristig zu denken. Ihre Entscheidungen heute bestimmen, was sie in 15, 25, 50 oder gar 70 Jahren im Angebot haben werden. „Dank der Voraussicht meines Urgroßvaters können wir heute einen 70 Jahre alten Malt verkaufen“, sagt der 35-jährige Neil Urquhart. „Es ist schon komisch, sich vorzustellen, dass einiges von dem, was wir heute herstellen, erst das Tageslicht erblickt, wenn ich in Rente bin.“

Bevor ich die Glenlivet-Destillerie verlasse, führt Ian Logan mich für eine Probe verschiedener Abfüllungen aus der Brennerei in die Stille der Bibliothek. Ich bekomme den 16-jährigen Nadurra (schmeckt ein wenig nach Apfelkuchen, Sahne, Zimt), den 18-jährigen (Karamell, Milchschokolade, reife Birnen) und den 25-jährigen (beinahe zäh) zu schmecken. Dann verlässt Logan kurz den Raum. „Hiervon kann ich Ihnen nichts geben“, sagt er, als er zurückkommt. „Der ist 2.000 Pfund wert. Aber riechen Sie mal. Denken Sie daran, was so geschah, als er gebrannt wurde, was seitdem alles passierte.“ Es ist ein 1959er. „Richtig interessant wird es“, sagt Logan, „wenn man einen Scotch trinkt, der älter ist als man selbst.“

Jon Henley schreibt für den Guardian über Gesellschaftsthemen. Und gern auch über gutes Essen und Trinken

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Jon Henley | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

The Guardian

Die Vielfalt feiern – den Freitag schenken. Bewegte Zeiten fordern weise Geschenke. Mit dem Freitag schenken Sie Ihren Liebsten kluge Stimmen, neue Perspektiven und offene Debatten. Und sparen dabei 30%.

Print

Für 6 oder 12 Monate
inkl. hochwertiger Weihnachtsprämie

Jetzt sichern

Digital

Mit Gutscheinen für
1, 6 oder 12 Monate

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden