Dünnere Fische, magerer Fang: Kann Japans Sushi-Kultur den Klimawandel überleben?
Klimafolgen Die globale Erderwärmung erhöht die Meerestemperaturen und verändert die Wanderrouten von Lachsen und Tunfischen. Das hat Auswirkungen auf die japanische Esskultur
Wer weiß, wie viele von diesen Fischarten in ein paar Jahren noch serviert werden können
Foto: Behrouz Mehri/AFP via Getty Images
Auf dem Fischmarkt der kleinen japanischen Hafenstadt Shiogama deutet wenig darauf hin, dass die japanischen Verbraucher:innen eines Tages auf ihre Lieblings-Meeresfrüchte verzichten müssen. Hier gibt es alles: Von in einem Winter-Nabe-Hotpot köchelnden Riesenkrebsbeinen bis hin zu Lachsrogenkügelchen, die umhüllt von Nori-Algen auf einem Reisbett liegen.
Auf manchen Ständen türmen sich riesige Hälften von Blauflossenthunfisch, die von geschickten Arbeiter:innen mit Messern in handlichere Portionen zerlegt werden. Frühmorgendliche Kund:innen bleiben stehen, um Kisten voller Tintenfisch, Flundern und Seeananas zu begutachten, die nur wenige Stunden zuvor an Land gebracht wurden.
Trotz des Überflusses, der in der kleinen Hafenstadt zur Schau ge
tadt zur Schau gestellt wird, deuten immer mehr wissenschaftliche Erkenntnisse, die durch Anekdoten von Fischer:innen untermauert werden, auf eine düstere Zukunft für die japanische Küche als Folge des Klimawandels hin.Weniger Fisch im NetzMiki Seino, die in Shiogama einen Fischstand betreibt, entlockt es einen müden, aber anerkennenden Blick, als der Observer-Reporter auf ihre Auslage von Sanma, pazifischem Makrelenhecht, zeigt. In Japan ist er eine Herbstdelikatesse, die häufig gegrillt oder roh als Sushi oder Sashimi serviert wird.„Es gehen weniger Fische in die Netze und außerdem sind sie schmaler als noch vor ein paar Jahren. Wir haben gehört, dass die steigenden Meerestemperaturen daran schuld sind, dass hier im Nordosten Japans weniger gefangen wird“, erzählt Seino. „Außerdem ist der Fisch viel teurer als früher.“Placeholder image-2Der japanischen Fischerei-Agentur zufolge ist die Veränderung der Meeresumwelt, die durch die globale Erderwärmung verursacht wird, ein Grund dafür, dass der Fang von Makrelen, Tintenfisch, Lachs und anderen wesentlichen Bestandteilen der japanischen Küche zurückgeht.Das Aufkommen warmer Wassermassen im Kuroshio – einer warmen nordöstlichen Meeresströmung vor der Ostküste Japans – hat die Laichwanderung des Makrelenhechts weiter ins Meer hinaus verlagert. Dort gibt es aber weniger Nahrung, was dezimierte Bestände und schlechtere Qualität des gefangenen Fischs zur Folge hat.Die Fischereien bekommen ProblemeDr. Aiko Yamauchi ist Vizepräsidentin von Seafood Legacy, einer Beratungsfirma mit Sitz in Japan, die nachhaltige Produzent:innen von Fisch und Meeresfrüchten sowie Umweltgruppen unterstützt. Sie beobachtet, dass der Fang vieler in Japan beliebter Arten seit 2014 stark rückläufig ist.Es sei gut möglich, „dass bei anderen Fischarten der Fang genauso mager oder noch schlechter ausfällt als derzeit“, erklärte Yamauchi. „Wir sind sehr besorgt, dass in diesem Fall die Mehrheit der japanischen Fischereiunternehmen, die etwa die Hälfte des Bedarfs an Fisch und Meeresfrüchten im Land decken, ernsthafte Probleme bekommen.“Hunderte Kilometer südwestlich von Shiogama machen sich Fischerorte in der Präfektur Kochi dagegen Sorgen wegen großer Fänge von ungewöhnlich fettreichem Skipjack-Thunfisch, einer lokalen Delikatesse, die häufig roh gegessen wird.Kochis bogenförmige Bucht hat traditionell ertragreiche Fischgründe. Allerdings könnten größere Fische eher eine Warnung sein als ein Segen. Die durchschnittliche Oberflächentemperatur der Bucht im Winter ist in den letzten vier Jahrzehnten um zwei Grad Celsius gestiegen. Das bedeutet zunächst mehr Nahrung für die Fische. Aber langfristig könnten wärmere Gewässer eine Katastrophe heraufbeschwören. Sie könnten mineralreiches Wasser davon abhalten, an