Klein ist nicht ganz ungefährlich

Nanotechnologie Nano greift um sich. Aber was steckt dahinter? Betrachtungen über einen zukunftsweisenden Begriff

Die Vorsilbe Nano nimmt im öffentlichen Bewusstsein einen immer größeren Raum ein – angefangen beim Nanometer (nm) als Maßeinheit für unsere immer winziger werdende Silizium-Technologie (wie in den neusten Prozessoren, die gerade einmal noch 32 nm groß sind) bis hin zu reichlich übertriebenen Produktnamen wie dem des iPod nano, der zwar klein, aber nur unwesentlich kleiner ist als andere Modelle. Die Präsenz dieses Wortes wird in den kommenden Jahrzehnten gewaltig zunehmen, je mehr „Nano-Technologie“ im engeren Sinne auf den Markt kommt. So will zum Beispiel Nokia im Jahr 2015 ein Nanotech-Phone mit Namen "Morph" herausbringen.

Eine allgemein akzeptierte Definition des Begriffes Nanotechnologie besteht darin, dass mit ihm alle Elemente bezeichnet werden können, die kleiner sind als 100 nm. Ein Nanometer ist ein Milliardstel Meter. Ein einzelnes Atom ist im Durchmesser zwischen einem Zehntel und einem halben Nanometer groß – eine Million oder mehr von ihnen aufeinander gestapelt würde der Dicke eines Blattes Papier entsprechen. Nanotech-Maschinen werden einzelne Atome und Moleküle als mechanisch bewegliche Teile benutzen und uns damit ermöglichen, so ziemlich alles Atom für Atom auseinander zu nehmen und wieder zusammenzusetzen.

Der Traum von der Nano-Maschine

Wenn Ihnen das wie Science Fiction vorkommt, denken Sie nur daran, dass Sie Trillionen von Machbarkeitsnachweisen in ihrem Körper mit sich herumtragen, die nur mit einem Elektronenmikroskop eingefangen werden können: Jedes Mal, wenn Ihre DNA in RNA umgeschrieben (transcribed) wird, Ihre Muskelzellen Nahrung in Energie umwandeln, oder Ihr Immunsystem eine Infektion bekämpft, wird diese Arbeit von Nano-Maschinen verrichtet, die aus mechanische Arbeit verrichtenden Atomen und Molekülen bestehen.

In seinem E-Book Engines of Creation erinnerte K. Eric Drexler daran, dass alle uns umgebenden Objekte, egal, ob vom Menschen gemacht oder natürlich, aus einem Arrangement (zumeist recht gewöhnlicher) Atome und Moleküle bestehen. Wenn es uns gelingt, diese Moleküle gleichmäßiger (more regularly) anzuordnen, könnten wir Materialien hergestellen, die um ein vielfaches stabiler und leichter wären, als diejenigen, die wir heute benutzen. So würde auch ein Weltraumfahrstuhl in den Bereich des Möglichen rücken, mit dessen Hilfe man das Sonnensysteme erforschen und die Ressourcen des Universums auf einfache Art und Weise nutzbar machen könnte. Im menschlichen Körper könnten Nano-Maschinen Krankheiten oder selbst den Alterungsprozess bekämpfen und die Atome eins ums andere wieder in die Anordnung des gesunden Gewebes zurückführen.

Eine fortgeschrittene Nano-Technologie wäre in der Lage, die Schäden zu reparieren, die wir der Umwelt zugefügt haben, könnte Kohlenstoff aus der Luft abziehen, um ihn unter der Erde zu speichern oder dafür zu verwenden, die leichten und stabilen Materialien herzustellen, von denen die auf Nano basierende Technologie abhängen wird. Schließlich könnten die grundlegendsten Elemente (Kohlen-, Sauer-, Wasser-, Stickstoff, …) aus Luft und Schmutz gewonnen werden und in nutzbringende Konfigurationen gebracht werden, ohne kaum eine Stunde Arbeit hierauf verwenden zu müssen. Nano-Technologie birgt das Potential, eine Ökonomie zu begründen, in der es keine Knappheit an materiellen Stoffen mehr gibt – mit all den Implikationen, mit denen wir uns in Bezug auf die Gesellschaft, in der es keinen Mangel an Informationen mehr gibt, gegenwärtig auseinandersetzen müssen.

Bedrohung durch den Grauen Schleim

Drexler scheut sich in seinem Buch nicht vor der Thematisierung der möglicherweise negativen Aspekte einer unkontrollierten Nanotech-Entwicklung. Er und andere Wissenschaftler, wie beispielsweise die des Centre for Responsible Nanotechnology, versuchen die Öffentlichkeit für die kommenden Entwicklungen zu sensibilisieren, die unweigerlich aus der Forschung in Molekularbiologie und EDV (insbesondere künstliche Intelligenz und computer-unterstütztes Design) erwachsen werden. Es gibt viele Anwendungsmöglichkeiten für Nano-Technologie, die einen in Angst und Schrecken versetzen können: Militärische Nano-Maschinen könnten in menschliche Körper eindringen und diese systematisch zersetzen – Sie würden sich dabei ganz einfach der gleichen Mechanismen bedienen wie die medizinischen Nano-Maschinen bei der Heilung bzw. Reparatur des Gewebes. Eine unkontrollierte Nano-Maschine, die darauf programmiert wäre, sich selbst zu vermehren, könnte zu dem „Grauer-Schleim“-Szenario führen, das einst schon Prinz Charles in Panik versetzt hat.

Monopolistische Praktiken seitens des Unternehmens oder der Regierung, das oder die zuerst imstande ist, eine funktionierende Nano-Technologie herzustellen, könnten deren Nutzen einseitig nur einem bestimmten Teil der Menschheit zugute kommen lassen. Wenn der größte Fortschritt seit der industriellen Revolution zum Nutzen aller eingesetzt werden soll, müssen die in der wissenschaftlichen Forschung führenden Demokratien bei der Entwicklung der neuen Technologie eng zusammenarbeiten und Vereinbarungen aushandeln, die einen gemeinsamen Nutzen gewährleisten und eine militärische Nutzung ausschließen. Nanotech-Verträge werden eine weit größere Bedeutung für das Überleben der Menschheit und das Schicksal der Erde als Ökosystem haben als jeder Kernwaffenvertrag. Selbst „Schurkenstaaten“ müssen in diese Bemühungen mit einbezogen werden, um der Gefahr vorzubeugen, dass diese ihre eigenen Programme entwickeln.

Den anderen wichtigen Aspekt stellt die Aufklärung dar. Auch die Wähler müssen angemessen informiert sein, um die Debatten zu verstehen und Druck auf ihre politischen Führer ausüben zu können, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wir brauchen ein Forum, um die Implikationen und die Richtung des technischen Wandels in einer für die Öffentlichkeit verständlichen Art und Weise diskutieren zu können und dessen Schlussfolgerungen und Empfehlungen von der Politik ernst genommen werden. Drexler schlägt vor, ein solches Forum brauche die Glaubwürdigkeit eines Gerichtsprozesses und die wissenschaftliche Verlässlichkeit von Peer-Review-Gutachten.

Vor allem aber brauchen wir Politiker, die den Mut und die Stärke besitzen, den Verlockungen kurzsichtigen Handelns und Denkens zu widerstehen, die sich aus begrenzten Amtszeiten und Legislaturperioden ergeben und sich ihrer Verantwortung für die Zukunft bewusst sind.

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Thomas Barfield | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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