Früher fürchteten die Menschen in Mukuru an der Peripherie Nairobis besonders die Regenzeit, wenn die Wege in ihrem Slum zum sumpfigen Morast aus Abwassern und schleimigen Abfällen wurden. Vor einigen Jahren begann sich die Lage zu ändern. Auf einer nun asphaltierten Straße steht Benedetta Kasendi mit ihrem Karren und verkauft Zuckerrohr. An diesem Ort auf einem festen Untergrund kann sie ihre Ware sauber halten. Die größte Herausforderung besteht nun darin, den Zuckerrohrabfall zu entsorgen, ohne Mukurus erneuertes Abwassersystem zu verstopfen.
„Sie können unbesorgt hier einkaufen, denn es ist alles sauber“, versichert Kasendi Patrick Njoroge, Programmleiter im Akiba Mashinani Trust (ATM), einem Fonds, der Kapital für mehr Lebensqualität in Slums sammelt und ausgibt. Njoroge arbeitet seit zehn Jahren für den „Masterplan Mukuru“ und weiß, wie heruntergekommen hier früher alles war. Allein, dass die Menschen oft 30 Minuten laufen mussten, um sich mit frischem Wasser zu versorgen, sei ein unhaltbarer Zustand gewesen. „Die Straßen hier hatten eher etwas von einer Kloake. Sie waren kein Ort, an dem man sich länger als nötig aufhielt. Man riskierte, im Abwasser zu landen. Die Frau mit ihrem Zuckerrohr kam mit dem Stand erst dann, als die Straße asphaltiert war. Werden Slums wie dieses aufgewertet, bietet das Anreize für neue Geschäfte, so klein sie auch sein mögen“, sagt Njoroge.
Nicht weit entfernt reiht Diana Mwende an einem Kiosk Kanister an Kanister, um kostenloses Trinkwasser zu verteilen. „Seit es diese Wasserstationen in unserem Viertel gibt, brauchen die Menschen nur noch zwei bis drei Minuten, um sich zu versorgen“, erzählt sie. „Das spart nicht nur Zeit. Früher musste ich jeden Monat 400 Schilling (etwa 3,20 Euro – P.M.) für Wasser ausgeben und tausend Schilling, um die öffentlichen Toiletten zu benutzen. Jetzt habe ich eine saubere Toilette neben meinem Haus.“ Mwende gehört zu Tausenden von Slumbewohnern, die von einem Community-orientierten Modernisierungsprogramm in Mukuru profitieren. Die positiven Erfahrungen hier sollen genutzt werden, um die Lebensbedingungen an ähnlichen Orten Kenias und darüber hinaus zu verbessern. Dass es zu diesem ehrgeizigen Projekt kam, ist Gesprächen mit mehr als 40 Organisationen zu verdanken, moderiert vom Dachverband Muungano Alliance, der sich für mehr Hygiene und Gesundheit in informellen Siedlungen des Landes einsetzt. Eingebunden waren Universitäten, Vertreter der Zivilgesellschaft, Unternehmer und die Regierung des Bezirks Nairobi. Ihr Ziel bestand darin, aus dem Slum einen gesunden, funktionierenden Teil der Hauptstadt zu machen. Schlüssel zum Erfolg war es, die Bewohner des sich auf 243 Hektar ausbreitenden Slums in die Planung einzubeziehen. Fast alle Haushalte wurden befragt, Tausende angehört. Zudem waren 250 Mitstreiter der Muungano Alliance dafür verantwortlich, das Bewusstsein für das Projekt in der Gemeinschaft zu stärken. Sie wurden darin geschult, Daten zu sammeln – eine enorme Aufgabe angesichts der Größe von Mukuru, wo mehr als 400.000 Menschen leben. Jede Latrine, jeder Wasserhahn, jeder Strommast wurde auf einer Karte eingezeichnet.
Eines der dringendsten Anliegen waren saubere Toiletten, um all die dreckigen Plumpsklos zu ersetzen, die man sich im Viertel teilte. Heute haben Tausende von Haushalten Zugang zu fließendem Wasser und Toiletten mit Wasserspülung. Zudem hat die Regierung den Bau von 13.000 neuen Häusern beschlossen und damit das erste Projekt des sozialen Wohnungsbaus in Kenia auf den Weg gebracht. Die Straßen im Slum waren eine weitere Baustelle, bisher wurden fast 30 Kilometer asphaltiert.
In der Armutsfalle
Ursprünglich hatte die kenianische Regierung in den 1990ern das Land in Mukuru an Politiker und Unternehmer verteilt, die innerhalb von zwei Jahren dort Betriebe der Leichtindustrie aufbauen sollten. Wenn sie dem nicht nachkamen, sollte ihr Anspruch auf das Land wieder verloren gehen. Als die Jahre ohne Fortschritt vergingen, bauten „Landlords“ auf den ungenutzten Flächen unreguliert Hütten und Häuser, um sie zu vermieten. Mukuru wuchs und wuchs, bis die Bevölkerung in dem Elendsviertel irgendwann ein Zehntel der Bevölkerung Nairobis ausmachte und reichlich Gefahren ausgesetzt war. Im September 2011 starben mehr als hundert Menschen bei einer Explosion in einem als Sinai bekannten Teil des Slums. Aus einem Leck war Benzin ausgetreten, und Menschen eilten herbei, um sich Treibstoff abzufüllen, als der sich entzündete. Auch illegal installierte Stromleitungen waren die Ursache für schlimme Tragödien.
