Solche Bilder sind im Hochsommer selten genug, Anfang März gab es sie noch nie: Der Wasserstand des Lac de Montbel in den französischen Pyrenäen ist auf weniger als ein Fünftel seines normalen Niveaus abgesunken, die Boote des örtlichen Segelvereins liegen gestrandet an seinen ausgetrockneten und braunen Ufern. In Norditalien kann man vom Ufer des Gardasees aus nun zu der Insel San Biagio wandern, die normalerweise nur mit dem Boot zu erreichen ist, weil der Wasserpegel des Gardasees 70 Zentimeter unter dem Durchschnitt liegt. In den Alpen fiel in diesem Winter 63 Prozent weniger Schnee als üblich. In Deutschland behindert der niedrige Pegel des Rheins den Schiffsverkehr, sodass die Lastkähne auf dem Weg nach Mitteleuropa nur noch mit halber Ladung fahren
Heißester Sommer seit jeher: Drastischer Wassermangel bedroht Europa
Niederschlag Von der Winterdürre zur Wasserkrise: Italien, Frankreich und Spanien steuern auf eine kritische Wasserknappheit zu. Aber auch in Deutschland sitzen wir in naher Zukunft auf dem Trockenen

Die Lage ist ernst: Lac de Montbel, in Leran, Frankreich
Foto: Matthieu Rondel/Getty Images
ren können, und in Barcelona wurde wegen der anhaltenden Trockenheit die Bewässerung öffentlicher Parks eingestellt.Placeholder infobox-1All das zeigt: Nach dem trockensten Sommer seit 500 Jahren wird ein Großteil Europas von einer Winterdürre heimgesucht, die zu ernsten Problemen für die Wasserversorgung von Haushalten, Landwirtschaft und Industrie führen könnte.Eine im Januar veröffentlichte Studie der Technischen Universität Graz in Österreich, die Satellitendaten zur Analyse der Grundwasserreserven nutzte, kam zu dem Schluss, dass sich Europa seit 2018 in einer Dürre befindet und seine Wassersituation nun „sehr prekär“ ist. Torsten Mayer-Gürr, einer der beteiligten Wissenschaftler, sagt: „Ich hätte mir nie vorstellen können, dass Wasser hier in Europa, insbesondere in Deutschland oder Österreich, ein Problem sein würde. Wir bekommen hier tatsächlich Probleme mit der Wasserversorgung. Darüber müssen wir nachdenken.“Der World Weather Attribution Service erklärte vergangenes Jahr, dass Dürren auf der Nordhalbkugel aufgrund des vom Menschen verursachten Klimawandels mindestens zwanzig Mal wahrscheinlicher geworden sind. Andrea Toreti, einer der leitenden Wissenschaftler bei der Europäischen Beobachtungsstelle für Dürre, erklärt das so: „Was ungewöhnlich ist, ist das geballte Auftreten dieser Ereignisse: Wir haben bereits vor einem Jahr eine schwere bis extreme Dürre erlebt und eine weitere im Jahr 2018. Es ist klar, dass in einigen Teilen Europas der Mangel an Niederschlägen so groß ist, dass es für die Wasserstände nicht einfach sein wird, sich vor Beginn des Sommers zu erholen.“ Tatsächlich werden die kommenden Monate entscheidend sein.32 Tage ohne NiederschlagEine Karte des Copernicus-Programms der EU zeigt, dass in Nord- und Südspanien, Norditalien, Süddeutschland und fast ganz Frankreich Alarm wegen zu geringer Niederschläge oder Bodenfeuchtigkeit gegeben wurde. Frankreich verzeichnete kürzlich 32 Tage ohne nennenswerte Niederschläge, die längste Periode seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1959. Der staatliche Wetterdienst Météo-France erklärt obendrein, dass bis Ende des Monats keine oder nur geringe Niederschläge zu erwarten sind. Der Klimatologe Simon Mitelberger