Bloß keine Schuldzuweisungen!

Sri Lanka Nach der Katastrophe darf die Regierung sich nicht in Streitereien verlieren
Ausgabe 17/2019
Pastoren einer örtlichen Kirche bei einem Massenbegräbnis in Katuwapity, Sri Lanka
Pastoren einer örtlichen Kirche bei einem Massenbegräbnis in Katuwapity, Sri Lanka

Foto: Atul Loke/Getty Images

Ein Jahrzehnt nach dem Ende des Bürgerkrieges haben die Bombenanschläge gegen Christen am Ostersonntag Sri Lanka wie ein Hammerschlag getroffen. Die Nachricht von mittlerweile über 350 Toten dürfte alle friedliebenden Bürger erschüttert und Erinnerungen an eine gewalttätige Vergangenheit geweckt haben, in der Terror die nationale Agenda dominierte.

Auch wenn Gewalt für dieses Land nichts Unbekanntes ist, gab es doch noch nie ein Verbrechen dieser Dimension und mit einem solchen Maß an Koordination an nur einem einzigen Tag. Die Rückkehr zur Normalität, genährt durch zehn Jahre einer relativen Stabilität, wurde wirkungsvoll unterbrochen. Die Detonationen vom Ostersonntag stellen den größten Angriff auf die Christen in der jüngeren Geschichte Südasiens dar. Sie gelten einer Region, in der viele Glaubensrichtungen beheimatet sind. Dem entsprechen identitätspolitische Debatten, Polarisierungen und häufig extremistische Gewalt.

Kardinal Malcolm Ranjith hat als Oberhaupt der katholischen Kirche Sri Lankas alle Christen aufgefordert, dem Beispiel Jesu zu folgen, der denen vergab, die ihn verrieten. Er bat sie, trotz des Schmerzes über verlorene Angehörige und der darin wurzelnden Traumatisierung die Dinge nicht in die eigenen Hände zu nehmen. Was nichts daran ändert, dass die Geduld der Christen Sri Lankas seit geraumer Zeit auf die Probe gestellt ist. Laut National Christian Evangelical Alliance gab es in diesem Jahr bereits 26 Fälle der Diskriminierung und Misshandlung – 2018 insgesamt 86. Bisher hat es die christliche Bevölkerung stets vermieden, darauf ihrerseits mit Gewalt zu reagieren. Wie lange währt diese Zurückhaltung noch?

Inzwischen gilt eine wenig bekannte, womöglich gut vernetzte islamistische Organisation namens National Thowheeth Jama’ath als Drahtzieher der Angriffe. Wenn sich der Verdacht erhärtet, wäre damit eine neue Bedrohung verbunden, die über alles hinausgeht, was Sri Lanka bislang kannte. Die Regierung hat versprochen, die internationalen Verbindungen der Gruppe, etwa mit dem IS, zu untersuchen. Und das sollte sie auch, sie muss aber vor allem ausfindig machen, wer im Inland die Verantwortung trägt. Dennoch wird entscheidend sein, dass dem Ansinnen, den Extremismus zu bekämpfen, keine Glaubensgemeinschaft zum Opfer fällt.

Zweifellos wird es notwendig sein, den Umgang mit der nationalen Sicherheit zu verändern und neue Maßnahmen einzuführen, die den Terrorismus in Schach halten können. Doch braucht es eine Balance zwischen dem Vermeiden künftiger Gewalt und dem Bewahren der bürgerlichen Freiheiten für die Staatsbürger Sri Lankas. In Colombo scheinen Polizei und Geheimdienst indessen mindestens ebenso bemüht, die Schuld für ein Versagen der Regierung auszuloten. Nur wird das weder dem Land noch den Angehörigen der Opfer helfen.

Diese kleine Nation hat genug gelitten. Sie braucht keine streitenden Politiker, die sich angesichts einer nationalen Katastrophe in rhetorischen Scheingefechten verlieren. Die Situation verlangt stattdessen eine vorbildliche Regie-rung, die sich mutig dem Terror widersetzt, ohne dabei Einzelpersonen oder ethnisch-religiöse Gruppen ins Visier zu nehmen. In einer Zeit der Trauer muss unsere Führung reagieren, dies sollte jedoch mit Augenmaß geschehen.

Dilrukshi Handunnetti ist Anwältin und Exekutivdirektorin des Zentrums für Investigative Reporting in Colombo

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Dilrukshi Handunnetti | The Guardian

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