Katastrophe im November

Verlierer Barack Obama hat als Präsident bisher viel erreicht: Mehr Abrüstung, ein Umweltgesetz, eine Gesundheits- und Finanzreform. Trotzdem laufen ihm die Wähler davon

Wenn der britische Premier David Cameron bei seinem Antrittsbesuch amerikanischen Boden betritt, wird er dort einen US-Präsidenten vorfinden, dessen erste 18 Monate im Amt äußerst dramatisch verlaufen sind. Als Obama Anfang 2009 vereidigt wurde, war die Aufregung um den Einzug des ersten Schwarzen ins Weiße Haus groß. Ein ganzes Land stand Kopf. Aber seitdem scheint dieses Ereignis angesichts der tiefgreifenden Wirtschaftskrise, der politischen Tumulte und der sich stetig verschlechternden Lage in Afghanistan beinahe zur Fußnote geschrumpft. Obama hat eine Schlacht nach der anderen gegen die wieder erstarkenden Republikaner gekämpft und gegen große Widerstände eminent wichtige Reformen durchgebracht, ohne dass sich dies für ihn ausgezahlt hätte.

Umfrage für Umfrage

Zunächst war da das 826 Milliarden Dollar schwere Konjunkturpaket. Angesichts des größten Einbruchs der Ökonomie seit der Großen Depression, ist es Obama trotz geringer Hilfe durch die Republikaner gelungen, Milliarden in die Wirtschaft zu pumpen, verzweifelt bemüht, diese am Leben zu halten und eine Massenarbeitslosigkeit abzuwenden. Dann kam die Gesundheitsreform. Nach einem gigantischen Kampf, bei dem politische Meetings im ganzen Land oft in Straßenschlachten auszuarten drohten. Obama schaffte auch diese Reform, an der bis dato noch jeder seiner Vorgänger seit dem Zweiten Weltkrieg gescheitert war. Millionen von bislang unversicherten Amerikanern haben künftig Versicherungsschutz. Diesem Sieg folgten vor Tagen eine Reform des Finanzwesens, um künftig eine Finanzkrise zu vermeiden, die das Wirtschaftssystem der USA an den Rand des Zusammenbruchs bringt.

Man sollte also meinen, dass Cameron einen Präsidenten vorfindet, der gerade etwas durchatmen kann. Doch befindet sich Obamas Regierung gerade in einer schwerwiegenden Krise. Angesichts vernichtender Angriffe seitens der Republikaner, die geschworen haben, alles rückgängig zu machen, was dieser Präsident auf den Weg gebracht hat, sind die Demokraten mit sinkenden Umfragewerten konfrontiert und sehen bei den Midterm-Wahlen im November einer Katastrophe entgegen. Von Obamas Siegen und einer gefestigten Autorität ist wenig die Rede. Stattdessen befindet sich die Partei in einem unerbittlichen Überlebenskampf. Experten rechnen mit großen Zuwächsen für die Republikaner. Sollten es dazu kommen, würde ihnen das die Kontrolle über das Repräsentantenhaus verschaffen. Möglicherweise können sie den Senat zurückerobern.

Umfrage für Umfrage bringt schlechte Nachrichten für Obama und die Demokraten. Eine von Fernsehkanal Fox in Auftrag gegebene Erhebung besagt, 41 Prozent der Wähler wollen die November-Wahl nutzen, um Obama abzulehnen – nur 33 Prozent werden ihn unterstützen. Eine jüngste CBS-Umfrage ergab mit 44 Prozent die bislang niedrigste Zustimmungsrate für Obama. Einer Rasmussen-Umfrage zufolge liegen die Republikaner sechs Punkte vor den Demokraten.

Maulwurfshügel statt Reform

Es war womöglich keine Überraschung, dass Obamas Sprecher Robert Gibbs vor einer Woche in einer Fernsehsendung das Offensichtliche einräumte: „Es besteht kein Zweifel, dass genügend Sitze im Spiel sind, um den Republikanern einen Sieg zu bescheren.“ Später musste er sich für diese Bemerkung scharfe Kritik aus den eigenen Reihen anhören.

Irgendwann wird sich das Weiße Haus etwas einfallen lassen müssen, um wieder Boden gut zu machen. Dies dürfte nicht leicht werden, denn der Präsident und die Präsidentenpartei stecken in einem ungewöhnlichen Dilemma. Trotz großer Erklärungen fallen die Reformen vielfach gar nicht so weitreichend aus, wie es zunächst schien. Das Konjunkturpaket, einst gar als „Zweiter New Deal“ bezeichnet, fand erst in abgeschwächter Form Gesetzeskraft. Infolgedessen liegt die Arbeitslosenquote immer noch stur bei hohen neun Prozent. Sehr viel mehr als das Weiße Haus vorhergesagt hat. Der einzig wirklich boomende Sektor der immer noch kränkelnden Wirtschaft ist erstaunlicherweise die Wall Street, wo die Banken schon wieder fette Gewinne einstreichen und Boni ausschütten wie gehabt.

Auch die Gesundheitsreform war am Ende alles andere als das, wovon die Linken unter den Demokraten geträumt hatten. Die Möglichkeiten, einen National Health Service nach britischem Vorbild oder eine riesige staatliche Krankenkasse ins Leben zu rufen, wurden schnell fallengelassen. Jetzt wird es letztlich eine staatliche Unterstützung für die private Gesundheitsindustrie geben.

In Bezug auf die Finanzreform sind Schlüsselaspekte verloren gegangen, die auf die Zügelung von Exzessen zielten. Das Christian Science Monitor- Magazin nennt den Versuch „einen Maulwurfshügel von einer Reform“: Das Gesetz mag zwar über 2.500 Seiten lang sein, aber seine Kritiker nennen es zahnlos. Viele Sozialliberale und der linke Flügel der Demokraten sind von Obama enttäuscht. Sie werfen ihm vor, Wahlkampfversprechen wirklicher Reformen zugunsten von Kompromissen gebrochen zu haben. Zumindest zum Teil gehen seine rückläufigen Umfragewerte auch auf die Enttäuschung an der eigenen Basis zurück.

Gleichzeitig stellt die unbarmherzige Angriffsmaschinerie der Republikaner den Präsidenten so radikal dar, als ob der fast den american way of life bedrohe. Seine Kompromissangebote, um den Beistand der Republikaner zu gewinnen, brachten Obama nichts ein. Stattdessen wurde er wiederholt als Sozialist dämonisiert, der das politische System der USA grundsätzlich verändern wolle.

Geführt von Medienfiguren wie Glenn Beck und Rush Limbaugh ist die konservative Tea Party-Bewegung zu einer der schwungvollsten und verbreitetsten Kräfte in der US-Politik geworden. Sie widersetzt sich unnachgiebig allem, was Obama vertritt und scheint, entgegen allen Erwartungen, bei den Wahlen im November dafür belohnt zu werden. Kurz gesagt sitzt Obama zwischen den Stühlen fest. Seine andauernden Bemühungen, Kompromisse zu erzielen, haben die eigenen Linken verärgert. Die Republikaner stempeln ihn trotzdem als Extremisten ab. Nur wenige erwarten, dass es ihm gelingt, dieses Dilemma noch vor der Wahl im November lösen zu können.

Übersetzung: Holger Hutt

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Geschrieben von

Paul Harris/Anushka Asthana | The Guardian

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