Jetzt, wo die Staatskrise in Syrien einen Wendepunkt erreicht hat und der Sturz des Regimes nur noch eine Frage der Zeit zu sein scheint, hat Israel die passive Haltung aufgegeben, die es seit dem Beginn des Aufstandes im März 2011 eingenommen hatte. Die politische und militärische Führung des Landes ist nun dazu übergegangen, die möglichen Folgen eines Zusammenbruchs als unmittelbare politische Herausforderungen zu betrachten. Die größte Sorge bereit hierbei die Gefahr, die syrischen Raketen- sowie Chemie- und Biowaffen-Arsenale könnten in die Hände der Dschihadisten fallen, die nach Syrien eingesickert sind und die syrische Opposition infiltriert haben oder der libanesischen Hisbollah ausgehändigt werden.
Über Israels Position gegen
on gegenüber Syrien sind zwei Mythen in Umlauf. Der erste wurde gleich zu Beginn des Aufstandes von der Regierung Assad in die Welt gesetzt und besagt, die Rebellion komme nicht wirklich aus der eigenen Bevölkerung, sondern sei eine Verschwörung der USA und Israels. Die zweite Legende behauptet, den Israelis sei lieber, wenn Assads Regime an der Macht bleibt, weil es bekannt und berechenbar ist (die Theorie vom „Teufel, den wir kennen“). Die Regierung Netanjahu würde sich daher bei den Amerikanern gegen eine Intervention stark machen.Diese Behauptung basiert auf der Realität, die vor 2006 herrschte. Als Präsident Bush 2005 gegen Assad vorgehen wollte, warnte ihn der damalige israelische Premier Ariel Scharon tatsächlich vor den möglichen Konsequenzen eines solchen Handelns. Doch Israels Krieg im Libanon 2006 und die Entdeckung eines nordkoreanischen Atomreaktors 2007 in Syrien änderte, wie Assad in Israel wahrgenommen wird. Seitdem gilt er nicht mehr als „das geringste Übel“, sondern als ein Übel unter anderen.Begrenzte MöglichkeitenAls dann der Aufstand begann, verstand man in Israel aber, dass man sich am besten passiv verhält, weil eine Unterstützung der Rebellen oder auch nur humanitäre Hilfe dem Regime in die Hände spielen würde. Assad würde jegliche Einmischung als Beleg für die Behauptung deuten, die Rebellen handelten auf Geheiß Israels. Die Überlegungen, die israelische Analysten und Politstrategen beim Studium des schrittweisen Zerfalls des Regimes und des gleichzeitigen Aufstiegs rivalisierender Oppositionsgruppen anstellten, waren zunächst aber rein hypothetisch.Da das Ende Assads in den vergangenen Wochen aber immer wahrscheinlicher und greifbarer geworden ist, ist man in Israel vom Studium hypothetischer Szenarien zur Auseinandersetzung mit konkreten Gefahren übergegangen. Natürlich ist man in Jerusalem um die Zukunft des wichtigen Nachbarlandes besorgt. Chaos, Machtvakuum, das Überschwappen der Gewalt auf den Libanon oder Jordanien oder das Aufkommen eines radikal-islamistischen Regimes würde eine weitere Verschlechterung der Lage darstellen, die durch den sogenannten Arabischen Frühlings bereits wesentlich unsicherer geworden ist. Diese möglichen negativen Auswirkungen könnten ein Stück weit durch die Schwächung Irans und der Hisbollah ausgeglichen werden.Putins Ängste abbauenWenn man das Geschehen im Nachbarland betrachtet, ist man sich in Israel sehr bewusst, dass man selbst nur über äußerst begrenzte Möglichkeiten verfügt, den Lauf der Dinge zu beeinflussen. Zwei Gefahren stellen hier allerdings eine Ausnahme dar: Eine besteht in der Möglichkeit, dass das in Auflösung befindliche Regime seine Raketen auf Israel abfeuern könnte, um sich so einen ruhmreichen Abgang zu verschaffen. Das ist zwar nicht sehr wahrscheinlich, aber doch immerhin eine Möglichkeit, die die Führung der israelischen Armee in Betracht ziehen muss. Wahrscheinlicher ist allerdings die Gefahr, dass die syrischen Arsenale an Massenvernichtungswaffen in die falschen Hände gelangen. In diesem Fall könnte man zwar aktiv eingreifen, eine solche Aktion könnte sich aber leicht zu einem regionalen Krieg mit Beteiligung der Hisbollah und vielleicht auch Irans entwickeln.Um das zu verhindern sollten Israel und die USA ihren diskreten Dialog fortführen und weiter versuchen, Moskau zu überzeugen, von seiner Unterstützung für Assad abzurücken und sich eventuell sogar für einen Übergang hin zu einer neuen politischen Ordnung einzusetzen. Bislang zeigte sich Wladimir Putin besessen von der Angst, dass ein traditioneller sowjetischer und russischer Verbündeter in die Hände des Westens fallen könnte. Er sollte erkennen, dass Assads Stern untergeht und Moskau am besten gedient wäre, die neue Phase als solche zu erkennen und mitzuhelfen, eine weitere Verschärfung der Krise zu verhindern.