Porträt Judi Dench ist ein britisches Nationalheiligtum. Damit kann sie aber nur wenig anfangen, lieber mischt sie den Jungsclub von James Bond auf und entdeckt im Alter den Zorn
In einem kleinen Zimmer eines großen Hotels in London schimpft der größte nationale Schatz Großbritanniens lautstark über gewisse Begleitumstände des modernen Lebens. Zurückhaltung ist dabei nicht ihre Sache. Mit zunehmendem Alter, sagt Judi Dench, die die Queen einst in der Rangliste der beliebtesten und angesehensten Personen Großbritanniens auf den zweiten Platz verwies, sei sie immer wütender geworden. Ihre grauen Augen strahlen dabei vor Lachen.
„Ich höre mich Dinge sagen, von denen ich weiß, dass alte Leute sie sagen. Wenn ich zum Beispiel irgendwo anrufe“, ihre Stimme senkt sich dramatisch, „und am anderen Ende ertönt eine dieser gottverdammten Tonbandnachrichten, die mich auffordert, ich solle die Eins, di
e Eins, die Zwei, die Drei oder die Vier drücken, um dann zwei weitere Tonbandnachrichten zu hören zu bekommen und DU KANNST MIT NIEMANDEM REDEN! So etwas macht mich völlig wahnsinnig.“ Was geschieht, wenn sie schließlich durchgestellt wird und der Mensch am anderen Ende erkennt sie? „Ich gebe ihnen keine Gelegenheit, irgendetwas zu sagen, sondern geige ihnen ordentlich die Meinung und lege auf.“ Sie kichert in sich hinein.Dench ist nicht ganz so, wie ich sie mir vorgestellt habe. Auf der einen Seite lese ich immer, sie sei heiligengleich, herzlich und überhaupt nicht konfrontativ. Dem ist eindeutig nicht so. Sie macht keinen Hehl aus ihrem Zorn.Auf der anderen Seite hatte ich sie mir aufgrund der Rollen, die sie zuletzt gespielt hat – Königinnen, Lady Bracknell und eine Borderlinerin – irgendwie Furcht einflößend vorgestellt. Besonders nachdem ich ihren jüngsten Film Rage gesehen hatte – ein experimentelles Projekt, in dem 14 Schauspieler fiktive Figuren aus der Modewelt spielen, indem sie vor kahlem Hintergrund Monologe abhalten. Jude Law gibt ein völlig ich-bezogenes Model, Eddie Izzard einen aalglatten Mogul. Dann erscheint Dench in der Rolle der Modekritikerin Mona Carvell auf der Leinwand, ihr Mund ein blutiger Strich, die Augen mit stahlblauen Kajal geschminkt. Carvell ist knallhart und neigt zu stark überheblichen Verlautbarungen: „Mode ist keine Kunstform – wenn sie überhaupt irgendetwas ist, dann Pornographie.“ Diese Figur ist stark, griesgrämisch und gallig.Die Frau, die sie verkörpert, ist nichts von all dem. Höchstens vielleicht noch stark. Aber weit davon entfernt, einschüchternd zu wirken. Dench ist Schauspielerin im besten Sinne: Lebhaft, verspielt, mit ihren schwer beringten Händen gestikuliert sie heftig, klopft auf Holz oder spielt eine Erinnerung nach.Ich frage sie, was sie von Rage hält – habe sie gar nicht gesehen, antwortet sie und zeigt auf das Poster: „Ich lese die Besetzungs-Liste soeben zum ersten Mal.“ Sie fand es reizvoll, mit der britischen Arthouse-Regisseurin Sally Potter zusammenzuarbeiten. „Ich mache gern Dinge, die nicht vorhersehbar sind. So musste ich etwa lernen, wie man einen Joint raucht und hab mir dabei die Hosen in Brand gesteckt. Mit Zigaretten konnte ich noch nie gut umgehen.“Rage ist die jüngste Station in einer Filmkarriere, die überraschend spät begonnen hat. Dench ist 74 und erst vor gut zehn Jahren – in einem Alter, in dem die meisten Schauspielerinnen den Verlust des Rampenlichts beklagen müssen – begab sie sich auf einen Weg, der sie zu sechs Oscar-Nominierungen führte. „Es kam alles total überraschend und zufällig“, rekapituliert sie. Der Produzent Harvey Weinstein sah den für das Fernsehen gemachten Spielfilm Mrs Brown und fand, er sollte in Kinos laufen.“ Weinsteins Firma Miramax vertrieb dann auch Iris, Chocolat und Lady Henderson präsentiert. Dench hat einmal im Spaß gesagt: „Harveys Name ist auf meinem Hintern eintätowiert.