Po in Italien: „Wir haben Angst, dass unser Fluss verschwindet“
Klimakrise Norditalien wird von der heftigsten Dürre seit 70 Jahren heimgesucht. Wie dramatisch die Folgen sind, zeigt sich vor allem in der Po-Ebene. Dort bedroht die Hitze nicht nur den Fluss, sondern auch die Wirtschaft, die auf ihn angewiesen ist
Viel ist nicht mehr zu sehen vom Po. Die heftigste Dürre seit 70 Jahren legt den längsten italienischen Fluss zunehmend trocken
Foto: Piero Cruciatti/AFP via Getty Images
Als der Hobbyfotograf Alessio Bonin Ende März eines Nachmittags ein paar Stunden frei hatte, beschloss er in das Naturreservat von Gualtieri zu fahren, einem kleinen Ort in der Region Emilia-Romagna am Ufer des Flusses Po. Die Dürre, die die längste Wasserstraße des Landes seit einem der trockensten Winter heimgesucht hat, zeigte keine Anzeichen einer Besserung.
Der 650 Kilometer lange Po entspringt in den Alpen im Nordwesten Italiens und bevor er in die Adria fließt, versorgt er mehrere italienische Regionen mit Wasser. Aber der ungewöhnlich niedrige Wasserstand hat starke Auswirkungen auf den Fluss und seine Umgebung. Betroffen ist alles vom Anbau von Tomaten und Wassermelonen bis hin zur Energiegewinnung durch Wasserkraft, Trinkwasser, Handelsschifffahrt und
ffahrt und Fischerei.Es war das beunruhigende Bild eines 50 Meter langen, im zweiten Weltkrieg gesunkenen Frachtschiffs, das aus seinem Wassergrab auftauchte, eingefangen von Bonins Drohnen-Kamera, das den Einwohnern von Gualterieri und anderen, nahegelegenen Städten entlang des Flusses die Schwere der Dürre bewusst machte.„In den vergangenen Jahren konnte man den Bug des Schiffes sehen. Daher wusste man, dass es da ist, aber es im März, als es im Grunde noch Winter war, so exponiert zu sehen, war sehr dramatisch“, erinnert sich Bonin. „Ich habe zu dieser Jahreszeit noch nie eine solche Dürre erlebt – unsere Hauptsorge war früher, dass es Hochwasser gibt. Jetzt sorgen wir uns, dass der Fluss verschwindet.“Schwerste Dürre in den letzten 70 JahrenLaut der italienischen Flussbeobachtungsstelle handelt es sich um die schwerste Dürre in der Region seit 70 Jahren. Sie hat noch weitere Relikte aus der Vergangenheit auftauchen lassen, darunter ein deutscher Panzer, der in der Nähe von Mantua gefunden wurde, sowie die Reste eines antiken Dorfes in der Region Piemont.Ursachen für die Dürre sind für die Jahreszeit ungewöhnlich hohe Temperaturen, wenig Regen und deutlich weniger Schnee im Winter, insbesondere in den südlichen Alpen. Dadurch ist weniger weniger Schneeschmelzwasser in den Po geflossen.Die Lage ist so akut, dass Politiker:innen der Lombardei, Piemont, Venetien und Emilia-Romagna Mitte Juni in ihren Regionen die Ausrufung eines Notstand forderten. Inzwischen hat unter anderem die Lombardei den regionalen Notstand ausgerufen und auch anderen Regionen gilt Alarmstufe rot. In einigen Städten in Norditalien muss Wasser durch Lastwagen angefahren werden. 125 Städte wurden aufgerufen, das Trinkwasser zu rationieren, um den Wasserpegel in den Trinkwasserreservoirs zu normalisieren.Blumen statt Schneedecke in den AlpenDie Flusstiefe des Po beträgt derzeit bis zu 2,7 Meter unterhalb des Pegelnullpunktes – und damit deutlich unter dem Durchschnitt für Juni. Gleichzeitig fließt er mit 300 Kubikmetern pro Sekunde deutlich verlangsamt Richtung Meer – ein Fünftel dessen, was für diese Jahreszeit durchschnittlich der Fall ist.Im Po-Tal kam es 2007, 2012 und 2017 zu Dürren. Dass sie häufiger vorkommen, ist laut Wissenschaftlern ein weiteres Zeichen für die Folgen der Klimakrise. „Die Dürre ist wegen zwei Anomalien historisch