Jetzt versucht mal, das hier zu kopieren

Daft Punk "Random Access Memories" klingt wie ein Fehdehandschuh, den Daft Punk den Heerscharen ihrer Nachahmer hinwerfen
Ausgabe 21/2013

Auf Youtube gibt es ein Handy-Video, das die Hauptbühne des Coachella-Festivals in Indio, Kalifornien zeigt. Was dort zu sehen war? Ein Werbe-Trailer für das neue Daft-Punk-Album Random Access Memories. Das Publikum aber benimmt sich, als hätten Thomas Bangalter und Guy-Manuel de Homem-Christo sich persönlich dazu herabgelassen, ein unangekündigtes Live-Set zu spielen. Dass sie einen Werbefilm bejubeln, scheint keinen zu irritieren. Das Video zur Single „Get Lucky“ wird ebenso lautstark gefeiert wie der Abspann, der die Namen der prominenten Gast-Künstler nennt: Nile Rodgers, Pharrell Williams, Giorgio Moroder, Julian Casablancas von den Strokes, Filmkomponist Paul Williams. Man wollte wahrlich nicht mit der Band tauschen, die nach diesem Clip auf die Bühne musste.

Vielleicht belegt diese Geschichte nur, wie leicht die Leute Opfer des Hypes werden: Eine durchgeplante Kampagne mit geheimnisvollen Werbe-Spots, tröpfchenweisen Informationen zur Platte, euphorischen Video-Interviews mit den Gastmusikern, und schon hat die Band alle im Sack. Trotzdem sagt das Ausmaß der Erwartungen auch etwas darüber aus, wie einflussreich Daft Punk heute sind. Ihre Nachahmer jedenfalls sind Legion – darunter Mirwais, der Produzent von Madonnas Music. Dieses Kopisten-Heer setzte sich bereits vor Discovery (2001) in Gang, jenem Album, das den Popsound des 21. Jahrhunderts definieren sollte: gefilterte Synthie-Sounds, dumpfe, komprimierte Bass Drums und mit Auto-Tune verfremdete Stimmen. In den USA sind Daft Punk für die Electronic Dance Music (EDM), was Velvet Underground für Punk waren – das Genre, wie wir es kennen, wäre ohne sie nicht vorstellbar. Ihre Alive-Tour 2006/2007 machte die elektronische Tanzmusik dort massenkompatibel. Sieben Jahre nachdem das Duo mit LED-Helmen auf den Köpfen und einem Son-et-Lumière-Spektakel die USA bereiste, heißt der größte EDM-Star im Land Deadmau5: ein Mann mit einem LED-Helm auf dem Kopf und einer grandiosen Light-and-Sound-Show.

Der Sound der Zukunft

Man kann Random Access Memories als Geschichtsstunde für Neulinge auf dem Gebiet der elektronischen Musik lesen: als Gegenstück zu „Teachers“, jenem Song auf Daft Punks Debüt Homework (1997), auf dem Roboterstimmen die musikalischen Vorbilder anriefen. „Giorgio by Moroder“ ist so ein Track. Vor einer musikalischen Tapete, die zwischen Doku und Fantasy oszilliert, spricht der legendäre Disco-Produzent über seine Karriere. Wenn Moroder erzählt, wie er Click Tracks benutzte, um die Synthesizer auf „I Feel Love“ im Takt zu halten, ebbt die Musik bis auf einen schwachen elektronischen Puls ab; zum Ende hin schwingt sich der Track dann mit rauschenden Streichern, frenetischen Funk-Beats und dem Jaulen eines Roland 303 Synthesizers, der gegen eine verzerrte Gitarre ankämpft, zu einer sensationell überladenen Interpretation des Moroder’schen „Sound der Zukunft“ auf.

