Zaha Hadid war auf dem Weg nach Frankfurt, für einen Vortrag, den ich moderieren sollte. Ihr Flugzeug rollte schon an, da wurde ein kleinerer Defekt festgestellt und die Maschine musste gestoppt werden. Hadid wollte nicht glauben, dass es sich nur um eine kurze Verzögerung handeln würde, und verlangte, auf einen anderen Flug umgebucht zu werden. Es war jedoch unmöglich, zum Stellplatz zurückzukehren, ihr Gepäck auszuchecken und in eine andere Maschine zu verladen. Hadid aber bestand darauf, nachdrücklich. Das Bordpersonal versuchte sie erst zu beschwichtigen, dann zu ermahnen, als eine Stewardess sie erkannte. Das war doch die Frau, die im aktuellen Bordmagazin neben den Pet Shop Boys abgebildet war, für die sie eine Drehbühne gestaltet hatte. „Sind Sie Zaha Hadid?“, fragte sie. Auf einmal wurde das Unmögliche möglich und die Architektin konnte das Flugzeug wechseln.
Es kursieren hunderte solcher Geschichten über Hadid: Sie alle handeln davon, wie sie Grenzen austestet, den eigenen Willen durchsetzt – gegen alle gängigen Vorstellungen, was möglich und opportun ist. Am Ende steht der persönliche Triumph, den sie mithilfe ihrer Berühmtheit erringt, die ihrer Persönlichkeit und ihrem Talent geschuldet ist.
Tyrannin oder Genie?
Um es vorsichtig auszudrücken: An Zaha Hadid scheiden sich die Geister. Manche halten sie für eine Tyrannin, auch einige Architekten, mit denen ich gesprochen habe. Sie finden ihre Bauwerke überheblich und erdrückend. Einer sagte: „Ich glaube nicht, dass sie sich darum schert, wie sich die Menschen in ihren Gebäuden wirklich fühlen.“ Für andere ist sie ein Genie und eine Heldin. Rem Koolhaas ist wohl der einzige, dem beide Lager zustimmen würden. Er nannte Hadid einmal einen „Planeten mit einem eigenen, einzigartigen Orbit“. Hadid fordert alle heraus – ihre Mitarbeiter, ihre Kunden, die Nutzer ihrer Gebäude und sich selbst. Der Deal lautet in etwa: Wenn du all das aushältst, werde ich etwas Fantastisches erschaffen und du könntest Teil davon sein. Je nachdem, welche Erfahrung prägender ist, urteilen dann die Leute über sie.
In den vergangenen zehn Jahren ist Zaha Hadid von der Architektin, die nie etwas gebaut, hat zur Architektin, die mit dem Bauen gar nicht mehr aufhören kann, geworden. Um die Jahrtausendwende war sie noch dafür bekannt, dass sie die Ausschreibung für den gigantischen Freizeitkomplex The Peak in Hong Kong gewonnen hatte, der nie realisiert wurde, und für ein ähnliches Martyrium, das sie in Cardiff durchlitt. Obwohl sie zweimal die Ausschreibung für den Entwurf des Opernhauses gewann, wurde die Realisierung von Politikern vor Ort vereitelt. Sie setzten alle Hebel an, damit das mittelmäßige Projekt eines anderen Büros den Zuschlag erhielt.
Heute beschäftigt Hadids Büro 400 Mitarbeiter, die 950 Projekte in 44 Ländern betreuen. Darunter gigantische Bauprojekte im chinesischen Changsha, in Bratislava und eine Luxusvilla in Moskau. Bei den Planungen des Flughafens, den Londons Bürgermeister Boris Johnson gerne in der Themsemündung bauen würde, ist sie als Beraterin tätig.
Hadids erstes Gebäude war vor genau 20 Jahren eine kühne Feuerwache auf dem Gelände des Möbelunternehmens Vitra in Weil am Rhein. Im Herbst werden zwei ihrer wichtigeren Bauprojekte fertiggestellt und eröffnet, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Das kolossale Kulturzentrum Heydar Aliyev in Baku verspricht die ultimative Verkörperung des Hadid-Universums zu werden. In London hat ihr Büro in Kensington Gardens für die Serpentine Sackler Galerie ein altes Munitionslager von 1805 erweitert und umgebaut.
Von der Größe her verhält sich die Galerie zum Kulturzentrum in Aserbaidschan zwar wie ein Wassertropfen zum Ozean. Und doch ist die Serpentine Sackler im Herzen von London für Hadid von großer Bedeutung, war die Stadt, in der sie seit 40 Jahren lebt, doch stets zögerlich, wenn es um den Bau ihrer Gebäude geht.
