Die offiziellen Mechanismen der Geheimdienstaufsicht in den USA und Großbritannien haben versagt. Uns bleibt nur noch die letzte Schutzinstanz: Das Gewissen des Einzelnen, der sich Machtmissbrauch widersetzt oder ihn publik macht, wenn er geschehen ist.
Bei einer Konferenz, die der Guardian in der vergangenen Woche in New York ausrichtete, habe ich eine hitzige Podiumsdiskussion über die NSA-Affäre moderiert. Es diskutierten: Der ehemalige US-Senator Bob Kerrey, der Mitglied der Untersuchungskommission zu den Anschlägen vom 11. September war, außerdem Professor Yochai Benkler, der einer der Direktoren des Berkman Center for Internet and Society ist, und die Journalistin Rebecca MacKinnon, die für den Thinktank New America arbeitet.
"Wir verfügen über keine angemessenen Mechanismen um Missbrauch aufzuzeigen und zu kontrollieren," sagte MacKinnon. Mehr oder weniger waren alle Diskussionsteilnehmer der Ansicht, die Aufsicht sei zumindest zu schwach. Dazu Benkler: "Die bestehenden Aufsichts- und Kontrollsysteme haben immer wieder versagt. Dies war absehbar und für diejenigen im System auch zu erkennen. Sie vermochten sich wegen der Terrorismusangst und Befürchtungen um die nationale Sicherheit aber nicht zu widersetzen.“ Kerrey meinte: "Ich bin nicht der Ansicht, dass man auch nur annähernd von unkontrollierter Überwachung sprechen kann. Von guter Aufsicht allerdings auch nicht.“ Ich lasse das als Konsens gelten. Im Folgenden unterzogen wir die bestehenden Aufsichtsmechanismen einer genaueren Betrachtung:
• Eine Aufsicht durch die Exekutive existiert allem Anschein nach überhaupt nicht.
• Der US-Kongress habe erst nach Watergate eine Aufsichtsfunktion übernommen, erklärte Kerrey. Als diese eingeführt worden sei, sei sie aber bewusst schwach angelegt worden. Eigentlich, so Kerrey, sollte der Kongress „ständige, militante Skepsis“ walten lassen. Der deutlichste Beweis dafür, dass vorhandene Befugnisse nicht genutzt würden, sei, dass im Rahmen der Snowden-Affäre keine einzige Zwangsvorladung durch einen der Sonderausschüsse des Repräsentantenhauses oder des Senats ergangen sei.
• Die Fisa-Geheimgerichte haben sich als Einrichtungen erwiesen, die alles mit unsichtbarerer Tinte abstempeln, erklärte Benkler. Auch wenn die Richter zuweilen durchaus Skepsis oder Bedenken gezeigt hätten. Als Aufsichtsinstanz seien die Gericht aber unwirksam gewesen.
• Die nächste Instanz wären die Journalisten. Jedoch – das machte MacKinnon deutlich – ist die Arbeit von Journalisten, die über Schnüffelei recherchierten, gleichzeitig durch diese bedroht. Zu jedem Anruf und jeder Nachricht werden Metadaten gesammelt, roher Datenverkehr wird rekonstruiert. Somit können weder Reporter noch ihre Quellen davon ausgehen, nicht beobachtet zu werden.
Bleiben nur noch die Whistleblower. Hierzu noch einmal ein Zitat von Benkler:
„Der Whistleblower durchbricht diese Systeme mit seinem persönlichen Gewissen. Verlassen kann man sich darauf nicht, da dies weder systematisch, noch alltäglich geschieht. Der Whistleblower verfügt nur über sehr begrenzte und zufällige Einblicke in das System. Von Zeit zu Zeit durchbricht er aber die Schichten der Hilflosigkeit innerhalb des Systems.“
Doch auch diese Möglichkeit der Kontrolle ist bedroht – etwa durch die schweren Strafen für Chelsea Manning oder die Bezeichnung Edward Snowdens als Verräter.
