Die Beute

Jemen Das Land versinkt im Bürgerkrieg. Der Süden wird zum Raubgut der Vereinigten Arabischen Emirate
Ausgabe 08/2019

Es ist erst vier Jahre her, dass Ayman Askar in einem Gefängnis im Südjemen saß, verurteilt zu lebenslanger Haft wegen Mordes. Heute ist er ein wohlhabender und einflussreicher Mann, dessen Beziehungen auch die Gräben des Bürgerkriegs im Jemen überbrücken. Vor kurzem wurde Askar Sicherheitschef der Stadt Aden, ernannt von einer Exilregierung, in deren Namen Saudi-Arabien den Jemen seit dreieinhalb Jahren bombardiert. Zugleich ist er mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) verbündet – dem aggressivsten Mitglied der von den Saudis angeführten Koalition, die für die Wiedereinsetzung des 2015 von den Huthi-Rebellen vertriebenen Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi kämpft.

Saudi-Arabien wird für seine blutige Intervention im Jemen zu Recht massiv kritisiert. Dabei spielen die Emirate vor Ort mittlerweile eine gewaltsamere Rolle. Ihre Verbündeten im Süden – regionale Milizen, salafistische Kämpfer, südjemenitische Separatisten – liefern sich Stellvertreterkämpfe mit den Verbündeten der Saudis.

Heute ist Askar mit der jemenitischen Regierung und den VAE alliiert – dabei gehörte er noch bis vor kurzem zur mit beiden verfeindeten al-Qaida. Askar, der stiernackig wie ein Türsteher daherkommt, hatte sich im Gefängnis in der Machthierarchie nach oben gearbeitet. Im Gefängnis führte er einen Gemüseladen und eine Playstation-Lounge. Er schloss sich der stärksten Knastgang an – einer Gruppe von Al-Qaida-Mitgliedern. Er betete mit ihnen, ließ seinen Bart wachsen und begann, sich wie sie zu kleiden. Offiziell beigetreten sei er nie, sagen seine Freunde. Nur auf ein Pferd zu setzen, dafür sei er nicht der Typ.

Als Huthi-Kämpfer aus dem Nordjemen – unterstützt von Iran – 2015 nach Süden vorstießen, die Regierung in der Hauptstadt Sanaa stürzten und Präsident Hadi vertrieben, saß Askar noch im Gefängnis. Aber in dem Chaos, das folgte, stürmten Al-Qaida-Kämpfer das Gefängnis und befreiten die Insassen. Askar schloss sich dem Widerstand an und kämpfte an der Seite seiner dschihadistischen Freunde gegen die Huthi-Invasoren. Dabei tat er sich als rücksichtsloser Feldkommandeur hervor.

Ein paar Monate später wurden die Huthi wieder aus Aden vertrieben, von einem Verbund aus lokalen Milizen, südjemenitischen Separatisten, Regierungstruppen sowie saudischen und VAE-Kämpfern. Askar verlegte sich nun auf das Erpressen von Schutzgeld und kassierte „Gebühren“ für alle Waren, die den Hafen von Aden passierten. Die Regierung schrieb ihn mehrmals zur Fahndung aus, doch er entkam jedes Mal. Schnell freundete er sich mit Offizieren aus den VAE an, die in der Stadt stationiert waren. Er verbrachte längere Zeit in Dubai und Abu Dhabi, um Kontakte zu knüpfen. Für seine Loyalität wurde er mit einem lukrativen Auftrag im Transportwesen belohnt. Seit neuestem widmet er sich dem lukrativen Geschäft, landwirtschaftliche Fläche rund um Aden zu plündern.

Himmlisch: Urlaub vom Krieg

Als ich Askar im vergangenen Sommer traf, bewirtete er gerade Freunde auf seinem Landgut nördlich von Aden. Das üppige Grün, die Ruhe – Welten lagen zwischen diesem Ort und den stickigen, überfüllten Straßen Adens. Der Hausherr scherzte mit der Bonhomie eines Banditen und gab Anekdoten von seiner letzten Reise ins Ausland zum Besten. Mit Frau und Kindern hatte er Scharm el-Scheich in Ägypten besucht, sich zwischen Wasserparks, Stränden und Restaurants herumchauffieren lassen. „Eine himmlische Woche“, sagte Askar. „Die Kinder waren happy, man konnte den Krieg auch einmal vergessen.“

