Die monatelangen Recherchen des Guardian haben unter anderem zu Tage gebracht, dass palästinensische Zivilisten auch von unbemannten Drohnen unter Beschuss genommen wurden, die angeblich so genaue Bilder liefern, dass sich die Farbe der Kleidung erkennen lässt, die von einer ins Visier genommenen Person getragen wird. Erklärtes Ziel der Operation Gegossenes Blei im Januar waren angeblich die bewaffneten Formationen und Raketenbasen von Hamas. Warum wurden dann über 1.400 Zivilisten, darunter 300 Kinder, getötet?
Die israelischen Streitkräfte (IDF) sind nicht bereit, sich direkt zu den Vorwürfen zu äußern, veröffentlichten aber eine Erklärung, in der sie die Anschuldigungen zurückweisen und darauf beharren, internationales Recht beachtet zu haben. Zuletzt veröffentlichten nun israelische Zeitungen Aussagen von Soldaten, die an der Gaza-Offensive beteiligt waren und sowohl die Tötung palästinensischer Zivilisten bezeugen als auch diffuse Verhaltensregeln beklagen, die ihre Vorgesetzten ausgaben.
Vorgeschickt als Kugelfang
Amnesty International erklärt unterdessen, es seien Untersuchungen wegen der Hinrichtung von mindestens zwei Dutzend palästinensischer Männer durch Hamas im Gange, die offenbar beschuldigt wurden, Kollaborateure zu sein. Andere Organisationen sind hingegen überzeugt, dass die schwersten Menschenrechtsverstöße von den Israelis begangen wurden – die Gaza-Offensive sei ohnehin eine unverhältnismäßige Antwort auf die Raketenangriffe von Hamas gewesen. Zu den erschütterndsten Aussagen, die der Guardian aufgezeichnet hat, gehören die von drei Brüdern der Familie al-Attar. Die Teenager beschreiben, dass sie mit Waffen bedroht und gezwungen worden seien, sich vor israelische Panzer zu knien, um Hamas-Kämpfer vom Schießen abzuhalten. Sie geben außerdem zu Protokoll, dass sie von den Israelis in palästinensische Häuser geschickt wurden, um bei deren Räumung zu helfen: „Sie zwangen uns, als Erste hinein zu gehen, damit eventuelle Kugeln dort verschanzter Kämpfer uns, nicht sie trafen“, erzählt der 14-jährige Al’a al-Attar.
Medizinische Helfer und Krankenwagenfahrer berichten, es sei auf sie gezielt geschossen worden, während sie versuchten, Verletzte zu bergen. Allein unter den Fahrern und Sanitätern der Rettungsfahrzeuge habe es 16 Todesopfer gegeben. Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge wurde die Hälfte der 27 Krankenhäuser und 44 Ambulanzen in Gaza durch israelische Bomben beschädigt.
In einem am 24. März veröffentlichten Report erklärt eine aus Medizinern bestehende Menschenrechtsgruppe, für sie gäbe es zwischenzeitlich „Gewissheit“ darüber, dass sich Israel während des Krieges gegen geltende Menschenrechte vergangen habe. Es seien nicht nur Mediziner angegriffen worden. Allzu oft habe man auch geschossen, um die Versorgung von Verletzten zu verzögern. „Wir haben eine starke moralische Verrohung der Armee gegenüber den Palästinensern festgestellt – eine Geringschätzung des Lebens der Anderen“, meint Dani Filc, Vorsitzender von Mediziner für Menschenrechte in Israel.
Der Guardian sammelte Beweise über Raketenangriffe israelischer Drohnen gegen eindeutig erkennbare zivile Ziele. In einem Fall wurde eine sechsköpfige Familie getötet, als ein Geschoss im Hof ihres Hauses einschlug. Israel hat bislang abgestritten, Drohnen eingesetzt zu haben. Die Genfer Konvention besagt eindeutig, dass medizinisches Personal und Krankenhäuser niemals attackiert werden dürfen und verbietet menschliche Schutzschilde.
Alle sind Terroristen
Israels Armee äußert sich zu alldem wie folgt: „Die IDF ist in Übereinstimmung mit geltendem Kriegsrecht vorgegangen und tat ihr Möglichstes, um den Schaden unter Zivilisten, die in das Kampfgeschehen verwickelt wurden, so gering wie möglich zu halten. Der Einsatz von Waffen entsprach internationalem Recht.“ Weiter heißt es, man gehe den Vorwürfen nach, Hospitäler seien unter Beschuss genommen worden, müsse allerdings geltend machen: „Angesichts einer schwierigen Kriegführung in urbanen, dicht besiedelten Gebieten des Gaza-Streifens, tragen Mediziner, die dort arbeiten, selbst das Risiko.“
Der Einsatz menschlicher Schutzschilde wurde 2005 vom israelischen Verfassungsgericht nach einer Reihe von Vorkommnissen für unrechtmäßig erklärt. Die Armee behauptet derzeit, nur Hamas benutze Menschen als Schutzschilde, indem sie mit ihren Raketen aus bewohnten Gebieten heraus angegriffen habe. Ohnehin seien alle Beschuldigungen fragwürdig, weil Hamas Zeugen unter Druck setze. „Jeder, der die Realität im Gaza-Streifen kennt, wird wissen, dass diese Menschen nicht die Freiheit haben, die Wahrheit zu sagen, weil sie Angst haben müssen, von Hamas geschlagen, gefoltert oder erschossen zu werden.“
In der Tageszeitung Ha‘aretz wird ein Kommandeur der israelischen Streitkräfte mit den Worten zitiert, seine Soldaten hätten die Befehle so aufgefasst, „dass wir dort – im Zentrum von Gaza – jeden töten sollten. Dort sind alle Terroristen.“
Übersetzung: Zilla Hofman /Holger HuttKriegsverbrechen
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