Klick und Vorurteil

Werbung Facebook & Co. verdienen an Diskriminierung – mittels gezielter Anzeigen
Ausgabe 47/2018
Von Facebook gekeschert, verwandeln unsere Daten sich zu bunten, schillernden Dollars
Von Facebook gekeschert, verwandeln unsere Daten sich zu bunten, schillernden Dollars

Foto: H. Armstrong Roberts/Retrofile/Getty Images

Wahrscheinlich kennen Sie das: Sie surfen im Netz und öffnen eine neue Webseite. Sie sehen den Inhalt, aber es dauert einen kurzen Moment, bis sich die Anzeigenfelder rundherum mit Werbung füllen. Das liegt nicht daran, dass Ihre Internetverbindung langsam ist. Sondern daran, dass Ihre persönlichen Daten, sobald Sie die Seite erreichen, in eine Art Auktion geworfen werden, bei der Werbekunden blitzschnell darauf bieten, Ihnen Werbung zeigen zu dürfen. Je mehr Sie „wert“ sind – je nachdem, wer Sie sind, wo Sie leben und was eine Unmenge anderer Schnipsel über Sie persönlich hergibt –, umso mehr werden die Werber bieten. Der Meistbietende gewinnt die Auktion. Seine Anzeige lädt. Für Sie.

Sexismus? Klage läuft

Aus der Sicht von Inserenten wirkt das – also maßgeschneiderte Werbung, genannt „targeted advertising“ – wie eine großartige Sache: Es ermöglicht, Anzeigen treffsicher der jeweiligen Zielgruppe zu zeigen, also: möglichst günstig und möglichst wirksam zu werben. Und nicht nur das. Werbende können sogar sehen, ob ihre Anzeige funktioniert – wenn sie geklickt wird.

Genau dagegen hat im September eine Gruppe von Arbeitsuchenden in den USA geklagt: Sie beschuldigen Facebook und zehn weitere Firmen der sexuellen Diskriminierung. Stein des Anstoßes waren Stellenanzeigen, die ausschließlich Männern angezeigt worden waren. Die Arbeitgeber aus dem Bau- und Transportgewerbe hatten für ihre Stellenangebote Facebooks Möglichkeiten der gezielten Werbung genutzt. Sie wollten jene Arbeitsuchenden erreichen, die sie für am geeignetsten hielten – Frauen gehörten nicht dazu.

In der Sache ist noch kein Urteil gefallen, aber der Ausgang könnte zusammen mit anderen ähnlichen Fällen große Auswirkungen auf die Zukunft des digitalen Marketings haben. Und damit auch auf die Zukunft des Internets. Denn es ist nicht das erste Mal, dass Diskriminierungsvorwürfe gegen Facebook-Werbung erhoben werden. Ende 2017 deckte eine Untersuchung von ProPublica und der New York Times auf, dass Dutzende Arbeitgeber die Plattform genutzt hatten, um Stellenanzeigen gezielt an bestimmte Altersgruppen zu schicken. Alle außerhalb dieser Altersgruppe bekamen sie nicht zu sehen.

Eine verdeckte Ermittlung der Generalstaatsanwaltschaft des Bundesstaats Washington zeigte, wie einfach es ist, mithilfe von Facebooks „Targeting-Tools“ zu verhindern, dass Anzeigen bestimmten ethnischen Gruppen gezeigt werden. Die Staatsanwaltschaft platzierte zwanzig gefälschte Anzeigen für Stellen, Wohnungen, Versicherungen und andere Dienstleistungen und schloss bewusst eine oder mehrere ethnische Minderheiten aus. Als die Staatsanwaltschaft die Ergebnisse Anfang des Jahres öffentlich machte, kündigte Facebook an, man werde diese Funktion überarbeiten, um zu verhindern, dass sich derartige Diskriminierung wiederholt. Das Unternehmen stellte fest: „Auf Facebook ist kein Platz für Diskriminierung; sie ist in unseren Richtlinien strengstens verboten.“

Gewinne aus Überwachung

Selbst wenn die Klage gegen Facebook abgewiesen wird, ist es unwahrscheinlich, dass die Vorwürfe die letzten dieser Art sein werden. Denn Diskriminierung im Wortsinn gehört zum Wesen gezielter Werbung, denn nichts anderes bedeutet „diskriminieren“ ja: aufgrund von identifizierbaren Kriterien zu selektieren.

Zielgerichtete Werbung, also „Targeting“, gibt Werbekunden die Macht, nach Kriteren wie Alter, Geschlecht, Ort oder Verhalten eine Zielauswahl zu treffen. Der Journalist David Searls sagt über Facebook: „Facebook erlaubt Werbetreibenden nicht nur, bestimmte Gruppen zu diskriminieren, es ist dafür gemacht, genau das zu tun.“

Der Vorwurf der Diskriminierung trifft aber nicht nur Facebook: Maßgeschneiderte Werbung ist heute auch das Kernstück von Googles Geschäftsmodell. Laut einer Studie der globalen Forschungsuniversität Carnegie Mellon aus dem Jahr 2015 ist die Wahrscheinlichkeit, Anzeigen für gut bezahlte Stellen angezeigt zu bekommen, für Frauen deutlich geringer als für Männer.