Ayman Askar ist nur einer von vielen Kriegsgewinnlern im Jemen – in einem Konflikt, den die UN als die schlimmste humanitäre Krise unserer Zeit bezeichnet haben. Derzeit sind Schätzungen zufolge mindestens 14 Millionen Menschen im Jemen vom Hungertod bedroht. Im Dezember 2018 führten UN-Friedensgespräche in Schweden zu einer vorübergehenden Waffenruhe zwischen Huthi-Rebellen und Regierungstruppen in der Hafenstadt Hodaida am Roten Meer, über die ein Großteil der humanitären Hilfe ins Land kommt. Hodaida wird seit 2015 von den Huthi kontrolliert, wurde aber im vergangenen Jahr monatelang von den Saudis und ihren Verbündeten bombardiert. Wenn die Waffenruhe in Hodaida hält, was mehr als unsicher ist, könnte sie den Weg für einen Waffenstillstand und weitere Verhandlungen ebnen. Aber der Krieg ist noch nicht vorbei.

Überhaupt ist es kein Krieg im Singular mehr, was als Konflikt zwischen zwei Seiten begonnen hatte – einer mit der Regierung verbündeten, von Saudi-Arabien geführten Koalition und von Iran unterstütztenHuthi-Milizen. Importierte Gefechtsstärke und Geldflüsse aus dem Ausland – insbesondere aus den VAE – haben dazu geführt, dass der Krieg in vielfältige lokale Konflikte und Scharmützel zersplittert ist, die durch ein Friedensabkommen wohl nicht beendet werden.

Der Jemen gleicht einem Flickenteppich aus waffenstarrenden Machtbereichen und Einflusssphären, in denen verschiedene Warlords, Kriegsgewinnler und Räuberhäuptlinge wie Ayman Askar gedeihen. Es gibt einen Krieg zwischen dem Nord- und dem Südteil des Landes, die vor 1990 getrennte Staaten und dann sich bekriegende Landeshälften waren. Es gibt einen konfessionell geprägten Konflikt zwischen schiitischen Zaiditen wie den Huthi und sunnitischen Salafisten. Und schließlich gibt es zahlreiche kleinere Konflikte, befeuert von Geld und Waffen, welche ausländische Kräfte für all jene bereitstellen, die ihre Agenda unterstützen.

Die jemenitische Regierung ist so machtlos wie korrupt und tagt seit 2015 in einem saudi-arabischen Hotel im Exil. Ihre Streitkräfte zählen offiziell 200.000 Mann. Viele davon existieren nur als Namen auf Besoldungslisten, damit Kommandeure für sie abkassieren können. Die von Saudi-Arabien geführte Koalition krankt ihrerseits an internen Konflikten und an dem Umstand, dass jedes ihrer Mitglieder seine eigene Agenda verfolgt. In der Stadt Taiz, die seit mehr als drei Jahren von den Huthi belagert und beschossen wird, gibt es unter den Kämpfern der Koalition mehr als zwei Dutzend verschiedene Splittergruppen, die entweder von den VAE oder von al-Qaida oder anderen Dschihadisten unterstützt werden. Manche Kämpfer wechseln die Seiten – je nachdem, wer ihnen am meisten bietet.

Vor zwei Jahren bat ein sunnitischer Stammesführer aus Bayda die VAE um Unterstützung im Kampf gegen die Huthi-Rebellen. Er bekam zur Antwort, die Huthi seien „nicht länger der Hauptfeind“. Wenn er Waffen wolle, müsse er auch gegen den Islamischen Staat (IS), al-Qaida und die Islah-Partei kämpfen – Letztere ist eine islamistische Partei, die jener Regierung angehört, zu deren Verteidigung die VAE angeblich ihre Truppen in den Jemen geschickt haben.

Derzeit kämpfen drei verschiedene Truppenverbände auf dem Gebiet des Stammesführers gegeneinander, alle mit Unterstützung von einer oder sogar zwei Parteien der saudi-arabischen Koalition. Jede dieser Milizen hat Millionen von Dollar für Kriegsgerät, Lastwagen und Besoldung erhalten. Derweil haben die Bauern in der Gegend keinen Treibstoff mehr für ihre Traktoren; sie pflügen ihre Felder mithilfe dürrer Esel und hölzerner Pflüge, während ihre Kinder von Milizen rekrutiert werden.