"Es steht außer Frage, dass Snowden gegen das Gesetz der Vereinigten Staaten verstoßen hat“, erklärte Kerry während unserer Diskussion. "Das muss Konsequenzen haben.“ Benkler hingegen sprach sich für Straffreiheit für Edward Snowden aus. "Es gibt ein Gesetz, dieses wird jedoch immer auch politisch beeinflusst und erlaubt Ermessensspielräume.“ Weiter führte er aus: "Eine Person sollte nicht der Strafverfolgung ausgesetzt werden, wenn sie ein Thema der Öffentlichkeit zugänglich macht, das von dermaßen großem öffentlichen Belang ist und zu einem derart breiten Konsens über die Notwendigkeit von Veränderungen und Reformen führt.“
Im Anschluss versuchten wir, eine Linie zu finden, die Akte des Gewissens und des zivilen Ungehorsams zur Kontrolle der Mächtigen ermöglicht. Benkler argumentierte, es gebe eine „Kern- oder Herzstück des Whistleblowing“ das beschützt werden müsse. Dieses sei der Fall, wenn „ein Whistleblower Informationen enthüllt, die zu einer wichtigen öffentlichen Debatte und einer politischen Änderung oder Umkehr durch Handlungen der Judikative oder der Legislative führen.“
Auch hier war Kerrey anderer Meinung. Er verglich den Fall Edward Snowden mit dem von Klaus Fuchs, der ebenfalls aus Gewissensgründen Geheiminformationen über die Atombombe an die Sowjets übergeben habe. Benkler bemühte sich daraufhin um eine Trennung zwischen der im Dienste der Demokratie stehenden Enthüllung von Informationen für die Öffentlichkeit und der Preisgabe von Geheimnissen an einen Feind. Kerry erwiderte daraufhin, dass Fuchs genau wie Snowden eine öffentliche Debatte ausgelöst habe. Sie sehen schon, in diesem Punkt konnten wir uns nicht einigen.
Ich wollte diese Debatte gern über das Thema Whistleblowing hinaus und aus der Vergangenheit in die Gegenwart übertragen. Dann ging es darum, sich zu weigern, eine verlangte Arbeit auszuführen. Benkler stellte die Frage: "An welchen Punkt verlangt das Gewissen einer Person, etwas zu verweigern, das ihr innerhalb das Systems, in dem sie sich befindet, vollkommen akzeptabel erscheint, vor ihrem Gewissen aber völlig inakzeptabel?“.
Kerrey entgegnete: "Es sollte nicht immer, wenn eine Gruppe von Personen sich mit einer Gefahr [für die nationale Sicherheit] befasst, möglich sein, dass eine dieser Personen sagt, ihr gefalle das nicht, aus Gewissensgründen alles platzen lässt und dabei davon ausgehen kann, dass dies nicht bestraft wird.“
Dennoch muss es einen Raum geben, in dem das Gewissen die Macht kontrollieren kann, ohne 35 Jahre Gefängnis, ein Leben im Exil oder eine unumkehrbare Gefährdung unserer Sicherheit fürchten zu müssen. Von den ehrlichen Technikern, die im tiefsten Inneren von Google, dem Netzwerkbetreiber Level 3 oder der NSA und dem GCHQ arbeiten, müssen wir erwarten können, dass sie eine Grenze definieren und sich weigern, diese zu übertreten. Können wir das auch?
Der NSA-Chef Keith Alexander hat kürzlich vor dem US-Kongress ausgesagt, kein anderer Arbeitgeber in den USA beschäftige so viele Mathematiker wie die NSA – genau sind es 1.103 Mathematiker, 966 Mitarbeiter mit Doktortitel und 4.374 Computerwissenschaftler.
Wo ist der Ethikkodex, nach dem diese Menschen, die unsere Kommunikation oder deren Verschlüsselung knacken, arbeiten? Wo ist die Linie, die sie nicht überschreiten werden? Ärzte haben ihren Kodex. Sogar wir Journalisten (und selbst wenn einigen offenkundig nie in den Sinn gekommen ist, dass darunter auch das Abhören von Telefonen fallen könnte, haben andere sie daran erinnert).
Kürzlich schleuderten zwei Google-Ingenieure der NSA ein „Fuck You“ entgegen, weil diese sich laut den Snowden-Enthüllungen im Rahmen des Programms Muscular Zugang zum internen Datenverkehr zwischen Google- und Yahoo-Servern verschafft hatte.
Darf uns das zuversichtlich stimmen, dass auch andere Google-Mitarbeiter der NSA mit einem „Nein“ entgegentreten? Und wer hat eigentlich zu dem Abhörprogramm Muscular „Ja“ gesagt? Und in welcher Firma? Handelte dieses Unternehmen auf Anordnungen der NSA oder aus freien Stücken? Warum sagten die beteiligten Techniker nicht „Fuck You“? Würden sie es jetzt, nachdem das Abhörprogramm bekannt wurde, eher tun? Und was passiert mit denjenigen, die ab irgendeinem Punkt nicht mehr bereit sind mitzumachen?
Am 17. Juli 1945 richteten sich 155 der am Bau der Atombombe beteiligten Wissenschaftler mit einer Petition an US-Präsident Harry Truman. Sie riefen ihn darin auf, die Bombe nicht gegen Japan einzusetzen. „Entdeckungen, die den Bürgern der Vereinigten Staaten nicht bewusst sind, könnten in naher Zukunft das Wohl dieser Nation beeinträchtigen“, schrieben sie.
Doch es war zu spät.
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