Vier Tage vor Ablauf der verfassungsmäßigen Frist Ende 2010 haben die irakischen Parteien geschafft, was kaum noch jemand für möglich hielt: eine neue Regierung zu formen. Die Kabinettsmitglieder sind endlich ernannt und vom Parlament abgesegnet, so dass sich die Politik an den großen Herausforderungen des Landes messen kann. An Konfliktpotenzial fehlt es nicht.
Die neue Regierung unter dem alten Premier Nouri al-Maliki (solange keine konsensfähigen Minister gefunden sind, führt er auch die Ressorts für Verteidigung und Inneres) wird sich der weiter prekären öffentlichen Sicherheit, einer labilen Grundversorgung und geborstenen Infrastruktur widmen müssen. Ob dies einem aus ungewöhnlichen Koalitionären rekrutierten Kabinett ge
abinett gelingt, das sich nach einem über neunmonatige Machtvakuum gefunden hat, ist alles andere als gewiss.Kalkül der SadristenDas Innovative an dieser Regierung besteht darin, dass sie alle Lager versammelt und die sunnitischen Araber besser repräsentiert, als es lange den Anschein hatte. Denn die sunnitisch dominierte Irakische Nationalbewegung Irakija (s. Glossar) des Wahlsiegers Iyad Allawi stellt den Parlamentssprecher, einen Vizepremier und sogar den Finanzminister. Dennoch fühlen sich die irakischen Sunniten unter Wert behandelt und beklagen, es gebe eine unerfreuliche Hegemonie aus dem Iran unterstützter Schiiten.Ob diese Klientel – gemeint sind die Sadristen – in der Exekutive einen konstruktiven oder destruktiven Part übernimmt, wird davon abhängen, wie weit sich deren Agenda verändert. Bisher hatten die Anhänger des schiitischen Predigers Muqtada al-Sadr für Regierungschef Nouri al-Maliki nur Misstrauen übrig und taten nichts lieber, als die Legitimität seines Mandats zu bestreiten. Sollte das so bleiben, dürften sie ihre gewonnene Macht dafür einsetzen wollen, am Stuhl des Premiers zu sägen und sein Kabinett zu schwächen. Wer solche Intrigen vermeiden will, sollte daher alles tun, damit aus der Kluft zwischen den Konfessionen keinen Abgrund wird.Bisher allerdings sind die militanten, ab sofort mit Regierungsweihen versorgten Schiiten des radikalen Lagers den Beweis schuldig geblieben, auf Aussöhnung erpicht zu sein. Dieser Eindruck bezieht sich wiederum vorrangig auf die Sadristen, die 40 Parlamentssitze halten. 2007 verließen sie das erste Kabinett unter al-Maliki und stehen jetzt – drei Jahre später – nur deshalb in dieser großen Koalition, weil Teheran dazu drängte. Vorerst dürften die Sadristen die ihnen übertragenen Infrastruktur-Ministerien für Wohnungs-, Straßen- und Städtebau dazu nutzen, ihre Basis zu stärken.Dauerhafte Stabilität im Irak hängt nicht zuletzt davon ab, ob der Streit mit den Kurden um Ölressourcen, nationale Sicherheit und den Status bestimmter Regionen (besonders der Metropole Kirkuk) zu schlichten ist. Statt ihre Position als Königsmacher auszuspielen, um in Bagdad mehr Ressorts zu erhalten (mit dem Außenministerium haben die Kurden – abgesehen von der andauernden Präsidentschaft Dschalal Talabanis – lediglich einen großes Wurf gelandet), verlassen sie sich auf das Versprechen al-Malikis, er werde ihren „Katalog der 19 Forderungen“ immer vor Augen haben. Daran zu glauben, könnte extrem naiv sein. Wegen des Bedeutungsverlustes ihres traditionellen Alliierten unter den arabischen Parteien, des Obersten Islamischen Rates, könnten die Kurden in einer von der nationalistisch-zentralistischen Nationalbewegung, den Sadristen und al-Malikis Koalition Rechtsstaat beherrschten Regierung an den Rand gedrängt werden.Abgefunden und ausgebremstFür den Ministerpräsidenten wäre das eine ideale Vorlage, um zu erklären, er könne für die Kurden nicht mehr tun, selbst wenn er wollte. Al-Maliki könnte sich bequem hinter dem ultranationalistischen und kurdenfeindlichen neuen Parlamentssprecher Osama Nujayfi verschanzen. Die Aussicht auf eine ernsthafte parlamentarische Opposition in Gestalt der Irakischen Nationalbewegung Iyad Allawis, die der Regierung Paroli bieten könnte, wurde vertan. Denn auch diese stärkste Formation wird mit Teilhabe an der Regierung bedacht. Bei der Koalition der Einheit und Eintracht ging es eben nicht um Verantwortlichkeit, Effizienz und Effektivität, sondern allein darum, verfeindete Lager zu beschwichtigen, die dabei freilich nur bedingt mitspielen.Die Kurden dementieren bereits Berichte, wonach der frühere Ölminister Hussain al-Shahristani, der mit ihnen stets über Öl-Verträge im Clinch lag, als einer der vielen Vizepremiers Einfluss auf den Energiesektor behalten soll. Ein weiterer Streitpunkt werden die Befugnisse des neuen Nationalen Rates für Strategische Politik unter dem Vorsitz Iyad Allawis sein, die noch vom Parlament bewilligt werden müssen. Sollten diesem Gremium Rechte eingeräumt werden, die der Macht des Premiers Grenzen setzen, würde dies Allawi sicher zufrieden stellen. Sollte dem Ausschuss hingegen nur „Beratung“ zugestanden werden, könnte das eine Rebellion provozieren. Angesichts der Differenzen in der Irakischen Nationalbewegung Irakija und der Unwahrscheinlichkeit, dass Allawis mächtige Kollegen Salah al Mutlaq (Vizepremier) und Osama Nujayfi (Parlamentspräsident) mitziehen, würde die jedoch eher verhalten ausfallen.