Kann denn Kino Sünde sein?

Wahhabismus "Menahi" ist ohne Zweifel der erfolgreichste Film an Riads Kinokassen - er ist nämlich der einzige, der in der saudischen Hauptstadt überhaupt gezeigt werden darf

Der von Prinz al-Waleed bin Tilals Medienunternehmen Rotana produzierte Streifen Mehani folgt einem beduinischen Bauern auf seinem Weg in die Stadt und erzählt von den komischen Eskapaden, die er dort erlebt. Abgesehen von ein paar Cartoons ist dies der erste Film, der in Saudi-Arabien seit 30 Jahren öffentlich gezeigt wurde und erst der zweite, den Rotana produziert hat.

Wie das Fahrverbot für Frauen wird auch das seit 1970 bestehende Kinoverbot immer anachronistischer und unpraktischer. Die Saudis fahren am Wochenende einfach ins nahe gelegene Bahrein, um ins Kino gehen zu können und es gibt einen sehr umfangreichen, wenn auch stark zensierten DVD-Markt im Land.

Der Anblick Popcorn und Softdrinks kaufender Saudis auf dem Weg ins Kino ist zwar ein Novum und gewiss ein revolutionärer Anblick, der Film hatte aber auch eine schwere Geburt und sein Kinostart ist nach wie vor stark umstritten. Es dauerte fünf Monate, bis die Behörden in Riad der Vorführung zustimmten, nachdem er im liberaleren Jeddah bereits vergangenen Dezember gezeigt worden war. Dass es aber auch Frauen gestattet wurde, den Film außerhalb Riads zu sehen, scheint ein Schritt zuviel für das konservative Riad gewesen zu sein. Konservative Hardliner versuchten mittels einer Petition, die Vorführung zu verhindern. Sowohl Gegner als auch Befürworter der öffentlichen Darbietung des Filmes versuchten per SMS, möglichst viele Menschen zum Gang in die Kinos bzw. dem Gegenteil zu überzeugen.

Schüsseln des Teufels

Diese Auseinandersetzung setzt sich auch zwischen gemäßigten Kräften in Medien und Geschäftswelt auf der einen und dem religiösen Establishment auf der anderen Seite fort. Der Prinz, der als eines der liberalsten Mitglieder der königlichen Familie gilt, hat erst vor kurzem eine Frau zur Chefverwalterin des Kingdom Tower ernannt, dem höchsten Wolkenkratzer Saudi Arabiens, der in gewisser Weise die Festung seines Reiches darstellt. Darüber hinaus war er dabei behilflich, Musik-Videos, Filme und Fernsehshows ins Land zu holen, wodurch sich das via Satellit zu empfangende Fernsehprogramm merklich veränderte.

Der durchschnittliche Saudi lebt in einer Gesellschaft, in der es relativ ruhig und gemächlich zugeht, im Fernsehen wird er aber täglich mit Bildern von spärlich bekleideten Frauen in libanesischen Musikvideos bombardiert, die von Rotana, ART oder MBC ins Land geholt werden.

Religiöse Hardliner haben sich immer wieder gegen die Einführung neuer Technologien verwehrt. So galten in den frühen Neunzigern Satellitenschüsseln als der Inbegriff von Dekadenz und Unmoral. Schließlich wurden sie aber dann doch zugelassen und sind heute gang und gäbe. Nur noch die allerkonservativsten Haushalte meiden die „Schüsseln des Teufels“.

In den vergangenen Jahren hat der Teufel nun die Gestalt von Bildtelefonen angenommen. Bei der letzten Hochzeitsfeier, zu der ich in Riad eingeladen war, wurde ich durchsucht und mein Bildtelefon konfisziert, da ich ja Bilder unbekleideter Frauen auf ihm hätte mitführen können. (Dabei waren zu der Feier ohnehin nur Frauen zugelassen.) Bislang allerdings scheiterten alle Versuche, diese Telefone zu verbieten.

Klerus gegen Kurie

Al-Waleeds Erklärung, die Eröffnung von Kinos im Königreich sei „unvermeidbar“, erregte den Zorn der Kleriker, die in ihm schon seit je den Boten des Untergangs gesehen haben. Dass er als Mitglied der königlichen Familie Immunität genießt, bringt die Religiösen natürlich erst recht auf die Palme, einen Scheich zumindest hielt es aber nicht von der Forderung ab, den Prinzen wegen seiner Verbrechen gegen die saudischen Frauen vor ein islamisches Gericht zu stellen.

Jede fortschrittliche Bewegung hin zu mehr bürgerlichen Freiheiten sieht sich in Saudi-Arabien zwei Fronten gegenüber, die beide in kaltem Konflikt zueinander stehen: der königlichen Familie, die jegliche politischen Reformen aufgrund ihrer Paranoia und Furcht vor einem Machtverlust abblockt und dem religiösen Establishment, das gesellschaftliche Veränderungen aus den gleichen Gründe fürchtet, schließlich würde eine Liberalisierung ihren Stand erheblich untergraben

Es gibt Anzeichen dafür, dass die Regierung die Hardliner langsam aus den offiziellen islamischen Zirkeln verdrängen möchte. Allerdings kann sie sich von diesen auch nicht völlig entfremden, schließlich leitet das saudische Königshaus einen Teil seiner Legitimation auch von der Bedeutung ab, die dem König als „Hüter der zwei heiligen Moscheen“ zukommt.

Der Klerus stellt in Saudi-Arabien keine vom Volk isolierte Institution dar, die eine abgehobene Interpretation des Islam vertritt. Die Demonstranten, die in Riad mit der Polizei aneinander gerieten, als sie die Vorführung des Filmes verhindern wollten, waren besorgte Bürger, die mit der Religionspolizei (genauer: dem Komitee zur Förderung der Tugend und der Verhinderung des Lasters) überhaupt nichts zu tun hatten. In diesem Fall seien ihre Proteste, wie berichtet wird, allerdings „höflich ignoriert“ worden. Wie im Falle der Satellitenschüsseln und Bildtelefone könnte sich auch hieraus eine Dynamik entwickeln, die zu Reformen führen könnte. Viele werden denken, dieser Film sei es nun wirklich nicht wert, solch ein Aufhebens um ihn zu machen, aber im saudischen Königreich ist jeder kleine Schritt ein riesiger Sprung.


Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Nesrine Malik, The Guardian | The Guardian

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