Italiens Obama gesucht

Götterdämmerung Etwas Besseres kann sich eine Opposition eigentlich kaum wünschen: Berlusconi mag noch nicht soweit sein, dass er das Weite sucht, doch lange kann es nicht mehr dauern

Gianfranco Fini, Berlusconis langjähriger Alliierter und derzeitiger Parlamentspräsident, hat den Rücktritt des Premiers gefordert. Nachdem auch noch vier Mitglieder der Regierung abgedankt sind, geschieht das mit besonderem Nachdruck. Die altbekannten Sex-Skandale, mit denen seine Amtszeit übersät ist, scheinen außer Kontrolle geraten. Selbst Freunde Berlusconis räumen ein, dass der Mann eine Bedrohung sei. Unter einer Überschrift, die melancholisch von fallenden Herbstblättern sprach, veröffentlichte Il Foglio – eines der Blätter, die im Besitz der Berlusconi-Familie sind – in einer Kolumne auf der Titelseite eine lange Liste mit Berlusconis politischen Fehlern.

Gute Nachrichten, sollte man meinen, für die Opposition. Angenommen natürlich, jeder weiß, wer eigentlich zu dieser gehört, und wer ihre wichtigsten Köpfe sind. Zur Eigenartigkeit dieses aktuellen politischen Sturms in Italien gehört jedoch, dass beides im Moment sehr leidige Fragen sind. Ein gemeinsamer Fernsehauftritt von Fini und Pier Luigi Bersani, dem Parteiführer der Partito Democratico, bei dem beide Männer aufgefordert waren, die Grundwerte der Linken und der Rechten zu benennen, hat das Problem deutlich gemacht.

Anstand und Würde

Bersani, ein früherer Kommunist, der 2009 zum Parteichef gewählt wurde, schien richtig glücklich, dass er die bekannte Liste skizzieren konnte: „Links“, begann er, „bedeutet, dass man die Welt zu einem besseren Ort machen kann, wenn man sie aus der Perspektive der Schwachen betrachtet.“ Seine Liste enthielt auch das Recht auf Staatsbürgerschaft für Kinder von Einwanderern. Fini schlug patriotische Töne an: „Rechts“, sagte er, „bedeutet, trotz allem zu denken, dass es wunderbar ist, ein Italiener zu sein.“ Beide sprachen eindringlich über Anstand (Bersani) und Würde (Fini) im Amt – ein parteiübergreifender Seitenhieb gegen die dubiose Moral des Premiers. Anstatt dass die beiden die Möglichkeit nutzten, die Unterschiede zwischen der Linken und der Rechten anschaulich zu erklären, klangen Bersanis und Finis Kurzmonologe wie die zweier Rivalen, die um das Amt des Oppositionsführers konkurrieren.

Fini hat der Linken mit seiner immer offeneren Kritik an Berlusconi und dessen Führungsstil wiederholt die Schau gestohlen. Lange vor Bersanis Fernseh-Auftritt hatte er bereits ein Gesetz gefordert, das die Integration der Einwanderer in Italien verbessern soll – eine Haltung, mit der er vermutlich darauf aus war, Berlusconis letzte Verbündete zu reizen: die Anti-Einwanderungspartei Lega Nord. Einst war Fini ein Bewunderer Mussolinis, doch seit er im Juli entschied, mit Berlusconis Popolo della Liberta zu brechen, hat sein Imagewechsel Tempo aufgenommen. Er hat zu Themen – gleichgeschlechtliche Partnerschaft, Fruchtbarkeitsbehandlung – die in den Augen der Katholischen Kirche noch immer höchst umstritten sind, eine entschieden liberale Haltung angenommen.

Vendola wartet ab

Einige Mitglieder der Demokratischen Partei haben öffentlich ihr Erstaunen geäußert – weshalb klingt der frühere Faschist Fini heute fortschrittlicher als viele der eigenen Abgeordneten. Bersanis Partito Democratico ist aus der Fusion der Democratici di Sinistra, die als größter und eher moderater Teil aus dem Partito Comunisto Italiano hervorgingen, und Resten der einst dominanten Christdemokraten entstanden. Obwohl beide Parteien seit langem eine Koalition bildeten, hat sich der politische „Bund fürs Leben“ als schwierig erwiesen. Parteiinterne Machtkämpfe führten dazu, dass Bersani der dritte Parteivorsitzende in drei Jahren ist. Die Partei ist in einer der wichtigsten Fragen derzeit gespalten: Wer soll Berlusconi ersetzen, sollte er zum Rücktritt gezwungen sein?

Doch die Fehde hat ihren Preis. Die jüngsten Vorwahlen in Mailand, bei denen Italiens Mitte-Links-Parteien einen gemeinsamen Kandidaten wählten, der 2011 für das Amt des Bürgermeisters kandidieren soll, zeigten, dass die Partito Democratico immer weniger mit ihrer Wählerschaft in Einklang ist. Für niemanden überraschend schlug Domenico Pisapia, der als ehemaliger Parlamentsabgeordneter ausgezeichnete Arbeit leistete und der Favorit zweier kleiner Linksparteien war, bei geringer Wahlbeteiligung den Kandidaten der Demokraten.

Pisapia wurde von Nichi Vendola unterstützt, dem linken Ministerpräsidenten der Region Apulien, der dort trotz eines erbitterten Widerstandes der Demokratischen Partei mühelos den Wahlsieg errang. Düstere Aussichten für eine Kraft, die noch größte Partei des linken Spektrums ist. Wird Vendola als Italiens selbst ernannter „weißer Obama“ sie womöglich auch ausstechen können, wenn in den Vorwahlen entschieden wird, wer als Herausforderer der Koalition gegen Berlusconi antreten wird?

Tana de Zulueta ist Journalistin und ehemalige Parlamentsabgeordnete. Sie zählt zu den Gründern des Menschenrechtsausschusses des italienischen Senats und ist im Vorstand der NGO Articolo 21, die sich für Pressefreiheit einsetzt. Sie lebt in Rom.

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Übersetzung: Christine Käppeler
Geschrieben von

Tana de Zulueta | The Guardian

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