Die VAE scheinen das einzige Bündnismitglied mit einer klaren Strategie zu sein. Sie unterhalten Privatarmeen, um damit sowohl militante Dschihadisten als auch Islamisten wie die Islah-Partei zu bekämpfen. Entlang der Südküste sind sie mit der separatistischen Al-Hirak-Bewegung verbündet, die sowohl die Huthi-Rebellen als auch die Regierung ablehnt. Die VAE haben in diesem Gebiet eine Reihe von Militärbasen gebaut und de facto einen Parallelstaat etabliert, mit einem eigenen Sicherheitsapparat, der nicht der jemenitischen Regierung unterstellt ist. Amnesty International und Human Rights Watch berichten von einem Netz von Geheimgefängnissen, die von den VAE und ihren Verbündeten betrieben werden und in denen Al-Islah-Mitglieder, Anti-Huthi-Kämpfer ebenso wie Kritiker der saudi-arabischen Koalition eingesperrt und gefoltert werden sollen. Jemenitische Minister bezeichnen die VAE inzwischen als „Besatzungsmacht“.

Den Saudis ist der Süden egal

Die gescheiterte Militärstrategie der Saudis bestand vor allem in erbarmungslosen Bombardements von Zivilisten und einer Seeblockade, die dazu geführt hat, dass Millionen Menschen vom Hungertod bedroht sind. „Wir hatten gehofft, dass die Saudis den Wahnsinn der Emiratis stoppen“, sagte mir ein jemenitischer Kommandeur im vergangenen Sommer. „Aber der Krieg läuft nicht gut für sie und es ist ihnen völlig egal, was im Süden passiert, also lassen sie den Emiratis freie Hand.“

Was die VAE im Jemen erreicht haben – der Aufbau eigener Truppen, das Stützen der Sezessionisten im Süden, die Kontrolle strategischer Seewege im Arabischen und im Roten Meer –, zeigt, wie ein kleines Land mit großen Ambitionen seine Macht in der Region ausdehnt.

Der verheerende Krieg im Jemen hat eine lange Vorgeschichte. Der entscheidende Auslöser kam mit dem Arabischen Frühling, 2011, als eine breite Protestbewegung den damaligen Präsidenten Ali Abdullah Saleh stürzte. Saleh war drei Jahrzehnte lang an der Macht gewesen, auch dank eines ausgeklügelten Systems von Korruption und Vetternwirtschaft. Im Gegensatz zu anderen entmachteten arabischen Diktatoren musste er nicht in Haft oder ins Ausland fliehen, sondern konnte aufgrund einer von der UNO und Jemens Nachbarstaaten vermittelten Vereinbarung straffrei abtreten. Sein Vize, Hadi, übernahm die Regierung. Aber während die Vertreter der verschiedenen Gruppierungen in der Hauptstadt noch über den politischen Transformationsprozess verhandelten, begannen im Norden und im Süden manche derselben Stammesgruppen und Parteien, mit Gewalt Fakten zu schaffen.

Unter den Konfliktparteien waren die Huthi-Rebellen oder „Ansar Allah“, wie sie sich selbst nennen, am besten organisiert und ideologisch mobilisiert. Ihr Gründer, Hussein Badreddin al-Huthi, war ein religiöser Führer der Zaiditen, einer schiitischen Sekte, die ein Drittel der Bevölkerung des Landes ausmacht. Al-Huthi kritisierte die Korruption des Saleh-Regimes und predigte einen ideologischen Mix aus antiwestlichen Versatzstücken und islamistischer Erneuerung.

Die Huthi vertrieben Präsident Hadi 2015 erst nach Aden und dann weiter nach Saudi-Arabien. Einen Tag nachdem er in Riad angekommen war, begann eine von Saudi-Arabien angeführte Koalition – mit den VAE, Katar, Bahrain, Sudan und Ägypten, unterstützt von den USA, Großbritannien und Frankreich –, Jemens Hauptstadt Sanaa zu bombardieren. Unterdessen hatten die Huthi-Rebellen Aden zwar erobert, aber nicht vollständig unter ihre Kontrolle gebracht. Über Nacht füllte sich die Stadt mit Kämpfern, die sich verschiedenen „Kommandeuren“, Anführern oder einfach nur Gangstern anschlossen und Schulen, Regierungsgebäude und Plätze besetzten. Die Gruppen waren oft nicht klar zuzuordnen. Manche waren Salafisten, andere Separatisten, manche Al-Quaida-Anhänger, viele einfach nur arbeitslose Jugendliche. Ein Kommandeur konnte sowohl Separatist als auch Salafist sein, während sich viele junge Leute den Dschihadisten nicht aus ideologischen Gründen anschlossen, sondern aus Hass gegen die Huthi und Bewunderung für die Disziplin und den Waffennachschub der Dschihadisten.