Von solchen Katastrophen abgesehen, leben die Einwohner des Viertels immer mit der drohenden Vertreibung durch die ursprünglichen Landbesitzer. Doch auch auf dem Boden, der für öffentliche Infrastruktur wie Straßen, Eisenbahn und Stromversorgung vorgesehen ist, wohnen Menschen. Oft tragen sie einen endlosen Rechtsstreit mit den Behörden aus, um nicht vollends unter die Räder zu kommen. Nicht zu vergessen: Die Menschen in Mukuru sind für ihre Grundversorgung auf Kartelle angewiesen, die etwa Toiletten und die Müllabfuhr kontrollieren. Das alles sorgt für eine angespannte Atmosphäre.
Jane Weru, Geschäftsführerin des zum Muungano-Bündnis gehörenden Akiba Mashinani Trust (AMT) war von Anfang an mit Upgrading-Plänen beteiligt. Schon seit 20 Jahren setzt sie sich für die Rechte von Slumbewohnern ein, ohne bei den Behörden auf große Sympathie zu stoßen. Immerhin ist Mukuru die erste informelle Siedlung in Afrika, die als Sonderplanungsgebiet (SPA) definiert wurde. Die kenianische Regierung möchte das Modell auf andere Slums wie Kibera, Mathare, Korogocho und Kawangware übertragen.
„Mukuru war eigentlich nicht unser Zielgebiet“, erzählt Jane Weru vom Akiba Mashinani Trust. „Aber ein Anwohner trat an uns heran und bat um Hilfe. Er wollte das Land, auf dem sein Haus stand, dem ursprünglichen Besitzer abkaufen. Erst dachten wir, das sei ein Einzelfall, dann stellte sich heraus, dass noch mehr Leute das gleiche Bedürfnis hatten. Unsichere Besitzverhältnisse, und das an einem Ort, an dem 94 Prozent der Menschen keine Eigentümer ihrer oft prekären Behausungen sind. Es handelt sich um ein systemisches Problem, das nach dem breiten multidisziplinären Ansatz verlangt.“
Überdies stellte der Akiba Mashinani Trust fest, dass das Leben in einem Slum teurer ist als gedacht. Jana Weru: „Das wenige Geld, das die einzelnen Haushalte zur Verfügung haben, wurde von Kartellen eingesackt. Die 2.000 Schilling, die jeder Haushalt als monatliche Miete zahlte, brachten zusammen mehr als 180 Millionen Schilling (gut 1.4 Millionen Euro – P.M) ein.“ Die Vermieter steckten das Geld ein, ohne etwas davon zu versteuern. Zusätzlich verlangten die Kartelle exorbitante Preise für Wasser und Sanitäranlagen, während sie zugleich das Leben der Menschen durch illegale Stromleitungen gefährdeten.
Als Mukuru 2017 in das städtische SPA-Upgrading-Programm aufgenommen wurde, kam ein Report zu dem Ergebnis, dass Slumbewohner praktisch mit einer „Armutsstrafe“ belegt werden: sie müssen für ihre Grundversorgung mehr ausgeben als Leute in wohlhabenderen Vierteln. So zahlten Haushalte in Mukuru 45 bis 142 Prozent mehr für ihren Strom als Haushalte, die einen offiziellen Stromanschluss hatten. Die Armutsstrafe für Wasser war besonders gravierend, da die Slumbewohner normalerweise weniger Wasser verbrauchten, aber dafür mehr zahlen mussten als in Quartieren mit offiziellem Anschluss – im Schnitt 172 Prozent mehr für den Kubikmeter.
Mukurus Upgrading-Progamm hat auch in anderen afrikanischen Ländern Aufmerksamkeit erregt, darunter Sambia, Malawi, Sierra Leone und Ghana. Jesse DeMaria-Kinney, Leiter der Adaptation Research Alliance, einer Gruppe von fast 100 Organisationen, die gefährdete Communitys unterstützen, appelliert: „Wegen der spezifischen Risiken, vor denen diese Gemeinschaften allein wegen des Klimawandels stehen, müssen wir Initiativen fördern, die Menschen einbeziehen und etwas bewirken, anstatt nur zu reden.“ Für ihn sei das A und O, die Slumbewohner in die Forschung und die Suche nach Strategien hineinzuholen. „Nur so lässt sich garantieren, dass Ergebnisse wirklich umsetzbar sind und ihr Leben wirklich verbessern.“
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