Fast hundert Jahre nachdem Frauen sich in den USA (und vielen anderen Ländern) das Recht zu wählen erstritten haben, ist ihr gesellschaftspolitischer Einfluss noch immer viel zu gering – jedenfalls dann, wenn man den wichtigsten Kommentarplatz in einer großen Zeitung dafür als Indikator nimmt. Nach Erkenntnissen des amerikanischen OpEd Projects werden dort nur 20 Prozent aller op-eds (opposit editorial, entspricht in Deutschland dem Gastkommentar) von Frauen geschrieben.
Bei der Analyse von 7.000 zwischen dem 15. September und dem siebten Dezember 2011 in der New York Times, der Washington Post, der Los Angeles Times und dem Wall Street Journal erschienenen Artikeln kam der Wissenschaftler Taryn Yaeger zu dem Ergebnis, dass Frauen zwar häufiger über sogenannte „rosa“ Themen (wie Familie und Wohnen) schreiben, über Occupy Wall Street und andere gesellschaftliche Ereignisse (14%), internationale Politik (13%) und die Wirtschaft (11%) hingegen weit seltener.
Gastkommentatoren können mit beeinflussen, was überhaupt als Nachricht gehandelt wird, worüber eine Gesellschaft spricht, worüber die Menschen sich Gedanken machen und wie wir über die wichtigen Geschichten des Tages denken. Wenn also die Hälfte der Bevölkerung kaum etwas in den öffentlichen Foren beiträgt, die Diskussionen und Reaktionen hervorrufen, dann ist die Demokratie in Gefahr. „Bei Op-eds geht es nicht ums Schreiben, sondern um Macht. Sie stellen ein relativ einfaches Mittel dar, sich Einfluss zu verschaffen“, sagt Katherine Lanpher vom Op-Ed Project – einer Gruppe, die daran arbeitet, die Vielfalt der Stimmen in den Medien zu vergrößern.
Männer dominieren den Diskurs
Indem sie „der Debatte“ de facto über weite Strecken hinweg fern bleiben, üben Frauen nicht soviel Einfluss aus wie sie könnten und sollten. Das bedeutet auch, dass die Themen, die ihnen wichtig sind, leichter unter den Teppich gekehrt oder eben von Männern behandelt werden.
Nehmen Sie zum Beispiel die Frage der Reproduktionsrechte. Es ist zwar schwierig, einen direkten Zusammenhang zwischen der Unterrepräsentation von Frauen auf den Meinungsseiten und der bedrohlichen Art und Weise, in der die Berichterstattung über Geburtenkontrolle und den Zugang zu sicheren Abtreibungen in den Vereinigten Staaten jüngst unter Beschuss geraten ist, herzustellen, abwegig scheint ein solcher Zusammenhang aber keineswegs. Denn nach wie vor kontrollieren Männer die Hälfte des Diskurses darüber, was es heutzutage heißt, eine Frau zu sein: Erstaunlicherweise schrieben Frauen selbst bei „Frauenthemen“ nur 53 Prozent der Gastkommentare.
„Dieses Missverhältnis erinnert an eine Anhörung im Kongress zum Thema Geburtenkontrolle im Februar dieses Jahres, bei der ausschließlich Männer anwesend waren“, sagt Anika Rahman, Ms Foundation president and CEO.
Aber nicht nur auf dem Capitolshügel erhalten Frauen oft keine Gelegenheit, sich zu Themen, die sie selbst betreffen, zu äußern. Auch im Fernsehen kommen sie nicht immer gleichberechtigt zu Wort. „Während einer Fernsehdebatte über Geburtenkontrolle fragte der Moderator fast doppelt so viele männliche wie weibliche Gäste“, bemerkt Lanpher. (Man darf auch nicht vergessen, dass Frauen auch in der Film- und Geschäftswelt Minderheiten sind.)
Mangelndes Selbstbewusstsein
Überraschenderweise melden sich Frauen aber auch dort nicht zu Wort, wo es keine alten Männerseilschaften gibt, die ihnen den Weg versperren bzw. den Mund verbieten – man denke nur einmal an Wikipedia, wo 85 Prozent der Beiträge von Männern stammen. Ziehen Frauen es also vor, zu schweigen? Halten sie sich lieber raus? Leider scheint das zumindest teilweise zuzutreffen.
Ein entscheidender Teil des Problems besteht offenbar darin, dass Frauen oft einfach der Glaube daran fehlt, dass es auf ihre Meinung ankommt. Oft zweifeln sie daran, genügend informiert zu sein. Deshalb sind sie oft gar nicht so scharf darauf, die Kommentarspalten zu füllen. Lanpher meint hierzu: „Frauen und andere Minderheitenstimmen sind meiner Erfahrung nach die ersten, die sagen, 'Oh nein, ich bin keine Expertin, Sie sollten jemanden finden, der sich da besser auskennt.'“ Mit anderen Worten scheint das Problem teilweise also in einem Mangel an Selbstbewusstsein zu bestehen.
