Irgendwann sind die Gläubiger dran

US-Bonität Die Herabstufung der Kreditwürdigkeit des US-Staates durch die Rating-Agentur S&P wirkt zwar demütigend, ist aber berechtigt, und hat vor allem politische Gründe

Über die Abwertung der Bonität von US-Staatsanleihen durch die Rating-Agentur Standard Poor's wird viel inhaltsleeres Zeug geredet. Daran ändert wenig, dass die anderen beiden großen Rating-Agenturen diesen Schritt nicht vollziehen. Unwichtig ist auch, dass alle drei den schlechten Ruf, den sie sich durch die Überbewertung von Staatsanleihen erworben haben, die maßgeblich zum Kollaps 2007/08 führte und eine ohnehin schon unausgeglichene Wirtschaft in eine Rezession stürzte, ehrlich verdient haben. Die Herabstufung durch S ist wichtig, weil sie zwei Schlüsselaspekte der gegenwärtigen Realität der US-Wirtschaft unterstreicht, die von den meisten Kommentatoren bislang ignoriert oder heruntergespielt wurden.

Der erste Aspekt betrifft die Frage, warum die US-Schulden so schnell ansteigen. Hierfür gibt es drei wesentliche Gründe: Zum einen haben die erheblichen Steuererleichterungen, besonders für Unternehmen und Reiche seit den siebziger Jahren und noch einmal verstärkt seit 2000 dazu geführt, dass Washington weniger Geld zur Verfügung steht. Zweitens haben die kostspieligen Kriege in Afghanistan und dem Irak zu einer dramatischen Erhöhung der Staatsausgaben geführt. Drittens haben teure Rettungspakete für funktionsuntüchtige Banken, Versicherungen, Großunternehmen und das Wirtschaftssystem als solches das Ausgabenvolumen der Regierung weiter aufgebläht. Mit weniger Steuereinnahmen bei den Reichen und Mehrausgaben für den Verteidigungsetat, Kriege und Bailouts musste die Regierung sich die hieraus ergebende Differenz natürlich leihen.

Wie lange noch?

Der zweite Aspekt betrifft den Deal über die Modalitäten einer erhöhtem Schuldenobergrenze, die Präsident Obama und die Republikaner in der vergangenen Woche ausgehandelt haben. Da er keine der drei oben genannten Hauptursachen für die steigende Verschuldung angeht, verspricht dieser Deal für die kommenden Jahre eine weitere erhebliche Erhöhung der Staatsschulden. In der politischen Kontroverse zwischen den beiden Parteien zeigt sich die Macht von Unternehmen und Großverdienern: Deren Steuersenkungen, Vergünstigungen und Regierungsaufträge bleiben unangetastet. Stattdessen tun Demokraten und Republikaner so, als machten sie sich wirklich ernsthafte Sorgen um die Staatsverschuldung, debattieren dabei aber lediglich über Kürzungen bei der breiten Bevölkerung und konzentrieren sich auf die Wahlen 2012.

S hat die Bonität der USA herab gestuft, weil diese ökonomischen und politischen Aspekte für eine verschlechterte Schuldensituation sprechen. Die Gläubiger amerikanischer Staatsanleihen haben nun also ein im wesentlichen politisches Problem. Dies besteht in der Frage, wie lange es das Gros der Amerikaner noch hinnimmt, dass die Wirtschaftskrise nicht nur Arbeitslosigkeit, Zwangsvollstreckungen, Einbußen bei Reallöhnen und Sachbezügen mit sich bringt, sondern nun auch noch Kürzungen bei Leistungen der öffentlichen Hand. Wann wird es zu einer explosionsartigen Gegenreaktion kommen, und wie stark werden die Gläubiger der USA von dieser betroffen sein? Wann wird diese Gegenreaktion verlangen, dass die Steuergelder der Bürger nicht mehr länger darauf verwendet werden, die Gläubiger (Unternehmen und Banken, Reiche und Ausländer) des US-Staates zu bezahlen, sondern für öffentliche Dienstleistungen gebraucht werden, auf die Menschen angewiesen sind? Es handelt sich hierbei genau um die politischen Gefahren, die zum Fall der griechischen, portugiesischen und irischen Bonität geführt haben. Diese Gefahr hat nun auch unsere Küste erreicht und bedroht die Gläubiger unserer Nation.

Irrational und gefährlich

S hat sich aus ehrenwerten und opportunistischen Gründen dazu entschlossen, das auszusprechen, was jeder vernünftige Beobachter weiß, da solche für Gläubiger äußerst schmerzhaften Gegenreaktionen in den vergangenen Jahren häufig eingetreten sind. Die Geldgeber müssen sich wegen der Kombination aus Wirtschaftskrise, einer zunehmend ungleichen Verteilung von Wohlstand, Einkommen und Macht sowie einem nicht funktionierenden politischen System in den USA Sorgen machen. Die Gefahr einer für die Gläubiger negativen Gegenreaktion der Bevölkerung steigt mit der Staatsverschuldung. Sich an ihrer Stelle keine Sorgen zu machen, wäre irrational und gefährlich. Und für uns?

Richard D Wolff ist emeritierter Professor der University of Massachusetts, wo er von 1973 bis 2008 Wirtschaftswissenschaften lehrte. Gegenwärtig nimmt er eine Gastprofessur an der New School University in New York City wahr. Richard gibt auch regelmäßig Unterricht am Brecht Forum in Manhattan und veröffentlicht Artikel auf seiner eigenen Webseite. Sein jüngstes Buch trägt den Titel Capitalism Hits the Fan: The Global Economic Meltdown and What to Do About It (2009).

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Richard D Wolff | The Guardian

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