resümiert: Im Februar seien in ganz Frankreich etwa 75 Prozent weniger Regen gefallen als üblich, womit sich ein langjähriger Trend fortsetze. In neun der vergangenen zwölf Monate habe die Niederschlagsmenge um bis zu 85 Prozent unter der Norm gelegen, sagte er gegenüber France Info News.Das französische Forschungszentrum CNRS hat einen Vergleich von Dürren vor 1945 und seitdem angestellt. Man könne daran ablesen, so die Wissenschaftler, dass die Dürre des vergangenen Sommers durch den menschengemachten Klimawandel verursacht wurde und die Dürre dieses Winters „dieselben Merkmale“ aufweise.In Frankreich wurden die Behörden in allen sieben großen Flusseinzugsgebieten des Landes angewiesen, mit der Durchsetzung von Wasserbeschränkungen zu beginnen; währenddessen arbeitet die Regierung an einem Krisenplan, um den Wassermangel zu bekämpfen, der nach eigenen Angaben in diesem Jahr unweigerlich zu „Wasserknappheitsproblemen“ führen wird. Der Minister für den ökologischen Wandel, Christophe Béchu, warnte, dass Frankreich in den kommenden Jahren mit bis zu 40 Prozent weniger Wasser auskommen müsse: „Die Situation ist ernster als vergangenes Jahr um diese Zeit.“ In vier südlichen Departements ist es den Menschen inzwischen untersagt, Swimmingpools zu füllen oder ihre Autos zu waschen, während die Landwirte ihren Wasserverbrauch um bis zur Hälfte reduzieren müssen.Der französische Präsident Emmanuel Macron rief jüngst in Anlehnung an seine Appelle in der durch den Einmarsch Russlands in der Ukraine ausgelösten Energiekrise zu einem „Genügsamkeitsplan“ auf, um Wasser zu sparen, und warnte, die „Zeit des Überflusses“ sei zu Ende. Zu den Plänen der Regierung gehören die Modernisierung der landwirtschaftlichen Bewässerungsysteme, auf die im Sommer bis zu 80 Prozent des Verbrauchs entfallen, die Förderung des Abwasserrecyclings und die Verringerung der Verluste durch Leckagen.Auch in Spanien ist die Situation dramatisch. Das Land leidet seit Januar 2022 unter einer Dürre. In Katalonien sind die Wasservorräte so stark gesunken, dass die Behörden Anfang März ein Gesetz erlassen haben, das unter anderem eine Reduzierung des Wasserverbrauchs in der Landwirtschaft um 40 Prozent, in der Industrie um 15 Prozent und eine Senkung des durchschnittlichen täglichen Wasserverbrauchs pro Einwohner von 250 Litern auf 230 Liter vorsieht.Rubén del Campo, ein Sprecher der staatlichen meteorologischen Agentur Aemet, sieht nicht, dass sich die Situation sich in den kommenden Monaten verbessern wird. Die am stärksten betroffenen Gebiete seien das nördliche Drittel des Landes sowie Teile Andalusiens und der Süden von Kastilien-La Mancha. Glaubt er, dass die Dürre eine Folge des Klimawandels ist? Del Campo antwortet, dass es Dürren aufgrund der geografischen Lage Spaniens zwar schon immer gegeben habe, in den vergangenen Jahrzehnten jedoch eine Veränderung zu beobachten gewesen sei: „Wir haben festgestellt, dass die Dürren im Süden Spaniens länger andauern und dass die Regenfälle zwar kürzer, aber intensiver sind“, sagt er. „Die Abstände zwischen den Regenfällen sind schlecht. Wenn die Regenfälle stark sind, sind sie weniger nützlich, um die Reservoirs aufzufüllen und die Felder zu bewässern, die sanftere Regenfälle benötigen.