Diese Unsicherheit trägt aber ein Ouroboros-Element in sich: Es ist nachvollziehbar, wenn auch bedauerlich, dass sie sich schwer damit tun, sich selbst als Experten zu betrachten, wenn vier von fünf Dozenten in den Massenmedien Männer sind, und zwar eine ganz bestimmte Art von Männern. „Nahezu 80 Prozent oder mehr der Teilnehmer an öffentlichen Debatten sind weiße Männer einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht, die die gleichen Schulen besucht haben“, sagt Lanpher.
Sue Horton, Die op-ed und Sunday opinion Redakteurin der Los Angeles Times brachte vor kurzem im Gespräch mit Erika Frey, die für die Columbia Journalism Review schreibt, ein ähnliches Argument vor, das Fry wie folgt zusammenfasst:
„Wenn Frauen Texte anbieten, sind sie öfter ganz besonders gut informiert, während es sich bei den Angeboten von Männern viel häufiger um 'dinner party op-eds' handelt – Texte, die geschrieben wurden, weil ein Autor eine Meinung zu einem Thema hat, nicht aufgrund seines Fachwissens.“
Dass das Problem sich nicht auf die großen amerikanischen Tageszeitungen beschränkt, sondern durchaus einen gewissen allgemeinen Geltungsanspruch erheben kann, zeigt diese lesenswerte Selbstreflexion der linken Monatsszeitung analyse & kritik, die als Reaktion auf die geringe Anzahl von von Frauen verfassten Texten nun (zunächst) eine Quote von 25 Prozent einführen will, bei deren Nichterfüllung der betreffende Anteil an Seiten einfach leer bleiben soll. Die möglichen Gründe für die geringere Frauenquote werden hier noch einmal etwas breiter diskutiert.
Kommentare 13
"Ein entscheidender Teil des Problems besteht offenbar darin, dass Frauen oft einfach der Glaube daran fehlt, dass es auf ihre Meinung ankommt..."
... während Männer an der unausrottbaren Illusion leiden, dass das Äußern ihrer Meinung für die Welt und sie selbst unverzichtbar ist.
Gilt aber in erster Linie nur für Medien. Auf anderen sozialen Ebenen werden Männer schon einmal derb angelassen:
"Sag Du doch endlich auch mal was dazu..."
P.S.
""Sag Du doch endlich auch mal was dazu..."
Etwas ausführlicher über folgenden Link:
www.dradio.de/kultur/sendungen/politischesfeuilleton/1782195/
P.S.(2)
Link funktioniert nicht.
2.Versuch:
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/politischesfeuilleton/1782195/
P.S.(3)
Zweiter Link klappt.
Das mit dem "mangelnden Selbstbewußtsein" mag oft so erscheinen, ist bei genauerem Hinschauen auch ein Fehlschluss. Klar, wenn man das ganze Leben die Erfahrung gemacht hat, dass die eigene Meinung sowieso nicht so für voll genommen wird, ist man a) ungeübter und Unsicherer in ihrer Darstellung und b) gibt man auch irgendwann auf, zu darum zu kämpfen, sie anzubringen, bis auf die ganz Harten. Für Männer (eines bestimmten Typus) ist es ganz selbstverständlich. Und mich erschreckt es immer wieder, wie gut Blender und Angeber sich durchsetzen, weil alle darauf reinfallen. An einer Frau des selben Typs würde es viel mehr Kritik geben. Und Männer, die einfach ruhig, sachlich und ordentlich arbeiten sind kaum die Alpha-Tiere in Männerhierarchien.
Diese Mechanismen funktionieren leider auch online: "Überraschenderweise melden sich Frauen aber auch dort nicht zu Wort, wo es keine alten Männerseilschaften gibt, die ihnen den Weg versperren bzw. den Mund verbieten – man denke nur einmal an Wikipedia, wo 85 Prozent der Beiträge von Männern stammen." ist eben auch ein Fehlschluss - auch in der Wikipedia gibt es ja zwischenmenschliche Interaktion. Abgesehen davon, dass sich Frauen ganz gezielt hinter neutralen oder männlichen Namen aus Selbstschutz verstecken, werden sie, als Frauen erkannt, auch nicht so für voll genommen und setzen sich in Diskussionen seltener durch. Die Administratoren sind zumeist Männer, und stehen auf der Seite der Männer. Sage ich aus eigener Erfahrung. Ich habe nach mehreren Monaten Kampf zum Schutz meiner Nerven und meines Zeitbudgets in der Wikipedia aufgegeben und schreibe da nur noch hin und wieder mal was als IP.
Interessant ist eine Erfahrung, die ich gerade gestern gemacht habe: Ich habe einen Kommentar zu einem Thema geschrieben, aus dem nicht nur indirekt, sondern ganz klar direkt und offensichtlich hervorgeht, dass ich eine Frau bin. Kurz danach lass ich eine Diskussion zu dem Kommentar vo zwei Typen: Einer war mir wohlgesonnen, einer nicht. Beide haben den Inhalt des Artikels offenbar erfasst und ihn genau gelesen. Beide sprachen in der Diskussion von "er" und "der Autor". Ich war fassungslos.
