Kein Gott außer Allah

Konvertit Terry Holdbrooks wurde als Wachsoldat der US-Armee ins Lager Guantánamo geschickt. Es ist von dort desillusioniert und als bekennender Muslim zurückgekehrt

Terry Holdbrooks war ein gottloser, trinkfreudiger, tätowierter 19-jähriger Hardrock-Fan, als er August 2003 im Lager Guantánamo auf Kuba ankam – als Angehöriger der US-Armee für das dortige Wachpersonal rekrutiert. Als er die Insel ein Jahr später wieder verließ, hatte er sich von seinen Kameraden entfremdet, den Respekt der Gefangenen erworben und war zum Islam konvertiert.

Heute trägt der 26-Jährige den Namen Mustafa Abdullah, eine schwarze islamische Gebetsmütze, einen Vollbart und ein langärmliges Gewand, das nahezu vollständig das Tattoo auf seinem rechten Arm verdeckt, auf dem By demons be driven (Lass dich von Dämonen treiben) zu lesen ist.
Holdbrooks wuchs in Arizona auf. Seine Eltern waren Junkies und trennten sich als er sieben war. Erzogen haben ihn seine Großeltern, die früher einmal Hippies waren. Weil er unbedingt der Armut entfliehen, einen anderen Weg als seine Eltern gehen und überdies etwas von der Welt sehen wollte, meldete er sich beim Militär. Er kam zur 253. Feldjäger-Kompanie und bekam eines Tages zu hören, er würde in Guantánamo eingesetzt.
Während eines zweiwöchigen Trainingskurses wechselten sich die neuen Wachleute dabei ab, Gefangene zu spielen und besuchten gemeinsam Ground Zero. „Uns wurde rein gar nichts über den Islam beigebracht. Man zeigte uns Videos vom 11. September 2001. Über die Insassen sagte man uns lediglich, dass es sich bei ihnen um die Schlimmsten der Schlimmen handle – Osama bin Ladens Fahrer und Köche, die uns bei der erstbesten Gelegenheit töten würden.“

Holdbrooks spricht, als zitiere er aus seinen in Kürze erscheinenden Memoiren mit dem Titel Traitor (Verräter):„Ich habe die Dinge vom ersten Tag an in Frage gestellt. Das erste, was ich zu sehen bekam, war ein 16-jähriger Junge, der noch nie das Meer gesehen hatte und nicht wusste, dass die Welt eine Kugel ist. Ich saß da und überlegte, was er denn überhaupt über den Krieg gegen den Terror wissen konnte.“


Holdbrooks musste saubermachen, durch den Block patrouillieren, um zu verhindern, dass die Gefangenen sich gegenseitig Dinge weitergeben, und sie von ihren Zellen zu den Verhören bringen. Weil er die Häftlinge freundlich behandelte – sie nannten ihn den „netten Wächter“ –, brachte ihm das die ungewollte Aufmerksamkeit seiner Kollegen ein. Viele von ihnen, so erzählt er, seien „lächerliche Budweiser trinkende, Maisbrot essende, Kautabak kauende Säufer und intolerante Rassisten gewesen, die Befehle blind befolgten.“ Schon nach wenigen Monaten redete er nicht mehr mit ihnen, es kam zu Konflikten. Eines Tages sagte einer von ihnen: „Hey Holdbrooks, weißt du, was wir heute mit dir machen? Wir ficken dir die Taliban aus dem Hirn. Du bist ein Sympathisant, das gefällt uns nicht.“ Das führte zu einem von vielen Faustkämpfen.“

Während sich die anderen mit Pornos und Sport beschäftigten, habe er das Bedürfnis verspürt, zu verstehen, weshalb die Gefangenen trotz aller Misshandlungen noch lachen konnten, während es ihm völlig mies ging.