Massengräber am Stadion

Die Salafisten, die ihr Hauptquartier in einem Fußballstadion aufschlugen, entwickelten sich schnell zum mächtigsten Akteur des Widerstands gegen die Huthi. „Für uns ging es darum, die sunnitische Identität unserer Gesellschaft zu verteidigen“, sagte mir ein salafistischer Kommandeur vor einigen Monaten. „Alle kämpften unter unserem Kommando: religiöse Splittergruppen, Südjemeniten, Schlägertrupps und sogar al-Qaida.“ Dass Waffen und Geld der saudi-arabischen Koalition über die Salafisten verteilt wurden, festigte ihre Machtposition weiter.

Im Krieg verbanden sich separatistische Bestrebungen mit dem Hass auf die Schiiten unter den Salafisten und Dschihadisten zu einer explosiven Mischung. Jeder, der aus dem Norden kam, war verdächtig. Hunderte wurden im Stadion festgehalten und beschuldigt, Huthi-Agenten zu sein. Im Dezember 2015 fand man zwei Massengräber ganz in der Nähe des Stadions.

Die Besatzung von Aden durch die Huthi dauerte nur vier Monate. Nachdem sie vertrieben worden waren, hegten die Separatisten der „Südlichen Bewegung“ große Hoffnungen. Erstmals seit 1994 – als der Norden einen Sezessionsversuch der südjemenitischen Armee niederschlug – hatte der Norden keinerlei Kontrolle mehr über die Stadt. Die Sicherheitskräfte wurden vollständig von Südjemeniten kontrolliert, sie hatten Waffen und einen starken Verbündeten, die VAE, die die Front im Süden kontrollierte.

In den ersten Monaten nach dem Abzug der Huthi wurden die Emiratis als Befreier gefeiert. Die Menschen in Aden glaubten, mit den VAE im Rücken könnte ihre Stadt das nächste Dubai werden. Doch die Wirklichkeit sah anders aus. Das „befreite Aden“ ähnelte anderen Städten, die durch Bürgerkriege im Gefolge des Arabischen Frühlings zerstört wurden. Ausgebrannte Panzer rosteten auf Anhöhen über den Ruinen, den kaputten Straßen und den obdachlos gewordenen Menschen, die jetzt als Hausbesetzer in ihrer eigenen Stadt lebten, ohne Strom und Abwasserentsorgung.

Foto: Mohammed Huwais/AFP/Getty Images

Die Huthi waren fort, jetzt füllten sich die Straßen mit Kämpfern, die schwer bewaffnet auf Pick-ups patrouillierten. Kommandeure rivalisierender Milizen forderten ihren Teil. Die mächtigsten unter ihnen, Männer wie Ayman Askar, brachten den Hafen und die Fabriken der Stadt unter ihre Kontrolle und verlangten Schutzgeld. Die anderen begnügten sich damit, öffentliches und privates Eigentum zu plündern, vor allem von Leuten aus dem Norden.

„Als die Schlacht um Aden zu Ende war, herrschte Chaos“, sagte mir der salafistische Kommandeur, „die Stadt war in Sektoren aufgeteilt, Milizen kontrollierten ihre eigenen Viertel und lieferten sich Gefechte miteinander.“

Ende 2015 kam der Krieg gegen die Huthi ins Stocken: wegen der Rivalitäten der Koalitionäre, der Vervielfältigung von Milizen, die das Land unter sich aufteilten, und wegen des Vormarschs von al-Qaida im Süden. Die Hoffnung der Bewohner von Aden, dass ihre Stadt dank der Vereinigten Arabischen Emirate erblühen würde, wich, Groll und Frust folgten.

Er habe das Gefühl gehabt, es müsse etwas passieren, erklärte mir der Salafisten-Führer. Wie viele jemenitische Kommandeure war er regelmäßig in den VAE zu Gast. Dabei lernte er in Abu Dhabi einen Professor und Berater von Mohammed bin Zayed kennen, dem Präsidenten der VAE und Oberbefehlshaber der Armee. Der Professor hatte mit der „Golfizierung der Araber“ einen Begriff geprägt, der zu der Zeit unter Führungseliten in Abu Dhabi beliebt wurde. Um erfolgreich zu sein, so die These, müsse der Rest der arabischen Welt dem Beispiel der Golfmonarchien folgen – also auf Demokratie verzichten, dafür aber Wohlstand und Sicherheit bieten.