P.S. Kommentar hier als journalistische Stilform, also die Darstellung einer persönlichen Ansicht zu einem Thema, nicht Kommentar zu einem anderen Artikel.
Ja, Sie haben recht. Es macht viel aus, ob man eine Frau oder ein Mann ist. Generell sind Männer untereinander sehr oft ruppig. Das ist die normale Umgangsform - wenn nicht gerade geflirtet mit Frauen wird. Als Frau müssen sie begreifen, dass die Männer die meiste Zeit in Wahrheit so sind. In Wettbewerbssituationen kommt das durch. Politik ist Wettbewerb, Gastkommentare sind Politik, Gastkommentare fallen nicht unter wissenschaftlicher Wahrheitsfindung.
"Beide sprachen in der Diskussion von "er" und "der Autor". Ich war fassungslos."
schon traurig, dass sich frauen durch solche kinkerltzchen abschrecken lassen. solange das so einfach funktioniert, werden männer es praktizieren.
ein mann, der als frau bezeichnet wird und dadurch aus der fassung gerät - undenkbar!
@die unsichtbaren deutschen
Sie befürworten also Sozialdarwinismus. Im übrigen gibt es auch ruppige Frauen, nur werden die sehr schnell ausgegerenzt und mit Negativworten wie "vermännlicht" etc. beschrieben.
@Eulen nach Athen
Ganz genau - Männer fühlen sich da nicht gekränkt, sondern sind höchstens amüsiert. Damit bestätigen Sie ja das strukturelle Gefälle. Zudem passiert das auch so gut wie nie - eben weil davon Ausgegangen wird, hjemand der schreibt kann nur ein Mann sein. Das war der Punkt.
Barbara Muerdter, das Gefälle ist nicht strukturell. Sie stellen es täglich her. Es ist Ihre persönliche freie Entscheidung, solche Dinge zu bewerten. Es ist Ihre Entscheidung gewesen, aus der Fassung zu geraten. Sie selbst und niemand sonst hätte die Sache anderes sehen und sogar amüsiert sein können. Es ist ein Frage Ihrer Einstellung dazu. Wenn Sie Opfer sein wollen, wenn Sie die Rolle der Benachteiligten annehmen und praktizieren, werden Sie es sein und aus der Fassung geraten.
Nun kann man sicher einwenden, dass Ihre Sozialisation die strukturelle Komponente war, die zu Ihrer Reaktion geführt hat. Aber wer, wenn nicht Sie selbst, kann das reflektiern und überwinden? Wer solls machen?
Erkundigen Sie sich mal in einschlägigen Studien. Das geht nicht um Meinung, sondern um Fakten.
Fakt ist, dass sich viele Frauen verhalten wie Frau Muerdter. Damit gewähren sie Männern die Macht, über die sie dann klagen. Fakt ist auch, dass man mit Klagen nichts erreicht. Wenn man etwas ändern will, muss man bei sich selbst anfangen – auch Fakt. Immer nur die "Schuld" bei den anderen und der Gesellschaft suchen, ist kein erfolgreiche Strategie. Strukturen kann man überwinden. Das ist natürlich mühsamer als jammern.
Der Punkt ist doch, dass sich kaum eine Frau überhaupt für Politik, Wirtschaft, Wissenschaft interessiert. Wer sich nicht dafür interessiert, der schreibt dazu auch keine Gastbeiträge in Leitmedien. Da braucht man überhaupt nicht weiter drüber psychologisieren.
Man muss sich doch lediglich einmal die Mediendaten anschauen: alles was ohne jeden Informationsgehalt ist, wird zu 80% von Frauen konsumiert, was Information enthält zu 68% von Männern.
Das geht sogar so weit, dass "Mona Lisa" das Frauenmagazin nach einem Redaktionswechsel und dem Versuch den Informationsanteil zu erhöhen, massiv an Zuschauerinnen verlor und an Zuschauern gewann, so dass mehr Männer als Frauen die Frauensendung schauten! Da hat man die Informationen wieder zurückgeschraubt. Entnommen dem Interview der Redaktionschefin von Mona Lisa zu einem Jubiläum.
Wen wundert es da, dass mehr Männer zu relevanten Themen etwas sagen als Frauen? Und auch das sie allgemein eben über mehr Wissen verfügen? Es ist eben so, dass Frauen selten irgendetwas relevantes zu sagen haben. Und wenn sie meinen etwas relevantes zu sagen zu haben, glänzt es selten durch analytische Schärfe und Wissen. Man schaue lediglich die Beiträge hier auf freitag.de an.
Gerade die ganzen feministischen Artikel zeugen von Realitätsverweigerung, fehlendem Wissen, purer Ideologie und Subjektivität. Sich dann aber wundern, wenn Frau nicht ernst genommen wird...