“Ihre Filmkarriere erscheint noch ungewöhnlicher, wenn man bedenkt, dass sie als junge Schauspielerin gesagt bekam, ihr Gesicht eigne sich nicht für die Leinwand. Sie macht nicht den Eindruck, als habe sie das in irgendeiner Weise gestört. „Ich war nie davon ausgegangen, dass ich überhaupt je Karriere beim Film machen könnte, aber ich liebte das Theater ohnehin immer am meisten. Wenn Sie mir vor 49 Jahren gesagt hätten, ich würde einmal Spaß am Filmedrehen haben, hätte ich Ihnen nicht geglaubt.“Denchs Liebe zur Schauspielerei geht zurück bis in ihre Kindheit, als sie in einer Schulaufführung eine Schnecke spielte. Sie wuchs mit ihrem Vater Reginald, der Allgemeinmediziner und offizieller Arzt des Theatre Royal in York war, ihrer leidenschaftlichen irischen Mutter Olave und zwei älteren Brüdern auf. Alle waren begeisterte Laienschauspieler. In den 1950ern traten Vater, Mutter und Judi, die damals ein Teenager war, bei den Yorker Mystery Plays auf. Zu diesem Zeitpunkt hatte Dench ihre Pläne aufgegeben, Ballerina zu werden. „Mein Vater sagte mir: ‚Du weißt, dass Du als Tänzerin aller Wahrscheinlichkeit nach mit 40 aufhören musst‘“ – und nach kurzem Liebäugeln mit dem Beruf der Bühnenbildnerin folgte sie ihrem Bruder Jeffrey an die Central School of Speech and Drama in London, um Schauspiel zu studieren.Prügel von den KritikernSie schloss mit erstklassigen Noten ab und erhielt bald die viel beachtete Rolle der Ophelia am Londoner Old Vic Theatre. Die Erwartungen waren hoch, die Kritiken schlecht. „Sie stolpert über ihre eigenen Ruf und fällt auf ihre hübsche Nase“, schrieb ein Kritiker. Dench fiel es nicht leicht, mit all der Aufmerksamkeit umzugehen. „Die bedeutenden Theaterkritiker Kenneth Tynan und Milton Shulman haben mich sehr positiv erwähnt, also habe ich mich an die beiden geklammert wie an einen Strohhalm. Es war sehr hart. Aber vielleicht ist es auch gut, wenn man so früh Prügel bezieht.“Seitdem scheint die Unsicherheit sie anzutreiben. Hat es schon Zeiten gegeben, in denen sie nicht gearbeitet hat?, frage ich. Sie knallt ihr Glas auf den Tisch und klopft auf Holz. Hätte ich nicht fragen sollen? Sie schüttelt mit zusammengepressten Lippen den Kopf, ihre Augen schießen unruhig hin und her. „Darauf werde ich nicht antworten!“, sagt sie schließlich. „Ich war mir immer sehr, sehr unsicher darüber, wo die nächste Anstellung herkommen sollte.“ Dabei könnte sie sich doch bestimmt auf ihren Lorbeeren ausruhen? „Nein,“ sagt sie schnell. Ist sie ein Workaholic? „Ja“, kommt es noch schneller zurück. Gerade hat sie die Verfilmung des Musicals Nine abgeschlossen. Als sie besetzt wurde, war sie „absolut überwältigt. Ich nehme nie etwas als selbstverständlich.“Als junge Schauspielerin liebte sie es in einem Repertoiretheater zu arbeiten, wo man „Fehler machen und sich auch mal daran versuchen konnte, mit 23 Jahren eine schrecklich alte Frau zu spielen. Meine Idealvorstellung wäre, Mitglied eines Ensembles zu sein und nicht jeden Abend dasselbe zu spielen.“ In Gedanken kehrt sie in die siebziger Jahre zurück, nach Stratford, wo sie Lady Macbeth, in Die Komödie der Irrungen, Viel Lärm um Nichts und King Lear spielte. „Einmal wurde ich gefragt, ob es mich nicht den ganzen Tag beschäftige, wenn ich Lady Macbeth spiele. Ich sagte: ‚Kann es gar nicht, weil ich abends Beatrice in Viel Lärm um Nichts spielen muss‘.“Ungefähr zu dieser Zeit wurde sie zum Nationalheiligtum erklärt. Ihre Kollegen überhäufen sie mit Ehrerbietung: Kate Winselt hat einmal gesagt, sie würde „mit Judi arbeiten, selbst wenn ich die Kellnerin wäre, die sich im Hintergrund herumdrückt.“ Kollege Ian McKellen ließ sich zu der Ehrerbietung hinreißen, dass eines der großen Vergnügen im England des 21. Jahrhunderts darin bestünde, Zeitgenosse Judi Denchs zu sein.“McKellen, der in Macbeth neben Dench spielte, meinte auch, die Zuschauer würden sich in sie verlieben, egal, welche Rolle sie spiele. „Schwachsinn!“, sagt die Vielgepriesene selbst dazu. „Absoluter Schwachsinn. Der redet Mist.