Ebenso gut lässt sich Random Access Memories aber als Sound einer Band interpretieren, die sich mit Entsetzen von den dumpferen Ausprägungen der EDM-Szene abwendet, deren unfreiwilliger Geburtshelfer sie eben auch gewesen ist. Die beiden Franzosen gelten als äußerst geschmackssicher – zu „Giorgio by Moroder“ soll sie Thomas Bangalter zufolge ein Interview inspiriert haben, das François Truffaut 1967 mit Alfred Hitchcock führte. Der erste Song, „Give Life Back to Music“, stellt unmissverständlich klar, dass für die beiden etwas faul ist mit der Dance-Musik. Es ist kein verdrossener Song – seine scratchende Disco-Gitarre hat dieselbe lebensbejahende Qualität wie die der Single „Get Lucky“ –, allein die Vocoder-Lyrics deuten darauf hin, dass diese Band findet, die Menschheit habe etwas Besseres verdient, als Dance-Musik aus der Retorte.

Teil der Daft Punk’schen Antwort auf das Problem ist die Abkehr vom Heimstudio, wo ihre vorigen Alben entstanden sind, zugunsten von üppigen Arrangements, die von erstklassigen Session-Musikern aus L.A. gespielt und mit großem Aufwand aufgenommen worden sind. Eine hörbar kostspielige Angelegenheit. Das eigentliche Problem mit der Musik im Jahr 2013, scheint Random Access Memories zu sagen, ist, dass sie zu leicht und zu billig produziert werden kann.

Das abgelutschteste Klischee

Dieser Ansatz hat seine Tücken. Ab und an scheinen Daft Punk so tief in den Prozess des Musikmachens eingetaucht zu sein, dass sie das Ergebnis aus dem Blick verloren haben. Zu den trögsten Momenten zählen das Instrumental „Motherboard“ und „Within“, das an ihre Landsmänner von Air erinnert. Reines Ornament ohne Substanz. Der Hörgenuss von „The Game of Love“ hinterlässt ein ähnlich schales Gefühl, wie die Lektüre eines Wohnmagazins, das mit Fotos von teuren Kästen gepflastert ist, in denen ganz offensichtlich nie jemand gelebt hat: Man staunt, aber emotional fehlt der Bezug.

Zumeist aber gelingt Random Access Memories die Gratwanderung zwischen Qualität und Feeling. „Lose Yourself to Dance“ ist exquisitester Pop. „Instant Crush“, mit dem Gesang von Julian Casablancas, klingt wie ein Fall fürs Hit Radio, doch unter all den Glanzlackschichten entfaltet es einen unwiderstehlichen Sog. „Doin’ It Right“ legt die prägnante Stimme von Animal Collectives Panda Bear über mehrere Vocoder-Schichten: Auf dem Papier mag sich das wie ein Albtraum lesen, doch auf eine unergründliche Art macht der Song happy.

Bisweilen kann man sich nur an den Kopf greifen, ob dessen, was sich mancher Song traut. „Touch“ ist zu gleichen Teilen lächerlich und anrührend. Elektronischer Noise schlägt in überspannte Disco-Musik um, und zwar via rückwärts abgespulter Tapes, eines langatmigen Synthesizer-Solos und einer Bläsertruppe, die klingt, als sei sie aus dem Orchestergraben eines Broadway-Musicals ins Studio einmarschiert. Paul Williams brüchige Stimme reibt sich ungelenk an diesem Arrangement, und wenn er den Refrain „If love is the answer, you‘re home“ ein letztes Mal wiederholt, ist das ein unerwarteter Schlag in die Magengrube. „Contact“ schließlich verarbeitet das abgelutschteste Klischees des Dancefloors – die gesampelten Stimmen zweier Astronauten im All – zu einem ehrfurchtserregenden Schlussstück.

Random Access Memories klingt, als werfen Daft Punk dem Heer ihrer Nachmacher den Fehdehandschuh hin: Ihr habt alles kopiert, was wir je gemacht haben – jetzt versucht mal, das zu kopieren.

Random Access Memories Daft Punk Sony Music

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Christine Käppeler
Geschrieben von

Alexis Petridis | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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