Konziliante Kombattanten

Afghanistan Aus dem Kabinett Karzai sickert durch, die Taliban seien bereit, ihren Widerstand gegen den Schulunterricht für Mädchen aufzugeben, so Bildungsminister Wardak

Die Taliban hätten seit dem Machtverlust, den sie durch die US-Invasion im Jahr 2001 hinnehmen mussten, einen tiefgreifenden Wandel durchlebt. „Es ist ein Wandel in der Haltung, im Verhalten – eine kulturelle Veränderung“, sagt Bildungsminister Wardak gegenüber Time-Magazine. „Was ich aus den obersten Rängen der Taliban-Führung höre, läuft darauf hinaus, dass sie der Bildung von Mädchen, nicht mehr ablehnend gegenüber stehen.“

Wardak gehört zum Kreis der engsten Vertrauten Hamid Karzais und spielt eine Schlüsselrolle bei den Bemühungen um Friedensgespräche mit den Gotteskriegern. Noch gibt es keine offizielle Äußerung der Taliban, die Wardaks Behauptung stützen würde. Alex Strick von Linschoten, einem der führenden Taliban-Experten, zufolge ist eine Erklärung in naher Zukunft äußerst unwahrscheinlich. „Sie werden kaum etwas bekannt geben, das ohnehin bei jeder Art von Verhandlung zur Sprache kommt. Schließlich ist es eines der Zugeständnisse, die sie den Ausländern geben könnten.“

Experten zufolge war die Haltung der Islamisten gegenüber der Bildung von Frauen schon immer wesentlich ambivalenter als allgemein bekannt. So erklärte Mullah Zaeefd, ein hochrangiger Taliban, der 2001 als afghanischer Botschafter in Pakistan akkreditiert war, die Bewegung sei nicht gegen die schulische Ausbildung von Mädchen. Beim Verbot von Mädchenschulen habe es sich seinerzeit lediglich um eine „befristete Maßnahme“ gehandelt. Fachleuten meinen, diese Politik entsprang weitgehend Bedenken gegenüber gemischten Klassen und der Beaufsichtigung weiblicher Schüler durch männliche Pädagogen. Die Taliban hatten erklärt, sie wollten ein neues nationales Bildungssystem aufbauen, wenn sich das Land erst einmal stabilisiert habe, was bis zu der von den USA geführten Invasion wegen der anhaltenden internen Konflikte nicht gelang. Selbst damals war bekannt, dass einige führende Mitglieder der Regierung mit dieser Politik äußerst unzufrieden waren.

Schulen aktiv unterstützt

„Als ich in Islamabad war, sprach ich mit vielen ausländischen Botschaften, um in Erfahrung zu bringen, ob sie an der Finanzierung von Mädchenschulen interessiert wären, was aber nicht der Fall war“, so Amir Mansory, Bildungsexperte vom Swedish Committee for Afghanistan, das seit Jahrzehnten Schulen im Land unterstützt. Noch in den späten neunziger Jahren seien trotz des Verbots noch 33.000 Mädchen zur Schule gegangen. „Eine Art von Geheimpolitik. Niemand sagte, Mädchen könnten zur Schule gehen, aber in den Provinzen kamen Vertreter der Taliban auf mich zu und fragten, ob das Swedish Committee helfen könne, Mädchenschulen zu unterstützen.“ Und während Aufständische in den vergangenen Jahren viele Schulen geschlossen haben, seien sie in einigen von den Taliban kontrollierten Gegenden aktiv von diesen unterstützt worden. „Ich persönlich bin der Ansicht, dass die Taliban nichts gegen Bildung im Allgemeinen haben, sondern lediglich gegen eine westliche Art der Bildung. Und wenn die Menschen vor Ort ihre Kinder unterrichten wollen, wissen die Taliban ganz genau, dass sie dagegen nichts unternehmen können“, so Amir.

Mobiltelefone und Videogeräte

Beobachter berichten, dass einige örtliche Anführer Abkommen mit Wardaks Ministerium geschlossen haben, um Schulen geöffnet zu halten. So fand Phil Priestly vom Tribal Liaison Office vergangenen Sommer in dem weitgehend von den Taliban kontrollierten Distrikt Chardara in der Provinz Kunduz viele Mädchenschulen, an denen unterrichtet wurde. Taliban sollen in den Schulen sogar Anwesenheitslisten kontrolliert und Schulschwänzer von zuhause abgeholt haben. Mädchen hingegen würden in erster Linie von den örtlichen Behörden dazu angehalten, den Unterricht zu besuchen.

Eine öffentliche Anerkennung der Schulausbildung von Mädchen würde allerdings von vielen, vor allem im Westen, als Meilenstein angesehen, die besorgt sind, ein Friedensabkommen könnte zu Lasten der Rechte von Frauen gehen. Taliban-Führer haben offenkundig bereits viele ihrer berüchtigten Verbote aus den Neunzigern überdacht. So hatten sie während ihrer Regierungszeit beispielsweise Mobiltelefone und Videogeräte als unislamisch gebrandmarkt und machen heute selbst ausgiebig von beidem Gebrauch.

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Jon Boone | The Guardian

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