Ins Abseits manövriert

Großbritannien David Cameron hat auf dem EU-Gipfel den Mut zum Veto verloren und so Großbritanniens Chance verspielt, auf die weitere Entwicklung der europäischen Union Einfluss zu nehmen

Als sich Britanniens Premier auch auf dem jüngsten EU-Gipfel weigerte, den Fiskal-Vertrag zu unterzeichnen, erntete er lauten Applaus. Die Konservativen legten in den Umfragen fünf Punkte zu. 70 Prozent der aktiven Tories bezeichneten Camerons Veto als dessen größten Augenblick. Die mit größter Begeisterung applaudierten, waren allerdings oft sehr vage, wenn sie gefragt wurden, wem ihre Begeisterung überhaupt gelten sollte. Das ist absolut nicht polemisch gemeint: Der Gipfel fand hinter verschlossenen Türen statt, und es dauerte, bis der Vertragstext der Öffentlichkeit zugänglich war. Aber niemand störte sich weiter daran. Es genügte zu wissen, dass zum ersten Mal seit der Durchsetzung des Briten-Rabatts im Jahr 1984 ein britischer Premier Brüssel die Stirn geboten hatte.

Dennoch lohnt es sich, in Erinnerung zu rufen, was Cameron genau ablehnte – und was er schließlich akzeptierte. Wie gewöhnlich stellen die meisten Kommentatoren die Geschichte als Kampf zwischen dem Premier und dem rechten Flügel seiner Tories dar. Nach dieser Erzählung steht Cameron wegen der Frage unter Druck, ob das neue Abkommen auch das Vereinigte Königreich betreffen wird.

Kein Einspruch

Es war freilich nie davon die Rede, dass Großbritannien oder irgend ein anderes Nicht-Euro-Land an die Bestimmungen des Abkommen gebunden sein soll. Das heißt, der britische Premier konnte schärferen Regeln für die Euro-Länder Regeln recht gelassen gegenüberstehen. Wenn er überhaupt eine Meinung dazu hatte, war er sogar eher dafür als dagegen. Beim Dezembergipfel war Cameron noch mit der Forderung nach einer Gegenleistung aufgetreten. Es hieß, wenn die Euro-Länder EU-Institutionen und -Verfahren zur Überwachung ihres Abkommens heranziehen wollten, müssten sie Großbritannien zusichern, dass dessen Finanzdienstleister von dieser Art Regulierung ausgenommen würden. Hierzu fand sich keine Mehrheit, und es kam zum Bruch mit Großbritannien.

Die Pro-Fiskal-Pakt-Staaten machten deutlich, dass sie den Einwand der Briten nicht gelten ließen. Theoretisch handelt es sich um ein Abkommen zwischen 25 Ländern, die nur zufällig auch EU-Mitglieder sind. Praktisch jedoch greift es vollständig auf die institutionelle Struktur der EU zurück, gibt zum Beispiel regelmäßige Treffen des Europäischen Parlaments vor und legt fest, dass bei Verstößen die Strafen vom Europäischen Gerichtshof verhängt werden. Hierfür fehlt jede rechtliche Grundlage, denn eine Untergruppe von EU-Staaten kann genauso wenig das Europäische Parlament einberufen wie den japanischen Reichstag. Und sie kann genauso wenig auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vertrauen wie auf das des Obersten Gerichts von Mauritius. Dennoch hat Großbritannien keinen Einspruch gegen diese ungeheuerlichen Rechtswidrigkeiten erhoben. Um es noch einmal klar zu machen: Das war alles, worum es bei diesem Gipfel ging. Die Weigerung, sich der EU-Mechanismen zu bedienen, war nicht Teil von Camerons Veto, es war sein Veto.

Gelegenheit vertan

In

London hatte eine Chance, wie sie sich nur alle 30 Jahre einmal ergibt, die Bedingungen der britischen Mitgliedschaft zu verbessern. Man hätte auf einer Rückübertagung von Befugnissen oder alternativ dazu auf einer Teilung Europas in zwei Blöcke bestehen können: Die Europäische Union (EU) und die Fiskal-Union (FU) – ein Akronym, das nebenbei gesagt die Haltung ihrer politischen Führer gegenüber deren Bevölkerungen gut auf den Punkt bringt. Im Klartext heißt das, Du bist Ire und hast keine Lust mehr, immer noch höhere Steuern zu zahlen, um wohlhabende europäische Banker und Aktenbesitzer zu entschädigen? FU! Du bist Griechin und willst eine Abwertung, damit dein Unternehmen wieder wettbewerbsfähig wird? FU! Du lebst in Italien und wunderst dich, warum in deinem Kabinett kein einziger gewählter Politiker sitzt? FU!

Wenn die Fiskal-Union nunmehr den wesentlichen Rahmen der ökonomischen Integration darstellt, hätte David Cameron auch darauf drängen können, dass sie auch zur entscheidenden Einheit für die politische Integration weiterentwickelt wird. Er hätte auf die schrittweise Übertragung von Kompetenzen von der EU hin zu der FU drängen können, bis von der EU nichts mehr übrig geblieben wäre als eine erweitere Freihandelszone. Eben eine EFTA-plus.

Stattdessen ließ sich Großbritannien von der Aussicht beunruhigen, es könnte für den Zusammenbruch der Eurozone verantwortlich gemacht werden und gab nach. Die Gelegenheit verstrich. Sie kommt nie wieder, und eines muss nun jedem Briten klar sein: Es gibt jetzt keine Möglichkeit mehr, die Bedingungen unserer Mitgliedschaft zu verbessern oder die EU von innen radikal zu reformieren. Anstatt darüber zu fantasieren, was für eine EU wir uns idealerweise gewünscht hätten, werden wir uns nun entscheiden müssen, ob wir derjenigen, die gerade Gestalt annimmt, noch angehören wollen. Deshalb hat sich die Debatte unaufhaltsam auf die Frage eines Referendums über die Mitgliedschaft Großbritanniens in der EU zubewegt. Am 30. Januar wurde die von People's Pledge initiierte Unterschriften- Kampagne für ein solches Referendum im Guardian vorgestellt

Ich hoffe, dass möglichst viele sich überlegen, ob sie unterschreiben sollen oder nicht, egal, ob sie für oder gegen eine britische EU-Mitgliedschaft sind und sich politisch links, rechts oder in der Mitte verorten. Die entscheidende Frage sollte dabei nicht das mögliche Resultat der Umfrage sein, sondern die Frage, ob es richtig ist, in dieser Sache überhaupt die Bevölkerung zu konsultieren.

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Übersetzung Holger Hutt
Geschrieben von

Daniel Hannan | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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