“Im Januar warnte die spanische Umweltministerin Teresa Ribera vor dem Klimanotstand und erklärte, das Land müsse sich auf „längere Zyklen extremer Dürre und Perioden schwerer Überschwemmungen“ einstellen. Die durchschnittlich verfügbare Wassermenge sei seit 1980 um zwölf Prozent gesunken. Prognosen gehen von einem weiteren Rückgang zwischen 14 Prozent und 40 Prozent bis 2050 aus. „Wir können uns nicht allein auf den Regen verlassen, wenn es darum geht, die Versorgung mit Trinkwasser oder Wasser für wirtschaftliche Zwecke zu gewährleisten“, sagte sie.Die sozialdemokratisch geführte spanische Regierung genehmigte im Januar einen 23-Milliarden-Euro-Plan zum Schutz und zur Verbesserung der Wasserversorgung durch Investitionen in Infrastruktur, Wasseraufbereitung und -reinigung, Modernisierung der Bewässerung und Hochwasserrisikomanagement.Kraftwerke laufen leerIn Italien hingegen erwägt man inzwischen die Einsetzung einer „Taskforce“ zur Bekämpfung der Folgen der Dürre. Ihr sollen ein „Superkommissar“ und Beamte aus mehreren Ministerien angehören. Denn der Wasserstand des Po, des längsten Flusses des Landes, der mehrere Regionen im Norden und in der Mitte des Landes mit Wasser versorgt, lag im Februar 61 Prozent unter seinem normalen Niveau. Zwar haben die jüngsten Regenfälle den Druck etwas gemildert, doch warnte der Minister für Umwelt und Energiesicherheit, Gilberto Pichetto kürzlich, dass in einigen Gebieten Wasserrationierungen erforderlich werden würden. „Das Problem der Dürre ist ernst“, sagte er der italienischen Tageszeitung Corriere della Sera. „Wir hatten nur die Hälfte der durchschnittlichen Schneemenge. Die Wasserwege, Seen und Stauseen befinden sich in einem kritischen Zustand und die Wasserkraftwerke in extremen Schwierigkeiten.“Italiens nationaler Forschungsrat CNR erklärte im Februar, dass die Niederschlagsmenge im Norden im vergangenen Jahr 40 Prozent unter dem Durchschnitt gelegen habe. Seit Anfang 2023 habe es kaum Niederschläge gegeben. Der Meteorologe Luca Mercalli glaubt, Italien könne eine Wiederholung der extremen Dürre des vergangenen Sommers nur vermeiden, wenn es im Frühjahr reichlich Regen gebe. „Das ist die letzte Hoffnung“, sagt er.In Mittel- und Nordeuropa hat sich der Niederschlagsmangel bisher vor allem in den Alpen bemerkbar gemacht, wo Wintertouristen auf schneefreie Skipisten trafen. Im österreichischen Bundesland Tirol maßen die Städte Landeck und Reutte den trockensten Winter seit Beginn der Aufzeichnungen, während in Teilen der Schweiz die Gemeinden die Bürger auch im Winter zum Wassersparen auffordern mussten, nachdem sie dies bereits im vergangenen Sommer getan hatten.Wissenschaftler warnen davor, dass die Auswirkungen der winterlichen Trockenheit in den kommenden Monaten auch und vor allem in den tiefer gelegenen Regionen Deutschlands und Österreichs zu spüren sein werden: Weniger Schnee im Winter bedeutet weniger Schmelzwasser, das die Flüsse Mitteleuropas in den wärmeren Monaten speist. „Das Schneedefizit von heute könnte zur Sommertrockenheit von morgen werden“, warnt Manuela Brunner, Professorin für Hydrologie und Klimafolgen an der ETH Zürich.Der Agrarmeteorologe Josef Eitzinger von der Universität für Bodenkultur in Wien prognostiziert gegenüber der Nachrichtenagentur dpa: „Wenn im Frühjahr das Wetter so ähnlich ist wie 2022, wird sich die Trockenheit deutlich verschärfen“, warnt er. „Damit fehlt die Frühjahrsspitze, die auch wichtig für das Auffüllen von Grundwasser wäre.“