Der Kommandeur machte sich den Gedanken zu eigen und entwarf für seine Verbündeten eine Art Strategie zur Rettung des Südjemens. Er forderte die VAE zur Gründung einer neuen Sicherheitstruppe auf, zur Schaffung eines neuen Geheimdienstes und zur „Golfizierung“ durch das Verbot politischer Parteien und die Abschaffung von Wahlen.

Um al-Qaida zu besiegen und die Sezessionisten unter Kontrolle zu halten, riet er den VAE, eine loyale Separatisten-Fraktion zu unterstützen – auch um zu verhindern, dass andere Mächte, etwa Katar oder Iran, sie vereinnahmten. „Klar wollte ich, als Berater der VAE, dass sie Erfolg haben“, sagte er zu mir. „Unsere Schicksale waren miteinander verknüpft: Mir war klar, dass ich sie brauche und von ihnen abhängig bin. Aber ich weiß auch, dass sie ihre eigenen Ziele und Interessen verfolgen.“

Ziel: eine Vasallen-Armee

Die VAE waren einverstanden. Und unser Salafist begann gemeinsam mit einem emiratischen General, eine neue loyale Sicherheitstruppe auszubilden. Offiziell verlautbarte man, es gehe darum, Jemens Regierung dabei zu unterstützen, ein modernes Heer aufzubauen. In Wirklichkeit wollten die VAE ihre eigene Vasallen-Armee, die sie unabhängig von Präsident Hadi kontrollieren konnten, den sie zunehmend als Hindernis sahen, insbesondere seit er sich mit ihrem Feind, der Islah-Partei, verbündet hatte.

„Der Plan war, 3.000 Mann auszubilden und auszurüsten“, sagte der Kommandeur. „Am Ende waren es 13.000 Mann in drei Bataillonen.“ Am Ende schufen die VAE in Aden und dem Süden Jemens über ein halbes Dutzend Truppenverbände, die nicht der jemenitischen Regierung unterstehen. Ihre Kommandeure sind unabhängige Warlords, ausgestattet mit Panzern, Gefängnissen und ihnen persönlich ergebenen Truppen. Eine zentrale Befehlsstruktur gibt es nicht, die Regierung Jemens hat keine Kontrolle über sie.

Stattdessen unterstehen sie direkt dem emiratischen General, der sie je nach Laune ernennt und entlässt und sein Füllhorn je nach Kooperationsbereitschaft und Schlagkraft ausleert. Im Gegensatz zur regulären jemenitischen Armee werden die Kämpfer pünktlich bezahlt, sind besser ausgerüstet, mit einer Vorliebe für schwarze Sturmhauben und extremer Brutalität. Sie verhaften, foltern und töten ungestraft.

Ich sprach mit einem Kommandeur in seinem Stützpunkt nördlich von Aden, an der Grenze zur Nachbarprovinz Lahidsch, einer früheren Hochburg der Dschihadisten. Als er hierherkam, erzählte er, hätten die Al-Qaida-Kämpfer nur 200 Meter entfernt Stellungen gehalten und die gesamte Provinz kontrolliert. „Es war ein harter Kampf“, sagte er. „Wochenlang schliefen wir nur zwei, drei Stunden, patrouillierten auf den Straßen und schnappten uns Al-Qaida-Kämpfer. Die Strategie war einfach: Ihre Anführer erschossen wir. Diejenigen, die wir für wenig gefährlich hielten – Kollaborateure oder Ladenbesitzer, die mit ihnen gehandelt hatten –, wurden gefoltert und eingesperrt, aber nach sechs Monaten freigelassen, wenn sie ein Loyalitätsversprechen unterzeichneten. Den Rest der Bevölkerung kontrollieren wir durch ein System von Informanten.“

Ein Bericht der UNO stellte 2018 fest, dass alle Konfliktparteien im Jemen Verdächtige ohne Verfahren festgehalten und Gefangene gefoltert hatten. Die Huthi etwa ließen bereits vor dem Krieg Schriftsteller, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten „verschwinden“. Aber mit den Folterungen und Verhaftungen durch die von den VAE kontrollierten Truppen konnte keine andere Gruppierung mithalten. Im Jahr 2016 verbreiteten sie einen nie da gewesenen Terror: Männer wurden nachts von maskierten Bewaffneten abgeholt, ohne dass jemand die Verantwortung dafür übernimmt.

