"Wenn ihr behauptet, dass ihr Stammeskonflikte bekämpfen wollt und Rassismus, eure Taten aber von Rassismus und Stammeskonflikten geleitet sind, dann gibt es keinen Unterschied zwischen euch und denen, gegen die ihr kämpft.“ Das war 1990 die Botschaft des 32-jährigen Rebellenführers Paul Kagame an seine Soldaten von der Rwandan Patriotic Front (RPF). Als Kind war Kagame auf dem Rücken seiner Mutter nach Uganda geflohen, er schloss sich der Armee an und kehrte als Anführer einer Rebellenbewegung nach Ruanda zurück. 1994 würde diese Armee die Regierung besiegen und den Genozid gegen die Tutsi beenden, der über eine halbe Million Menschen das Leben gekostet hatte.
Das muss man bedenken, wenn am Freitag Paul Kagame mit gewaltiger Mehrheit ein drittes Mal zum ruandischen Präsidenten gewählt wird. Dafür wurde die Verfassung geändert. Als Kagame die Nominierung durch seine Partei akzeptierte, sagte er: „Ich hätte hier stehen und die Verantwortung an meinen Nachfolger übergeben sollen. Aber hier ist der Deal: Ich möchte, dass ihr mir versprecht, dass wir anders arbeiten, besser, härter, so dass es in sieben Jahren einen Übergang geben kann.“ Kagame war zeitweise in den USA an einer Elite-Akademie des Militärs ausgebildet worden. Als er nach Afrika zurückkehrte, begann er mit seiner Rebellenarmee RPF, die Regierung Ruandas zu stürzen – und den Genozid an 800.000 Ruandern zu stoppen.
Ruandas Präsident inspiriert seine Kollegen
Kagame war zunächst von 1994 bis 2000 Verteidigungsminister, dann Präsident. Ende 2015 stimmten 99 Prozent der Bevölkerung dafür, die Begrenzung der Präsidentschaft auf zwei Amtszeiten von je sieben Jahren aufzuheben – um ihn zum dritten Mal wählen zu können. Beobachter erkennen nun ein „typisch afrikanisches“ Muster: Regierungschefs geben die Macht nicht freiwillig ab. Aber in Ruanda müssen diejenigen, die den Völkermord überlebten, und auch die Génocidaires selbst mit ihren ehemaligen Feinden in den Hügeln des Landes zusammenleben. Beide sehen in Kagame jemanden, dem es gelungen ist, eine Vision von Einheit und sozialer Transformation umzusetzen. Die Menschen erholen sich unterschiedlich schnell vom Trauma des Genozids. Als Kagame die nördliche Provinz besuchte – die Region, die unter dem Krieg am meisten litt –, sangen Menschen in ihrem Dialekt ein Lied: „Wenn ich Kagame habe, muss ich keinen Krieg fürchten.“ Die Ruander bekunden ihm ihre Dankbarkeit dafür, dass er sich bereit erklärt hatte, Präsident zu bleiben, nachdem fast vier Millionen ihn darum gebeten hatten. Gleichgültig, ob diese Bitten spontan abgegeben wurden, oder ob dazu mobilisiert wurde: sie verleihen der Wahl breite Legitimation. Im Gegenzug predigt der Präsident nicht, er betreibt keinen Wahlkampf im üblichen Sinne.
Afrikanische Regierungschefs lassen sich von Kagames Führungsstil inspirieren. Viele von ihnen schicken Delegationen, um von Ruanda zu lernen. Ruandische Soldaten wachen über die Sicherheit des Präsidenten der Zentralafrikanischen Republik, haben die Streitkräfte der Demokratischen Republik Kongo ausgebildet, sichern im Rahmen von UN-Missionen den Frieden in mehr als sieben Ländern auf zwei Kontinenten. Im vergangenen Jahr baten seine Kollegen Paul Kagame, die Afrikanische Union zu reformieren. Unterdessen ist die Demokratie in Ruanda nicht so offen, wie sie sein könnte. Die Beschränkungen sind das Ergebnis der Geschichte des Landes. Sie setzen Medien und dem politischen Raum Grenzen. Auch in Deutschland, lesen wir, gibt es strenge Gesetze gegen die Leugnung des Holocaust sowie Rassismus und Diskriminierung. Diese Gesetze sind je nach Land strenger oder laxer. Sie beruhen auf seiner Geschichte.
Die Wunden des Genozids verheilen
Um wieder eine gemeinsame Nation zu formen, haben sich die Ruander für ein Modell entschieden, das auf Konsens und Dialog basiert. Diese beiden Grundsätze sind in der Verfassung von 2003 festgeschrieben. Es gibt zahlreiche Dialogforen – vom „Annual National Dialogue“ mit der Bevölkerung, über den „Unity Club“ für alle Vorsitzenden und deren Ehegatten und -gattinnen, das „Forum of Political Organizations“, das alle zugelassenen politischen Parteien zusammenbringt, bis zum alljährlichen „Rwanda Day“ für die Diaspora. Die Ruander haben in den vergangenen 23 Jahren versucht, ein Land von Grund auf neu aufzubauen und den nationalen Zusammenhalt wiederherzustellen, der durch den Völkermord vollständig auseinandergerissen worden war. Politische Parteien sind fast eine Nebensächlichkeit. Was die Menschen in Ruanda beschäftigt, stimmt eindeutig nicht mit dem überein, was 200 Jahre alte Demokratien von ihnen verlangen.
Vielleicht ist Präsident Kagame daher Spiegel der Menschen, die er vertritt. Die Wunden des Genozids verheilen, das Land hat sich geöffnet. Womöglich veraltet das Konsensmodell irgendwann – und eine Bereitschaft zur Politik mit offenen Widersprüchen kann es ersetzen. Während wir aber nach politischen Freiheiten verlangen, sind wir uns darüber im Klaren, dass Überlebende des Genozids, Witwen und Waisen ihre Würde bewahren müssen. Viele Ruanderinnen haben ihre gesamte Familie verloren, sie wurden Tag und Nacht gejagt, verleumdet und ausgegrenzt. Andere schlugen sich jahrelang zu Fuß durch die Wälder des Kongo, weil man ihnen sagte, sie würden getötet, wenn sie nach Ruanda zurückkehren würden. Heute leben beide Seiten in Frieden miteinander. Sie sind überzeugt, dass sie all dies Paul Kagame zu verdanken haben. Sie meinen: Die Demokratie kann warten.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.