Wenn sich zielgerichtete Werbung ihrem Wesen nach als diskriminierend herausstellt, wäre das eine Riesengefahr für Facebook, Google und all die digitalen Werbefirmen. Denn Onlinewerbung ist die größte Finanzierungsquelle für Nachrichten, Informationen und Kommunikationsdienste im Internet. Facebook, Instagram und Whatsapp erzielen mehr als 95 Prozent ihres Erlöses aus Onlinewerbung. Doch der Einfluss digitaler Werbung geht weit über das Google-Facebook-Duopol hinaus. Google-Werbung ist auf mehr als 14 Millionen Webseiten im Internet integriert (inklusive unserer Seite freitag.de). Mehr als sechs Millionen Werbetreibende nutzen Facebook. Digitale Werbung ist die goldene Gans, die für Google und Co. die Eier legt. Sollte sich zeigen, dass sie an sich diskriminierend ist, könnte das die ganze Struktur der Digitalwirtschaft untergraben.

Das mag für die Internetriesen eine beängstigende Aussicht sein, und auch für diejenigen, die von digitaler Werbung abhängig geworden sind. Für die Gesellschaft dagegen könnte es sehr positiv sein. Denn gezielte Onlinewerbung gründet sich wesentlich auf anhaltendem und zudringlichem persönlichen „Tracking“, also Überwachung, der Nutzer. Genau damit überzeugen Facebook und Google die Anzeigenschalter ja davon, dass sie gezielt erreichen können, wen sie möchten. Wenn Sie das nächste Mal einen Nachrichtenartikel im Netz lesen, schauen Sie doch mal, ob sich ein kleines Facebook-Symbol auf der Seite befindet. Es dient nicht nur dazu, dass Sie Ihren Freunden mitteilen können, ob der Artikel Ihnen gefallen hat, sondern erlaubt es Facebook auch, Ihr Profil für Werbetreibende mit Details anzureichern.

Dabei kann man das kleine Facebook-Symbol immerhin sehen. Jeder Webseite könnte auch der Facebook-Pixel hinzugefügt werden, der für das Auge unsichtbar ist. Bereits auf mehr als zwei Millionen Webseiten dient er dazu, Nutzer zu verfolgen, die die Webseite besuchen, und ihnen gezielt Werbung anzuzeigen, wenn sie die Seite wieder verlassen. Google ist ähnlich voyeuristisch. Google Analytics ermöglicht es Firmen, Besucher auf ihren Internetseiten zu tracken, während es Google die Informationen verschafft, die es für gezielte Werbung benötigt. Besuchen Nutzer eine dieser Seiten, weiß Google, dass sie dort gewesen sind und kann dieses Wissen nutzen, um Anzeigen auf sie zuzuschneiden.

Das war nicht immer so. Als Larry Page und Sergey Brin Google gründeten, wollten sie Werbung auf Abstand halten. Werbung, sagten sie, habe andere Suchmaschinen korrumpiert, Google werde anders sein. Aber mit der Zeit änderte sich das. Um ungeduldige Investoren zu beruhigen, begann Google relevante Schlüsselworte für gezielte Werbung zu nutzen. Dann begriff die Firma, dass sie gezielte Werbung auf Seiten im ganzen Internet ausweiten konnte. Mit jedem Schritt, mit dem Google sein Marketingimperium ausdehnte, vergrößerte es auch Automatisierung und Tracking, das heißt: unsere Überwachung.

Facebook, Google und Co. werden alles versuchen, um uns davon zu überzeugen, dass ihre Art von Werbung nichts mit Diskriminierung zu tun hat. Sobald sie auf frischer Tat ertappt werden, passen sie ihre Dienste an: Sie schalten bestimmte Kategorien aus, vergrößern vielleicht die Größe der von Inserenten zu wählenden Gruppen und machen es einfacher, Anzeigen mithilfe alternativer Kriterien maßzuschneidern, etwa durch „Interessen“.

Trotzdem wird am Ende deutlich werden, dass zielgerichtete Werbung an sich Diskriminierung ermöglicht. Dann wird das System sich ändern müssen, transparenter werden, weniger diskriminierend. Damit wäre Werbung auch weniger effektiv. Möglicherweise werden sich viele Webseiten dann nach anderen Finanzierungsmodellen umschauen müssen. Zu hoffen ist, dass es bessere, nachhaltigere wären.

Martin Moore ist Direktor des Centre for the Study of Media, Communication and Power am King’s College in London

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Carola Torti
Geschrieben von

Martin Moore | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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