Es war eine kühle Nacht im April, als ein russisches Kampfflugzeug eine Bombe über einer belebten Stadt abwarf, die die Straße aufriss und Trümmer über die Autobahn fliegen ließ. Getötet wurde niemand, aber die Explosion war so stark, dass sie einen 20 Meter großen Krater im Boden hinterließ und ein geparktes Auto auf das Dach eines nahegelegenen Geschäfts schleuderte.
Ein Vorfall, der in der Ukraine inzwischen alltäglich ist. Doch der Luftangriff am 21. April traf eine russische Stadt.
Reaktion der Ukraine
Belgorod, eine Stadt und eine Region, die mehr als 600 Kilometer von Moskau entfernt ist, liegt nur eine halbe Autostunde von der ukrainischen Grenze entfernt und ist damit ein wichtiger Zwischenstopp für die russischen Nachschubl
die russischen Nachschublinien, aber auch besonders verwundbar. Während in Moskau und St. Petersburg die Auswirkungen des russischen Einmarsches an steigenden Lebenshaltungskosten abzulesen sind, sind in Belgorod die Explosionen in nicht allzu großer Entfernung am Boden unter den Füßen zu spüren. In den Städten der Gegend hört man den Kriegslärm.An diesem Montag trat eine mutmaßliche russische Anti-Kreml-Miliz mit der Behauptung in die Öffentlichkeit, von der Ukraine aus zwei Dörfer im Grenzgebiet angegriffen zu haben. Der Gouverneur von Belgorod, Wjatscheslaw Gladkow, erklärte, acht Menschen seien verletzt worden, nachdem das Dorf unter ukrainischen Artilleriebeschuss geraten war. Die Ukraine hat jede Verbindung zu den mutmaßlichen russischen Partisanenkämpfern abgestritten. Eine andere kremlfeindliche Miliz erklärte, sie sei ebenfalls an dem Angriff beteiligt. So oder so ist dies nur das jüngste Beispiel für die Gewalt in der Region Belgorod.Unfälle in BelgorodVon Belgorod aus wurden Raketen abgefeuert, die Städte in der gesamten Ukraine in Schutt und Asche legten. Moskau wiederum hat Kiew seit Beginn des Krieges beschuldigt, mit Angriffen auf die Region zurückzuschlagen. So seien Öl-Lager zerstört, eine Eisenbahnbrücke zerstört, ein Munitionsdepot in die Luft gejagt und sogar Gebäude in Belgorod mit Raketen beschossen worden.Während des gesamten Krieges hat die Ukraine die Verantwortung für Angriffe auf russisches Territorium zumeist abgestritten – die Lieferung von US-amerikanischen und anderen westlichen Waffen an die Ukraine ist an die Bedingung geknüpft, dass diese nicht für Angriffe auf Ziele in Russland verwendet werden.Womöglich ist es aber die russische Armee selbst, die Bürgern von Belgorod den größten Schaden zugefügt hat – die russischen Truppen, geplagt von Missmanagement und schlechter Moral, sind für eine Reihe von Angriffen, Unfällen und Explosionen verantwortlich, die die Unruhe in der Region verstärken.Nach Russland geflohenIm Oktober wurden elf russische Soldaten getötet, als zwei Freiwillige auf einem Truppenübungsplatz in der Region Belgorod das Feuer eröffneten. Bei einer Explosion, die durch den „unvorsichtigen“ Umgang mit einer Granate in einem Munitionslager verursacht worden sei, kamen im Januar drei Menschen ums Leben, 16 wurden verletzt. Und im vergangenen Monat feuerte ein Kampfjet versehentlich auf die Stadt Belgorod selbst. Das russische Verteidigungsministerium bezeichnete den Vorfall als „versehentlichen Abschuss von Flugmunition“. In der Folge wurden Tausende von Menschen aus der Stadt evakuiert, während ein Sprengkörper in der Nähe des 20 Meter hohen Kraters entsorgt wurde, wie die Nachrichtenagentur Tass berichtet.Seit fast einem Jahrzehnt ist Belgorod mit der Gewalt konfrontiert, die Russland in der Ukraine entfesselt hat. Nachdem 2014 im Osten des Landes Kämpfe zwischen der Ukraine und russischen Separatisten ausgebrochen waren, flohen Tausende von Ukrainern über die Grenze. Im Oktober 2014 gaben die Behörden der Stadt Belgorod an, dass mehr als 60.000 vertriebene Ukrainer in die Region gekommen waren. Seit Ausbruch des Krieges im Februar 2022 sind Berichten zufolge weitere Tausende über die Grenze gekommen, insbesondere seit der Befreiung der ukrainischen Stadt Charkiw im September vergangenen Jahres. Laut New York Times fürchteten etliche Ukrainer, die unter russischer Besatzung in Charkiw gelebt hatten, als Kollaborateure behandelt zu werden.Vor 2014 reisten die Russen in Belgorod regelmäßig nach Charkiw, in die zweitgrößte Stadt der Ukraine. Beide Städte sind nur 80 Kilometer voneinander entfernt, grenzüberschreitende Freundschaften, Verwandtschaft und Beziehungen sind nicht ungewöhnlich. Der Krieg hat Familien auf beiden Seiten der Grenze voneinander abgeschnitten. Im September sprach der Guardian mit Irina, die mit ihrer Tochter in Belgorod lebt, deren Ex-Ehemann aber auf der anderen Seite der Grenze in Charkiw wohnt. „Unser Kind ist zwischen zwei Ländern aufgeteilt“, sagte sie. „Egal, was passiert.“