einzigartig. Zum fehlenden Regen kommen die erhöhten Temperaturen, die direkt mit dem Klimawandel zusammenhängen”, erklärte der Chef der italienischen Meteorologischen Gesellschaft Luca Mercalli, der in einer Bergstadt im Piemont lebt, im Juni. „In den Alpen ist es, als wäre es Ende Juli. Das Wasser geht aus, weil nur wenig Schnee übrig ist. In einer Woche wird es keine Reserven mehr geben. Kürzlich haben wir das Schneelevel auf 3.000 Meter Höhe gemessen. Normalerweise liegen im Juni noch zwei Meter Schnee. Aber dieses Jahr gibt es nicht nur keinen Schnee mehr, sondern es blühen schon Blumen.“ Auch die Wettervorhersagen sind wenig beruhigend: „Die Lage wird sich nur noch verschärfen, da die kommenden Monate heiß und trocken werden sollen.“„Der Wassermangel bereitet uns Sorge“Die Po-Ebene ist eine wichtige Wirtschaftsregion Italiens. Sie macht den Erfolg von Wirtschaftszentren wie Turin, Mailand oder Brescia mit ihren verschiedenen Wirtschaftszweigen überhaupt erst möglich. Nicht zuletzt aber ist die Po-Ebene eine der wichtigsten Landwirtschaftsgebiete Europas.Gualtieri ist ein typisches Beispiel dafür, wie sehr die kleinen Gemeinden entlang des Flusses von ihm abhängen. In dem Naturreservat liegt nicht nur das aufgetauchte Frachtschiff, das früher Getreide zwischen dem Atlantik und Cremona in der Lombardei transportiert hat. Im gleichen Gebiet fanden italienische Soldaten, die deutsche Internierungslager überlebt hatten, nach ihrer Rückkehr aus dem Zweiten Weltkrieg auf einer Insel Arbeit als Holzarbeiter. Sie wurde daher später als „Isola Degli Internati“, also als Insel der Gefangenen bekannt. „Die Kriegsveteranen brauchten Arbeit und dieses Gebiet war reich an Weidenbäumen“, erzählt der Bürgermeister von Gualtieri Renzo Bergamini. „Das Holz wurde für den Bau von Infrastruktur zum Schutz der Flussufer genutzt.“Bergamini ist in Gualtieri geboren. In den vergangenen zehn Jahren seien die klimatischen Ereignisse plötzlicher geworden. „Früher hatten wir regelmäßige Regenfälle über zehn Monate hinweg. Aber in den vergangenen Jahren kam der Regen in zwei oder drei heftigen Starkregenereignissen in kürzerer Zeit und verwandelte den Fluss in einen reißenden Strom“, berichtet er. „Derzeit bereitet uns der Wassermangel Sorge. Das Wasser dient nicht nur der Bewässerung in der Landwirtschaft, sondern auch der Energieproduktion und als Trinkwasserquelle. Diese Gegend hier bekommt ihr Trinkwasser aus den Alpen, aber in manchen Gegenden wird es dem Fluss entnommen und geklärt.“Komplett leere WasserautobahnIn dem kleinen Touristenort Boretto schwimmt ein Mann normalerweise jeden Tag durch den Fluss. Vor etwas mehr als einer Woche konnte er bis in die Mitte laufen. „Er ist als der Gott des Po bekannt“, erzählt Jennifer Bacchi, die Leiterin des Unternehmes River Passion, während sie auf dem Fluss entlangfährt. Ihre Firma organisiert Bootstouren und Angelausflüge. „Früher sah man auf dieser Strecke viel mehr Schiffe, die Güter oder Passagiere transportieren. Wie Sie sehen, sind wir jetzt ganz allein hier. Wir fahren auf einer Wasser-Autobahn, die komplett leer ist“, sagt sie.Viele Angler hätten wegen des Niedrigwassers ihren Urlaub storniert, berichtet sie weiter. „Das ist beunruhigend. Boretto ist wirklich vom Angeltourismus abhängig.“Placeholder image-1Und die Durchfahrt von Frachtschiffen? Die musste wegen der Trockenheit eingestellt werden, erklärt Luca Crose, Leiter des Bereichs Handelsschifffahrt bei der Agentur für Ingenieur- und Umweltdienstleistungen Aipo in Boretto, die unter anderem täglich Messungen durchführt. „Das Wasser ist nicht tief genug.“