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USA & Lateinamerika Barack Obama hat in dieser Woche – in Mexiko und auf Trinidad – die einmalige Gelegenheit, einen Neuanfang in den Beziehungen der USA mit Lateinamerika zu wagen

Wenn Barack Obama die Handelspolitik seines Landes gegenüber Lateinamerika analysiert hat, sollte er danach nicht zögern, den so genannten Washington Consensus zu kassieren, wie das viele lateinamerikanische Regierungen bereits vorgemacht haben. Diese Wirtschaftsdoktrin der drakonischen Vorgaben zielt seit 20 Jahren darauf, im Blick auf Lateinamerika Handel und Investitionen zu liberalisieren. Sie hat dazu geführt, dass auf dem Subkontinent neue Führer gewählt wurden, die einer solcher Wirtschaftspolitik wenig oder nichts abgewinnen können.

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Der wirklich historisch zu nennende Widerstand gegen den Washington Consensus regte sich nicht ohne Grund, denn nach einer Studie der Inter American Development Bank haben die Liberalisierungsdogmen der Präsidenten Reagan, Clinton und Bush das Wachstum in den Regionen südlich der USA nie befördert, stattdessen aber die Ungleichheit noch vergrößert. Seit man in den späten achtziger Jahren in Brasilia, Buenos Aires, Caracas oder Montevideo damit begann, nach den Rezepten aus Washington zu experimentieren, kam kein Land entscheidend voran. Es gab eine Ausnahme: Chile. Dieser Staat war nicht auf dem Washingtoner Pfad unterwegs.

Mexiko: Sinnbild für das Versagen der US-Handelspolitik

Obamas ersten Halt auf seiner Lateinamerika-Tour gibt es in Mexiko, dessen Ökonomie zum Sinnbild für das Versagen der US-Handelspolitik taugt. Obwohl die mexikanischen Exporte seit Unterzeichnung des North American Free Trade Agreement (NAFTA) 1994 um das Vierfache und die Investitionen aus dem Ausland um das Dreifache gestiegen sind, konnte Mexikos Ökonomie weder stabiles Wachstum noch Wohlstand verbuchen. Pro Kopf betrachtet liegt das jährliche Wirtschaftswachstum gerade einmal knapp über 1,5 Prozent, die Zahl der Arbeitsplätze steigt so verhalten, dass jedes Jahr eine halbe Millionen Mexikaner in den USA ein besseres Leben suchen. Aber nicht allein dieser NAFTA-Staat hat Enttäuschungen zu verkraften.

Kürzlich kam ein Bericht der Working Group on Development and Environment in the Americas (Arbeitsgruppe zu Entwicklung und Umwelt in den Amerikas) zu dem Ergebnis, dass die Liberalisierung der Investitionen eine Teilschuld am langsamen Wachstum von Panama bis Chile trägt. Diesen Analysen zufolge sind die ausländischen Investitionen in Lateinamerika in den vergangenen 20 Jahren zwar signifikant gestiegen, haben aber viele lokale Unternehmen vom Markt verdrängt und das Gesamtvolumen der Investitionen gedrückt.

Statt sich in Lateinamerika niederzulassen und dort neue wirtschaftliche Aktivitäten anzuregen, wollen ausländische Firmen oft nur von der Zollfreiheit profitieren und unterhalten nur in eingeschränktem Maße Verbindungen zur einheimischen Wirtschaft.

Obama sollte auf seine Kollegen hören

In der Studie zur Landwirtschaft kommt die Arbeitsgruppe zu dem Schluss: Das Versprechen, mit der Liberalisierung würden Landwirtschaftsexporte in den Norden begünstigt, muss bezweifelt werden. Denn ob Kolumbien, Peru, Paraguay oder Argentinien – sie alle können mit ihren landwirtschaftlichen Erzeugnisse so gut wie nicht auf die vom Norden dominierten Märkte vordringen. Doch selbst für diejenigen, denen es gelingt – wie den südamerikanischen Sojaproduzenten – ist der Ertrag gering. Nicht zuletzt deshalb, weil derart kapitalintensive Formen der Landwirtschaft nur wenige Arbeitsplätze schaffen.

Andererseits: Würden die Versprechen über steigende Agrarexporte sich tatsächlich erfüllt, wären weitreichende Gefahren für Kleinbauern die Folge. Dann wären sowohl ländliche Gemeinden, als auch die nationale Sicherheit der Lebensmittelversorgung bedroht. Die Working Group on Development and Environment konstatiert, das überall in Lateinamerika einheimische Landwirte, die Grundnahrungsmittel erzeugen, systematisch durch billige Importe aus dem Norden ersetzt wurden. Eine der Folgen: 2008 schossen die Lebensmittelpreise gewaltig in die Höhe.

Barack Obama, der gelobt hat, die US-Handelspolitik zu reformieren, kann nun in und für Lateinamerika einen neuen Kurs einschlagen. Er sollte damit nicht warten, auf seine Amtskollegen hören und einen neuen Consensus schmieden, der das Recht jeder Nation auf dem amerikanischen Kontinent hochhält, entwicklungspolitisch eigene Wege zu verfolgen, nicht solche, die von Washington diktiert werden.

Links- und Mitte-Links-Regierungen in Lateinamerika

Nicaragua
Präsident Daniel Ortega, im Amt seit 2007
(Partei: Frente Sandinista/FSLN)

El Salvador
Präsident Mauricio Funes, im Amt seit 2009
(Partei: Frente Farabundo Marti/FMLN)

Venezuela
Präsident Hugo Chavez, im Amt seit 1999
(Partei: Partido Socialista Unido de Venezuela/PSUV)

Brasilien
Präsident: Lula da Silva, im Amt seit 2002
(Partei: Partido dos Trabalhadores/PT)

Ecuador
Präsident: Rafael Correa, im Amt seit 2007
(Partei: Movimiento PAÍS/Abkürzung für Patria Altiva i Soberana/ Aufrechtes und Souveränes Vaterland)

Bolivien
Präsident: Evo Morales, im Amt seit 2006
(Partei: Movimiento al Socialismo/MAS)

Argentinien
Präsidentin: Cristina Fernández de Kirchner, im Amt seit 2007
(Partei: Frente para la Victori /FPV/Peronisten)

Chile
Präsidentin: Michelle Bachelet, Amt seit 2006
(Partei: Partido Socialista/PS)

Uruguay
Präsident: Tabaré Vázquez, im Amt seit 2005
(Partei: Frente Amplio/FA)

Paraguay
Präsident: Fernando Armindo Lugo, im Amt seit 2008
(Partei: Alianza Patriótica por el Cambio/APC)

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Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Kevin Gallagher und Timothy Wise, The Guardian | The Guardian

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