„Bevor ich nach Guantánamo kam, wusste ich nichts über den Islam. Es war ein regelrechter Kulturschock für mich. Ich wollte lernen, soviel ich konnte. Deshalb fing ich an, mich mit den Gefangenen über Politik und Wertvorstellungen zu unterhalten, über ihr Leben, ihre Kultur.. Wir redeten die ganze Zeit.“ Aus anfänglicher Neugier wurde ein diszipliniertes Studium. Holdbrooks verbrachte mindestens eine Stunde täglich damit, den Islam zu studieren oder sich in Chatrooms auszutauschen. Er unterhielt sich auch mit dem Tipon-Trio, drei britischen Muslimen, über die Michael Winterbottom das Dokudrama The Road to Guantánamo gedreht hat. Ein anderer seiner Gesprächspartner war ein Mann, der von den Gefangenen „der General“ genannt wurde. Der in Marokko geborene Ahmed Errachidi hatte 18 Jahre lang in London gelebt und dort als Koch gearbeitet, bevor er für fünfeinhalb Jahre auf Guantánamo interniert wurde. Die US-Justiz warf ihm vor, Camps der al-Qaida besucht zu haben. Später wurde er für unschuldig erklärt. „Wir unterhielten uns stundenlang, manchmal die ganze Nacht hindurch über Bücher, Musik, Philosophie oder Religion.“

Sklave der Army

Nach sechs Monaten Guantánamo war Holdbrooks soweit. Am 29. Dezember 2003 wiederholte er in Anwesenheit Errachidis die Schahada – das Glaubensbekenntnis, das es zu wiederholen genügt, um zum Islam überzutreten: „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet.“ Nun war der Guantánamo-Aufseher ein Moslem. Er trank keinen Alkohol mehr und gab sogar die Musik auf, weil sie mit seinem Islam-Verständnis unvereinbar schien. „Es war nicht leicht, fünf Mal am Tag zu beten, ohne dass meine Kollegen Wind davon bekamen.“
Sein Übertritt zum Islam führte dazu, dass er mit seiner Arbeit noch unglücklicher war. Er hatte das Gefühl, er sei noch schlimmer dran als die Gefangenen. „Sie hatten wesentlich mehr Spaß als ich. Das Tipton-Trio spielte den Leuten, die Verhöre durchführten, ständig Streiche. Ich hatte alle Freiheiten, die sie nicht hatten, war aber Sklave der Army.“

Holdbrooks erinnert sich:„Ich musste die Gefangenen zu den Verhören bringen. Manchmal blieb ich dabei und sah zu. Manchmal mussten sie stundenlang bei 50 oder 60 Grad in schrecklichen Positionen ausharren. Einmal hat ein Gefangener in seiner Not uriniert, und dieses Monster, das ihn verhörte, schüttete Wasser über ihn und fragte, ob er jetzt reden wolle. Der Mann sagte, er habe nichts zu erzählen. Ich fragte mich damals, wozu solche Misshandlungen führen sollen. Auf jeden Fall nicht zu glaubwürdigen Aussagen.“

Im Sommer 2004 verließ Holdbrooks Guantánamo und wurde später wegen einer „generellen Persönlichkeitsstörung“ aus der Armee entlassen. Als seine Ehe in die Brüche ging, verfiel er wieder seinen alten Gewohnheiten – Alkohol, Gelegenheitssex und Musik. „Ich hatte Albträume über die Zeit in Guantánamo und habe drei Jahre hauptsächlich damit zugebracht, viel zu trinken, um nicht mehr an das Lager denken zu müssen.“

Heute ist Holbrooks ein praktizierender Moslem, scheint aber keinen inneren Frieden gefunden zu haben. Sein Gesicht verrät eine Leere, die erahnen lässt, was Kindheit und Guantánamo in ihm hinterlassen haben.

Mit seinen früheren Kollegen verbindet ihn mehr, als ihm klar ist: Deren Gehorsam entspricht der Härte, der sich mit den Geboten des Glaubens unterwirft. „Der Islam ist eine sehr disziplinierte Religion mit vielen Regeln. Das kostet Mühe und fordert ein hohes Maß an Überzeugung. Seit ich denken kann, haben mich Struktur und Ordnung unheimlich fasziniert – ich liebe das.“

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Sarfraz Manzoor, The Guardian | The Guardian

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