Im letzten Sommer sprach ich mit einer Menschenrechtsanwältin, die für Jemens Justizministerium Listen von Gefangenen erstellt und Zeugenaussagen von ihnen und Angehörigen sammelt. „Leute werden abgeholt, nur weil sie die VAE kritisieren. Der Kampf gegen al-Qaida ist zum Vorwand geworden, sie verhaften einfach alle, die ihnen nicht in den Kram passen. Fast jeder, der verhaftet wird, wird auch gefoltert, viele werden sexuell missbraucht.“ Vor ihr lag ein dicker Packen Akten, sie schätzte, dass es um mindestens 5.000 Fälle geht.

In Aden gehe die Angst um, erzählte sie. Selbst im Krieg sei das Leben einfacher gewesen. Viele Gefangene wurden nur zu dem Zweck festgenommen, Druck auf ihre Familien auszuüben. In einem hell erleuchteten Café neben einem Einkaufszentrum traf ich den Studenten Abdullah. Schweigend trank er seinen Limettensaft, und jedes Mal, wenn er das Glas anhob, kam die versehrte Haut an seinem Arm zum Vorschein. Vor einem Jahr hatten maskierte Männer an seine Tür geklopft und ihn „für eine Befragung“ abgeholt. Seiner Mutter versicherten sie, er werde am Morgen wieder da sein. Sie verbanden seine Augen und warfen ihn auf die Ladefläche eines Pickups. Als sie ihn wieder abluden, erkannte er, dass er sich im berüchtigten Hauptquartier des Kommandeurs Abu al-Yamama befand. Al-Yamama ist ein Veteran des Kampfes für die Unabhängigkeit des Südjemens. Heute ist er ein mächtiger Verbündeter der VAE.

Abdullah wurde in eine Zelle geführt und dort mehrere Stunden allein gelassen. „Vor Tagesanbruch kamen vier Männer. Sie begannen, mich zu schlagen, und verlangten, ich solle zugeben, dass mein Bruder für die Dschihadisten arbeitet. Ich schwor, dass das nicht stimmte. Er hatte einen kleinen Laden, in dem er Mobiltelefone und Computer reparierte. Er betete nicht mal. Da brachte einer von ihnen eine kleine Wasserflasche und begann etwas auf meinen Rücken zu sprenkeln“, erzählte er. „Ich roch das Benzin erst, kurz bevor sie es anzündeten. Ich rannte panisch herum, krachte gegen die Wände und schrie, bis die Wächter kamen und das Feuer löschten.“ Was er nicht wusste, war, dass er gefilmt wurde und dass sein Bruder bereits verhaftet war und sich weigerte, ein Geständnis abzulegen. „Als sie meinem Bruder den Film zeigten, unterschrieb er sofort.“ Abdullah wurde ins Krankenhaus gebracht und nach sechs Monaten freigelassen. Er zog sein T-Shirt hoch und zeigte mir seinen vernarbten Rücken. Sein Bruder ist bis zu diesem Tag ohne Anklage in Haft.

Partner der USA

Als ich den salafistischen Kommandeur auf diese Misshandlungen ansprach, ging sein Blick ins Leere. Dann sagte er, sie würden von den lokalen Verbündeten der VAE verübt. „Al-Qaida-Verdächtige zu verhaften ist international akzeptiert. Die VAE sind in dieser Sache Partner der USA“, sagte er. „Einen Al-Qaida-Verdächtigen verschwinden zu lassen – das ist völlig in Ordnung. Aber einen Mann für ein Jahr ins Gefängnis zu stecken und ihn zu foltern, nur weil sein Sohn verdächtigt wird, das ist ein Problem.“

Im Südjemen ist der alte Traum von der Unabhängigkeit nie ganz gestorben. Wie alle Einwohner von Städten mit einer glorreichen Geschichte und einer armseligen Gegenwart sehnen sich die Menschen in Aden in eine imaginierte Vergangenheit zurück. Diese Nostalgie wirkt beruhigend und harmlos – solange sie nicht mit nationalistischen und konfessionellen Mythen verbunden und so zu einer explosiven Mischung wird.

