Als ich in dem unscheinbaren Büro in San José ankomme, in dem ich Khaled Hosseini treffen will, herrscht gerade eine Ausnahme-Sonnenfinsternis. Das kalifornische Licht ist eigentümlich, silbrig und schwer.
Als Hosseini die Tür öffnet, komme ich kaum dazu, ihn auch nur kurz zu begrüßen. „Haben Sie es schon gesehen?“, unterbricht er mich. Groß und elegant steht er da, mit einem Graue-Schläfen-Charme, der an George Clooney erinnert.
„Los, kommen Sie“, drängt er, während er mir eine Spezialbrille in die Hand drückt und vor mir her hinters Haus stürmt. Er zeigt auf einen Punkt im Hinterhof. „Da drüben“, sagt er. „Das ist die beste Stelle.“
Ich setze die Sonnenbrille auf und blicke in den Himmel. Die Sonne ist ein perfekter Kreis, in den der dunkle, runde Schatten des Mondes eine präzise Sichelform schneidet. So etwas habe ich noch nie zuvor gesehen. Auf dem Weg hierher hatte ich versucht, die Sonnenfinsternis aus dem Auto zu beobachten, aber ohne Erfolg. Was Hosseini mir zeigt, ist atemberaubend. Nach einem kurzen Moment setze ich die Brille ab und blicke in seine Richtung. Er strahlt stolz, so, als sehe er die Sonne durch meine Augen.
Mit 15 Jahren floh er selber
Noch bevor ich Zeit habe, das Aufnahmegerät anzuschalten, prasseln seine Fragen auf mich ein: Wer ich bin und woher ich komme, will er genau wissen. Man hat das Gefühl, dass seine weltweiten Reisen als Sonderbotschafter des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR) ihn geprägt haben. Seit mehr als einem Jahrzehnt hat er dieses Amt inne, zuletzt in Uganda. Es scheint, als schätze er dadurch sein Leben mehr und jeden, mit dem er zu tun hat. Hosseinis Aufgabe als Sonderbotschafter war es, mit Menschen zu sprechen, die vor dem Krieg auf der Flucht sind – in Afghanistan, im Tschad, im Irak, in Jordanien oder Uganda. Und ihre Geschichten aufzuschreiben, ähnlich wie er es für seine Charaktere Amir und Hassan in seinem 2003 erschienenen Bestseller-Roman Drachenläufer getan hat. Das Buch sei ein literarisches Wunder, schrieb der Berliner Tagesspiegel. Es ermögliche „Einblicke in die Gesellschaft Afghanistans jenseits der Stereotype des Westens“. Es sei ein „komplexes und zugleich sehr persönliches Panorama der letzten dreißig Jahre afghanischer Geschichte“, lobte die Frankfurter Allgemeine Zeitung.
Von dem internationalen Bestseller Drachenläufer wurden allein in den USA sieben Millionen Exemplare verkauft. Angesichts dieses unerwartet großen Erfolges hätte sich manch anderer Autor vielleicht aus der Welt zurückgezogen. Anders Hosseini – der selbst Kriegsflüchtling ist. Als Sohn eines Diplomaten wurde er 1965 in Kabul geboren. Seine Familie erhielt 1980 politisches Asyl in den Vereinigten Staaten. Hosseini hat es sich zur Aufgabe gemacht, still und leise das Leben von Flüchtlingen in der jüngeren Zeit zu dokumentieren. Dabei treibt ihn die Hoffnung, dass sein Schreiben die Welt dazu bringt, von der Not der Flüchtlinge Notiz zunehmen.