die Oberfläche zu steigen, wodurch es weniger kleine Fische geben könnte, die als Futter dienen – und damit weniger Skipjack-Thunfisch.Fischarten ziehen Richtung NordenLaut Shin'ichi Ito, Professor am Institut für Atmosphäre- und Ozeanforschung der Universität Tokio, führen steigende Meerestemperaturen dazu, dass einige Arten an ungewohnten Orten zu finden sind, darunter die Gelbschwanzmakrele und die Spanische Makrele. „Diese Arten werden weiter nördlich gefangen als noch vor zehn Jahren. Das könnte eine Folge des Klimawandels sein“, sagte er. Zudem seien weitere langjährige Bestandteile der japanischen Küche gefährdet. Beispiele sind der Seetang auf der nördlichsten Hauptinsel Hokkaido oder die Meeresalgen in der Nähe der Mündung der Bucht von Tokio, die zur Herstellung von Nori-Algenblättern etwa für Sushi-Rollen verwendet werden.Nicht einmal die scharfe grüne Beilage, die bei Sushi nicht fehlen darf, ist nach Ansicht von Experten sicher: Häufigere und schwerere Stürme zerstören Wasabi-Farmen. Zudem erschweren die steigenden Temperaturen den Bauern den Anbau des empfindlichen Gemüses, das nur in Wasser wächst, das ganzjährig durchgängig zehn bis 15 Grad Celsius warm ist.Placeholder image-1Lachs, eine weitere Sushi-Zutat, ist laut Ito ebenfalls bedroht. „Fische können ihre Körpertemperatur nicht regulieren. Ihre einzige Option ist, weiter nach Norden zu wandern.“ Simulationen der Veränderung der Meerestemperatur legen laut Ito nahe, dass in einigen Jahrzehnten der Lachs aus den Gewässern um die Insel Hokkaido verschwunden sein könnte „Wenn manche Arten nicht mehr vor Ort vorkommen, wird das unweigerlich die japanische Ernährungsweise verändern“, erklärte er weiter. „Gleichzeitig kommen mehr gebietsfremde Arten hinzu.“Eine Zukunft, in der Krustentiere von der japanischen Speisekarte verschwunden sind, scheint undenkbar, aber durch die Versauerung der Ozeane besteht genau diese Gefahr. Ein Anstieg der Meerwassertemperatur erschwert Muscheln und Krustentieren die Bildung von Kalziumkarbonat. Das wirkt sich negativ auf das Wachstum von beliebten Meeresfrüchten wie Jakobsmuscheln, Muscheln und Austern sowie Krabben und Garnelen aus.Die meisten merken die Veränderungen noch nicht„Die meisten Leute können nicht begreifen, wie ernst diese Probleme sind, weil sie meinen, dass sie eine ferne Zukunft betreffen, in der es sie selbst lange nicht mehr gibt“, erklärte Ito. „Was im Jahr 2100 passiert, sehen sie nicht als ihr Problem. Aber wir befinden uns an einem entscheidenden Kipppunkt.“Der frühere Exekutivdirektor von Greenpeace Japan, Jun Hoshikawa, beobachtet die Veränderungen beim lokalen Fischfang aus erster Hand an seinem Wohnort auf Yakushima. Er lebt seit vierzig Jahren auf der Insel, die wegen ihrer großen Naturschönheit Teil des Unesco Weltkultur- und Naturerbes ist. Heute bekommt er hier weniger Gelbschwanzmakrelen zu Gesicht als früher, dafür mehr Fische, die man früher weiter südlich antraf. „Wegen der steigenden Meerestemperaturen wird wohl der Trend zunehmen, dass sich der Lebensraum vieler Meerestierarten nach Norden verlagert“, erklärte Hoshikawa. „Leider bemerken die meisten Japaner:innen bisher die schleichenden Veränderungen beim Fisch und den Meeresfrüchten, die sie essen, nicht. Aber ich gehe davon aus, dass sich das in den kommenden Jahren ändert.“Am Vormittag füllt sich der Markt von Shiogama mit einheimischen Kund:innen und Tourist:innen, die sich die Zutaten für ihren individuellen Kaisen Donburi zusammenzustellen können – rohe Meeresfrüchte auf Reis, gewürzt mit Sojasoße und Wasabi.Das Gericht lebt von den Produkten der Saison und ändert sich dementsprechend im Jahresverlauf. Fischverkäuferin Seino fragt sich allerdings, wie lange das noch so sein wird. „Wir verkaufen im Herbst und Winter Fische, die es früher nur im Sommer gab“, erzählte sie. „Man hat das Gefühl, die Jahreszeiten wären nicht mehr von Bedeutung.“