In den Jahren nach der Vereinigung erlebten die Menschen im Süden, wie ihr säkularer sozialistischer Staat im Süden vom mächtigeren Norden annektiert wurde. Sie sahen, wie ihre Fabriken demontiert, ihre Politiker aus der Regierung geschmissen, ihr Land übernommen wurde und wie ihr Gesundheits- und ihr Bildungssystem zusammenbrachen. Ihr ehemals armer, aber funktionierender Staat wurde von einem korrupten, von Vetternwirtschaft regierten Stammesregime abgelöst. Was eine Partnerschaft mit dem Norden hätte sein sollen, wurde zu einer Einverleibung.

Seit mehr als einem Jahrzehnt – schon lange vor dem Arabischen Frühling – forderten die Menschen im Südjemen die Wiederbelebung ihres alten Staates. Sie demonstrierten friedlich in den Straßen von Aden und in den Dörfern der Berge und der Wüste. Der Staat antwortete stets mit Brutalität und Gewalt. Die Sicherheitskräfte unter Präsident Saleh und später unter Hadi feuerten Tränengas und scharfe Munition auf friedliche Demonstranten ab und bedienten sich Verhaftungen, Folter und manchmal gar illegaler Tötungen, um die „Südliche Bewegung“ zu unterdrücken.

Verklärte Unabhängigkeit

Ihre Ziele wurden lange ignoriert – von der Welt und von ihren Nachbarn –, bis die Huthi in den Süden einmarschierten und alles sich änderte. „Jetzt haben wir eine Armee, wir kontrollieren den Süden und haben einen starken Verbündeten“, sagte mir damals stolz eines der führenden Mitglieder des „Südlichen Übergangsrates“, der wichtigsten politischen Organisation der Separatisten und bedeutendsten politischen Kraft im Süden, die von den VAE unterstützt wird. „Es heißt, wir werden von den VAE kontrolliert, als hätten die eine Fernbedienung für uns“, erklärte er. „Aber die VAE sind keine Wohltätigkeitsorganisation. Sie haben natürlich ihre Interessen – die Sicherung der Küste, den Kampf gegen al-Qaida und einen ihnen freundlich gesinnten Staat hier im Südjemen. Die VAE brauchten einen Partner, und als sie sahen, wie die Regierung von Hadi versagte, mussten sie etwas tun.“

Foto: Mohammed Hamoud/Getty Images

Dabei fußt der Traum von einem unabhängigen Süden ein Stück weit auf der Verklärung der Vergangenheit. In ihren Lobgesängen vergessen viele Separatisten, den Hunger und die Unterdrückung jener Jahren zu erwähnen, und beschönigen eine konflikthafte Geschichte. Die Helden der Unabhängigkeit, die in den 1960er Jahren die Briten vertrieben hatten – und dann das Stammessystem abschafften, die Emanzipation der Frauen verwirklichten, die Alphabetisierung durchsetzten und die Bürokratie von Aden auf die entlegensten Dörfer der Wüste ausdehnten –, befehdeten sich am Ende wie alle anderen Revolutionäre auch.

Differenzen über sozialistische Theorie und Fragen der Staatspolitik führten schließlich 1986 zum zehntägigen Bürgerkrieg des Südens, dessen Verlierer – unter ihnen Hadi – ins Exil in den Norden gingen. Und dann 1994 siegreich zurückkehrten, als der Norden die Armee des Südens mit Leichtigkeit besiegte. Heute sind die Verlierer von 1994 mit den VAE verbündet, während Hadi und seine Alliierten ihre Gegner sind. Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber genau wie die Amerikaner aus schierer Ignoranz die Bedingungen für einen brutalen Bürgerkrieg im Irak schufen, haben die VAE die Voraussetzungen für eine Neuauflage des Konflikts und Bürgerkriegs geschaffen.

„Ich will keinen unabhängigen Staat im Süden mehr“, sagte mir ein junger Aktivist. „Viele Jahre lang haben meine Freunde und ich davon geträumt. Aber so zerstritten, wie die Leute sind, was wird passieren, wenn sie einen Staat bekommen? Die Leute werden sich auf den Straßen töten, genau wie früher.“

Im Sommer 2018 hingen in Aden riesige Plakate mit dem Konterfei des Präsidenten der VAE, Kronprinz Mohammed bin Zayed, dazu Bilder von Hadi und anderen Kommandeuren, pro-emiratische Graffiti und Fahnen. Aber im Laufe des Sommers tauchten zunehmend Slogans wie „Nieder mit der Besatzung durch die Emirate“ auf.