„Alle wissen, dass Krieg ist“, erklärt er mir, „aber sobald man spürt, was dieser Krieg bedeutet, ist es für die meisten Leute unvorstellbar, nicht irgendetwas zu tun, auch wenn es nur wenig ist. Es wird viel schwieriger, die Sache nicht ernst zu nehmen oder einfach daran vorbeizugehen. Es ist ein Stachel im Bewusstsein.“
In gewisser Weise war es immer Hosseinis Anliegen als Schriftsteller, einen Stachel ins Bewusstsein der westlichen Welt zu treiben. Sein Vater arbeitete als afghanischer Diplomat in Paris, als Russland 1979 in sein Heimatland einmarschierte. Die Familie beantragte Asyl in den USA, wo Hosseini im Alter von 15 Jahren mit nur beschränkten Englischkenntnissen ankam. Er studierte Medizin und praktizierte später in Kalifornien als Arzt. Neben der Arbeit begann er Drachenläufer zu schreiben, um ein Bild von seiner Heimat zu vermitteln, wie sie gewesen war. „Ich hatte erwartet, dass das Buch Widerhall bei Leuten finden würde, die sich für die Region interessieren, vielleicht sogar speziell für Afghanistan“, erinnert sich der Autor. „Aber dass es einen so großer Erfolg wurde, das hat mich ziemlich überrascht.“
Der Vater fleht das Meer an
Das englische Original von Drachenläufer stand 110 Wochen auf der New-York-Times-Bestsellerliste. 2007 legte Hosseini mit Tausend strahlende Sonnen seinen zweiten Roman vor. Weltweit verkauften sich seine ersten beiden Bücher 38 Millionen Mal. 2013 folgte sein dritter und jüngster Roman Traumsammler. Bevor er daran zu schreiben begann, hatte er bereits seinen Posten als UN-Sonderbotschafter angetreten. Rückblickend meint er, seine Arbeit für die Vereinten Nationen habe ihn als Schriftsteller verändert: „Ich denke, mein drittes Buch ist ruhiger. Es handelt weniger von Archetypen, ist ein bisschen komplexer“, erklärt er. „Vertreibung, Flüchtlinge, diese Themen beschäftigen mich immer noch sehr (...), aber ich denke, ich bin heute anders. Nicht besorgter. Aber mich treiben größere Fragen um als zu der Zeit, als ich Drachenläufer geschrieben habe.“
Ehrenamt für Stars: UN-Sonderbotschafter
Eine Legende wurde sie durch Rollen in Klassikern wie Ein Herz und eine Krone (1953). Größtes Ansehen erlangte die Schauspielerin Audrey Hepburn (1929-1993) später für ihr soziales Engagement. 1988 wurde sie Sonderbotschafterin des Kinderhilfswerkes der Vereinten Nationen. „Ich weiß aus eigener Erfahrung, was UNICEF für Kinder bedeutet, denn ich gehöre selbst zu denen, die nach dem Zweiten Weltkrieg Essen und Medikamente bekommen haben“, sagte sie bei ihrem Antritt.
Bei Amerikas Superstar Angelina Joliesollen die Dreharbeiten zu Lara Croft: Tomb Raider (2001) im zu großen Teilen verminten Kambodscha die Motivation für ihr Engagement gewesen sein. Im Jahr 2012 wurde Jolie als Sondergesandte des UN-Flüchtlingskommissars benannt, was eine Repräsentation auch auf diplomatischen Level bedeutet. Zuvor hatte die Schauspielerin bereits über zehn Jahre als UNHCR-Sonderbotschafterin über 40 Krisenregionen besucht.
Im Jahr 2016 wurde eine ehemalige Gefangene des IS, die 23-jährige jesidische Menschenrechtsaktivistin Nadia Murad Basee Taha, zur UN-Sonderbotschafterin für die Würde der Überlebenden von Menschenhandel. In ihrer Rolle soll Murad vor allem auf das Leid der zahllosen Opfer von Menschenhandel aufmerksam machen, darunter besonders Flüchtlinge, Frauen und Mädchen. Unterstützt wird sie dabei von der britisch-libanesischen Anwältin Amal Clooney.