“ Als ich sie frage, wie sie es finde, zu einem Nationalheiligtum erklärt zu werden, verzieht sie das Gesicht. „Es gefällt mir nicht besonders. Für mich klingt das alles ziemlich angestaubt, als ob ich hinter Glas in irgendeinem alten, vergessenen Schrank stehen würde.“Hat sie irgendeine Rolle gespielt, die diesen Ruf ankratzen könnte? Sie schlägt Barbara Covett vor, die unheimliche Intrigantin in Tagebuch eines Skandals. Vor einigen Monaten hat das British Board of Film Classification, das die Altersfreigaben an Filme verteilt, in seinem jährlichen Bericht geschrieben, jeder Film, in dem Dench fluche, ziehe öffentliche Beschwerden nach sich. „Das hat mich wirklich bestürzt, auf gewisse Weise machte es die zurückliegenden 52 Jahre für mich zunichte. Können die Leute nicht mal eine Minute daran denken, dass ich eine andere Person spiele, in einer anderen Welt, mit einem anderen Charakter. Müssen sie sich darüber beschweren, dass bestimmte Worte aus meinen Mund gekommen sind?“Seltsam mutet es schon an, dass ausgerechnet Dench den Ruf der süßen Dame des britischen Films weg hat. Daran, dass sie Risiken scheut, kann es nicht liegen. In den Siebzigern hatte sie einen Nacktauftritt in dem BBC-Stück Langrishe Go Down: „Immerhin, Espadrillas, eine Perücke und Ohrringe durfte ich tragen.“ Dench selbst glaubt, ihr Ruf als Heilige rühre daher, dass sie oft Rollen in TV-Komödien gehabt habe: „Ich bin dadurch häufig in den Wohnzimmern der Leute.“ Ihre hingebungsvolle Anhängerschaft hat sie sich auch durch die Bandbreite ihrer Arbeit verdient. Für die Liebhaber der hohen Kunst gibt es ihre Shakespeare-Rollen, für Musical-Fans ihre Auftritte in A Little Night Music und als Sally Bowles in der ersten Londoner Produktion des Stücks Cabaret. Wer Kostümdramen liebt, wird Gefallen an Cranford finden, Sit-Com-Freunde wiederum an A Fine Romance und As Time Goes By. Und dann natürlich die Bond-Filme. Hat es ihr gefallen, als Bonds Chefin M den Jungsverein aufzumischen? „Darauf können Sie wetten! Die brauchen mal einen Dämpfer.“ Würde sie sich als Feministin bezeichnen? „Nein, überhaupt nicht, ich weiß gar nicht, was das ist. Ich glaube daran, dass Frauen was zu sagen haben.“Ist sie sonst politisch? Sie sei „sehr, sehr wütend über die Sache mit dem Irak“, ist die Antwort. „Und über das ganze Chaos hierzulande, wo sich Politiker erstmal 16 Wochen Urlaub nehmen.“ Würde es mit einer konservativen Tory-Regierung besser? „Nein. Ich weiß auch nicht. Ich kann mich nur erinnern, auf der Straße getanzt zu haben, als Labour die Wahl gewann.“Im Schatten des ErfolgsAuch abseits von Bühne und Kameras ist Dench immer von Mimen umgeben gewesen. Ihr Bruder Jeffrey schauspielert noch immer, ihre Tochter Finty Williams ebenfalls. Im Schatten des Erfolges der großen Dench zu stehen, ist allerdings nicht immer einfach. Finty hat einmal erzählt, sie habe zeitweise gedacht, sie werde „dieser Frau nie das Wasser reichen können.“ Der britische Schauspieler Geoffrey Palmer hat über ihren ebenfalls schauspielernden Ehemann Michael Williams, mit dem sie 30 Jahren lang glücklich verheiratet war, gesagt: „Mr. Dench gewesen zu sein, das wäre für jeden Mann schwierig.“Michael starb vor acht Jahren an Krebs. Dench hofft, dass ihr Erfolg kein Problem für ihn war: „Er war so ein guter Schauspieler und hat so wunderbare Sachen gemacht. Ich glaube, der Erfolg eines einzelnen wird nur zum Problem, wenn andere Leute diesen besonders aus dem Familienzusammenhang herausstellen. Ich mag das nicht.“Die Britin hat schon immer gerne mit ihrer ganzen Familie zusammengelebt, und ihre Tochter wohnt während der Woche immer noch bei ihr. Die beiden teilen sich das Haus mit fünf Katzen, einem Hund und zwei Fischen. „Einen davon habe ich durch Mund-zu-Mund-Beatmung vor dem Ersticken gerettet.“ Vorher hieß er Rhubarb (Rhabarber). Jetzt ist sein Name Lazarus.Übersetzung der gekürzten Fassung: Zilla Hofman / Holger Hutt
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