Die Aufstände des Arabischen Frühlings und das folgende gewaltsame Chaos haben die Machtbalance in der arabischen Welt verschoben. Nicht nur erklärten sich die Golfstaaten lautstark zu Symbolen der Stabilität in einer von Bürgerkriegen zerrissenen Welt. Sie ergriffen auch die Gelegenheit, ihre neue Macht auszuüben, indem sie sich in die Konflikte in ihrer Nachbarschaft einmischten: durch die Finanzierung und Bewaffnung von Milizen in Syrien, Libyen und dem Jemen und die Unterstützung für einen Putsch in Ägypten. Unter dem Falken Zayed verfolgen die VAE verstärkt eine Außenpolitik, die die Emirate als Regionalmacht etablieren soll. Im Jemen verfolgen die VAE drei von der Unterstützung der saudi-arabischen Koalition unabhängige Ziele: einmal die Bekämpfung des politischen Islam in jeder Form. Zweitens: Kontrolle der strategisch wichtigen Küstenlinie Am Roten Meer – gegenüber dem Horn von Afrika, wo die VAE bereits Militärstützpunkte in Dschibuti und Eritrea unterhalten. Und drittens: Stärkung ihrer Sondereinheiten, die lokale Verbündete wie im Jemen ausbilden und anleiten.

Die zunehmend offensichtliche Durchsetzung dieser geopolitischen Ziele kommt bei ihren Verbündeten nicht gut an. In Aden wuchs die Kritik, insbesondere unter den Armen, die sich von der Anwesenheit ihrer reichen Nachbarn aus den Emiraten ein besseres Leben erhofft hatten. Stattdessen verschlechterte sich die Stromversorgung, Krankheiten breiteten sich aus und der Zusammenbruch der Währung machte sie noch ärmer. Im September kam es dann im gesamten Süden zu Demonstrationen wegen der wirtschaftlichen Lage. Selbst ihre engsten Verbündeten, die Salafisten, lehnten es zunehmend ab, als Kanonenfutter herzuhalten. Ein Kommandeur sagte wütend zu mir: „Warum verheizen wir unsere besten Männer an der Front und bombardieren Zivilisten, die zwischen uns und den Huthi gefangen sind – nur weil die VAE die Küste kontrollieren wollen?“

In einem kleinen Hotel in Aden saß ich mit drei Führern der „Südlichen Bewegung“ zusammen, die früher im Widerstand gekämpft und die VAE als ihre Freunde betrachtet hatten. Alle drei erzählten, sie seien im vergangenen Jahr ins Visier der Stellvertreter-Truppen der VAE geraten. „Ein Krieg mit ihnen ist nur eine Frage der Zeit“, sagte einer. Alle drei haben die Seiten gewechselt. „Wir wollten einen Süden, der sich auf Institutionen stützt, nicht auf Milizen“, so einer von ihnen. „Was wir jetzt haben, ist Chaos, maskierte Soldaten verhaften und töten aus Willkür. Das ist nicht der Süden, für den ich gekämpft habe. Entweder besetzen die VAE den Süden und machen ihn zur Kolonie oder sie respektieren die Menschen und den Präsidenten.“

Bei meinem letzten Treffen mit dem salafistischen Kommandeur in Aden wirkte er mutlos: „In den letzten drei Jahren haben Südjemeniten den Süden regiert und sind damit gescheitert.“ Einen Abzug der VAE lehnte er also ab, wegen der drohenden Instabilität. „Gleichzeitig frustrieren mich ihre Fehler. Natürlich müssen sie erst lernen, Imperialmacht zu sein. Das Problem ist, dass sie schon jetzt mit der Arroganz einer Imperialmacht auftreten.“ Er fügte hinzu: „Zwei Jahre sind keine lange Zeit für eine Nation, die ein Imperium aufbauen will. Aber es ist eine kurze Zeit, um aus seinen Freunden Feinde zu machen.“

Ghaith Abdul-Ahad hat für den Guardian aus dem Irak, Afghanistan, Libyen und Syrien (der Freitag 50/2017) berichtet

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Übersetzung: Carola Torti, Holger Hutt
Geschrieben von

Ghaith Abdul-Ahad | The Guardian

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