Die Schauspielerin Emma Watson spricht seit 2016 als Sonderbotschafterin für Frauenrechte. Ihre Antrittsrede war nicht unumstritten: „Feminismus ist qua Definition die Überzeugung, dass Männer und Frauen gleiche Rechte und Möglichkeiten haben sollten.“
Aischa al-Gaddafi, Tochter von Muammar al-Gaddafi, wurde 2009 Ehrenbotschafterin, sie sollte sich gegen die Unterdrückung von Frauen in der arabischen Welt einsetzen. Während des libyschen Bürgerkrieges 2011 wurde die Zusammenarbeit beendet. Katharina Schmitz
Hosseinis jüngstes Werk ist eine Kurzgeschichte mit dem Titel Sea Prayer – zu Deutsch: Gebet am Meer –, die er in Zusammenarbeit mit dem UNHCR und dem Guardian in ein Virtual-Reality-Kunstfilmprojekt umgesetzt hat. Der Text ist eine Art Monolog aus Sicht eines syrischen Vaters, der am Vorabend der Überfahrt nach Europa mit seinem schlafenden Sohn spricht und voller Ohnmacht nur beten kann, dass das gewaltige Meer sie sicher ankommen lässt.
Zu dieser Geschichte inspiriert hat den Schriftsteller das Foto von Aylan Kurdi, dem dreijährigen syrischen Flüchtlingsjungen, der 2015 ertrank, nachdem das Boot, auf dem er Europa erreichen sollte, gesunken war. Als sein lebloser Körper an die türkische Küste gespült wurde, erregten die schockierenden Bilder weltweit großes Aufsehen. Sie machten den Jungen zu einem tragischen Symbol für die Krise in Syrien. Seit Kurdis Tod sind mindestens 8.500 weitere Menschen auf der Flucht im Mittelmeer ertrunken.
„Als ich das Foto sah, musste ich daran denken, wie viel unsichtbare Arbeit dazu gehört, ein Kind großzuziehen“, sagt Hosseini. „All die kleinen Sorgen, die heimlichen Ängste; dafür zu sorgen, dass Kinder haben, was sie brauchen; dafür zu sorgen, dass sie richtig essen, dass sie geimpft sind, dass ihnen ihre Sachen passen, dass sie sich nicht unwohl fühlen, dass sie gut schlafen, dass sie genug Vitamine kriegen. Und dann stelle ich mir vor, wie es ist, wenn man diesen Menschen – in den man all diese Liebe gesteckt hat und all diese Leidenschaft und all diese Arbeit – daliegen sieht, seinen Körper am Strand mit dem Gesicht nach unten ...“ Und dann versiegt Hosseinis Stimme.
Für den siebenminütigen Virtual-Reality-Film hat die britische Künstlerin Liz Edwards Sea Prayer mit Hilfe der 3D-Software Tilt Brushin ein immersives Gemälde umgesetzt. Während die Geschichte erzählt wird, entsteht nach und nach durch schwungvolle Striche und farbige Kleckse und Flächen das Bild. Den Text liest der preisgekrönte britische Schauspieler Adeel Akhtar. Begleitet werden die Bilder von der eigens komponierten Musik des iranisch-amerikanischen Komponisten Sahba Aminikia, gespielt vom britischen Musiker David Coulter und dem US-amerikanischen Kronos Quartet.
Beim Lesen – und Anschauen – von Sea Prayer hat mich nicht nur die Schönheit des Textes berührt, sondern auch die Vergeblichkeit, die er repräsentiert. Der Vater fleht das Meer an, aber das Meer kann oder wird ihm nicht antworten. Ich frage Hosseini, ob er optimistisch bleibt, selbst nachdem er einen Großteil der vergangenen zehn Jahre eng mit den dunkelsten Aspekten der Menschheit zu tun hatte.
„Wenn ich nicht daran glaube oder darauf vertraue, dass unsere Arbeit etwas bewegen kann, würde das bedeuten, ein sehr zynisches Weltbild zu haben. Das ist für mich kein produktiver Ansatz, sein Leben zu führen“, erklärt er. „In einer derartigen Welt wäre das Spiel wirklich vorbei. So besteht zumindest die Hoffnung, dass jemand von diesen Geschichten angesprochen wird.“
Hosseinis Hoffnung ist – trotz ihrer Beschränkungen – beeindruckend. Es ist eine Sache, optimistisch zu sein, wenn man in einem behaglichen Zuhause in einem Land sitzt, das nicht richtig im Krieg ist. Anders sieht es aus, wenn man reist und mit Menschen zusammensitzt, die nur knapp unaussprechlicher Finsternis entronnen sind, und trotzdem daran glaubt, dass man etwas tun muss und kann, um etwas zu verändern. Egal wie wenig es ist.
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