In einem Artikel der New York Times über den anti-islamischen Hass, der momentan in den Massendemonstrationen gegen die sogenannte Moschee von Ground Zero zu Tage tritt, stellte Frank Rich in der vergangenen Woche die berechtigte Frage: „Wie will man die Herzen und Köpfe der Muslime in Kandahar gewinnen, wenn man den Muslimen in New York jede nur erdenkliche Beschimpfung und Schmähung angedeihen lässt?“ Amerikaner, die dieser „merkwürdige kollektive Nervenzusammenbruch“(Maureen Dodd) erschüttert, zeigen mit dem Finger auf die üblichen Verdächtigen: Es seien die Rechten, deren „Angstmache und Desinformation“ von dem „giftigen Resonanzraum der modernen Medien verstärkt“ werde. Dabei wurde schon lange vor dem August des Jahres 2010 Gift gegen den Islam versprüht, und das nicht allein von Rechten.
Bestseller-Autoren und Berufs-Ex-Muslime wie Ayaan Hirsi Ali mögen zu den „neuen Helden“ des Kreuzzugs der Republikaner gegen die Muslime avanciert sein, wie Peter Beinart es formulierte, sie dienen der Bigotterie und oft genug der schieren Unwissenheit des Westens über den Islam aber schon lange als Alibi. An diesem Montag übte die Hirsi Ali Deutschlands – die türkischstämmige Autorin Necla Kelek – den Schulterschluss mit Thilo Sarrazin, als dieser seine Auffassung bekräftigte, die Muslime würden die mutmaßlich „arischen“ Deutschen durch höhere Geburtenziffern langfristig zu einer Minderheit machen und alle Juden hätten ein gemeinsames Gen.
Die meisten dieser Renegaten verdienen gut an ihrem Feldzug gegen den Islam und werden von einflussreichen Institutionen und Einzelpersonen in den USA und Europa unterstützt. Hirsi Ali, die gerne der Voltaire des Islam wäre, wird nicht nur von rechtsradikalen Verrückten wie Pamela Geller und Glenn Beck begeistert unterstützt, sondern auch von der Herausgeberin und Journalistin Tina Brown. Gewiss legt Hirsi Alis Lebensgeschichte ein eindringliches Zeugnis von den Erniedrigungen ab, die Frauen in patriarchalen Kulturen zu erleiden haben. Sie soll ruhig behaupten dürfen, Muslime würden darauf programmiert, Ungläubige zu töten und die Körper von Frauen zu verstümmeln, auch wenn dies viele beleidigen mag. Wenn sie aber erklärt, der zivilisierte Westen habe keine andere Wahl als den barbarischen Islam im clash of civilisations auszumerzen, nützen solche Aussagen lediglich ihren neokonservativen Arbeitgebern und deren ideologischen Brüdern in den Höhlen Afghanistans und Pakistans. Und ihre jüngsten Aufforderungen an Muslime, zum Christentum überzutreten, rücken sie eher in die Nähe eines Billy Graham als in die Voltaires.
Diejenigen, die heute Hirsi Alis Krieg gegen den totalitären Islam unermüdlich Beifall spenden, hatten wenig bis gar nichts zu dem Unwesen zu sagen, das islamistische Fanatiker in Pakistan und Afghanistan während des Dschihad gegen die Sowjetunion in den 1980ern trieben. Erst der schon lange heraufziehende Backlash, der mit dem elften September schließlich den Westen erreichte, brachte sie dazu, sich über „den Islam“ zu informieren – was für das Verständnis des Gegners in etwa so zweckdienlich gewesen sein dürfte wie wenn Afghanen, deren Dorf gerade von einer amerikanischen Drone zerstört wurde, sich hinsetzen, um Kants Aufsatz Was ist Aufklärung? zu studieren.
Viele dieser Islam-Beobachter haben sich für die abscheulichen Kriege stark gemacht, die bereits Hunderttausende von Muslimen getötet und unzähligen weiteren das Leben ruiniert haben. Dessen ungeachtet präsentieren sie sich nach wie vor als tapfere, einsame Kämpfer gegen die inneren Feinde der westlichen Zivilisation, die sie entweder in Muslimen erblicken, die sich hartnäckig weigern, sich die Weltsicht wahrer amerikanischer Patrioten zu eigen zu machen, oder in „politisch korrekten“ Linksliberalen, die vor lauter Angst die Wahrheit über den Islam nicht hören wollen, geschweige denn in der Lage sind, ihn auszusprechen. Nun haben Millionen wütender Amerikaner diese wenig erbauliche Debatte in Gang gebracht, in der das Verlangen zum Ausdruck kommt, eine religiöse Minderheit zum Sündenbock für das militärische und wirtschaftliche Scheitern Amerikas verantwortlich zu machen.
Die Stigmatisierung ethnischer und religiöser Bigotterie zählt zu den wenigen gesellschaftlichen Fortschritten der vergangenen 50 Jahre. Dieser Prozess ist allerdings nicht irreversibel und die Hexenjäger können auch heute noch gelegentliche Erfolge feiern. Es sind aber ihre intellektuellen Komplizen, die bei der Nachwelt die größte Verachtung auf sich ziehen werden.
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