Mit 62 Jahren rangiert Hadid heute unangefochten in der Liga der Star-Architekten. Sie hat alle großen Preise ihrer Branche gewonnen, ist mit Brad Pitt und Barack Obama bekannt. Angeblich für 10 Millionen Pfund hat sie das Gebäude gekauft, aus dem das Londoner Design Museum auszieht, wenn es 2015 an den neuen Standort wechselt. Hier soll ihre Sammlung untergebracht werden – von ihr entworfene Möbel, Entwürfe und Modelle –, und wenn es nach ihr geht, soll dort „durch die Erforschung und Erneuerung globaler Kollaborationen in Kunst, Architektur und Design ein kollektiver Dialog stattfinden“.
Hadid wird für ihr Temperament und ihre Launen gleichermaßen gefürchtet wie bewundert. Wo andere Star-Architekten roboterhaft erscheinen, wirkt sie menschlich – witzig, offen, ohne Angst, ihre Gefühle zu zeigen. Manchmal wird sie sogar ein wenig ordinär.
Schuhe nach Venedig tragen
Es gibt viele Geschichten, die ihre Extravaganz belegen: Einmal soll sie einen Assistenten von der Architektur-Biennale in Venedig nach London in ihre Wohnung geschickt haben, um ihr die Schuhe zu holen, die sie zu einer Party tragen wollte. Andererseits saß sie in dem alten Schulgebäude, in dem sich ihr Büro befindet, jahrelang lieber mit ihren Mitarbeitern an den Tischen und gab von dort aus Anweisungen, als ein exklusives Büro zu belegen. Und sie hat Mut bewiesen. Als Frau und Araberin musste sie in einer von weißen Männern dominierten Branche viele Hürden überwinden. Sie ist stets spektakulär gekleidet. Maskuline Jacketts und jungenhafte Frisuren, mit denen manche Frauen in ihrer Branche versuchen, ihr Geschlecht über die unsichtbare Grenze zu schmuggeln, sucht man bei ihr vergebens. Sie reißt sie lieber ein.
Ihr Senior-Partner, Patrik Schumacher, mit dem sie seit 25 Jahren zusammenarbeitet, schreibt über sie, ihre Entwürfe seien „Manifeste einer neuen Art von Raum“, die nach „der Eroberung einer bis dahin unvorstellbaren Sphäre architektonischer Freiheit“ strebten.
Das sehen nicht alle so. Das Beijing Cultural Heritage Protection Centre etwa äußerte sich „erschüttert“ darüber, dass Hadids Galaxy Soho – ein Komplex von Geschäfts- und Bürogebäuden, der vergangenen Dezember in Peking eingeweiht wurde – einen Preis des Royal Institute of British Architects (RIBA) erhalten hat. Wo RIBA-Präsidentin Angela Brady das „visionäre Nachdenken über urbane Fragen“ lobte, sprach die Heritage-Gruppe von „einem typischen Beispiel für die Zerstörung der Pekinger Altstadt.“ Auch für das Baku-Projekt wurde sie kritisiert, weil sie den Auftrag eines Regimes angenommen hatte, das für Menschenrechtsverstöße berüchtigt ist und Zwangsräumungen durchführte, um das Gebäude errichten zu können. Diese Anschuldigung zumindest teilt sie mit Lord Norman Foster und Rem Koolhaas, die vergleichbare Gebäude für die Regime in Kasachstan und China entworfen haben.
In ihrer Geburtsstadt Bagdad bewarb sie sich erfolglos um den Bau des neuen irakischen Parlaments. Den Zuschlag erhielt das aufstrebende Londoner Büro Assemblage. Das Jurymitglied Lord Howarth sagte über die Entwürfe des Gewinnerbüros, sie seien „das Ergebnis rigorosen Denkens“, das einer Institution, die eine Diktatur ersetzt, besser zu Gesicht stehe „als ein selbstgefälliges und bombastisches Feuerwerk“. Hadids Entwurf wurde als „verschnörkelt“ kritisiert.
Verliert Hadid durch den Ruhm und Erfolg womöglich den Blick für die Komplexitäten und Widersprüchlichkeiten, die einst Teil ihrer Arbeit waren? Läuft sie Gefahr, nur noch an das Spektakuläre zu denken und sich nicht mehr um die schmutzige Wirklichkeit der Städte zu kümmern, für die sie sich einst interessierte? Gewinnt das Dominante an ihrem Charakter die Oberhand über das Großzügige? Das Großspurige über das Bodenständige?
Ihre Kritiker werfen Hadid vor, ihre außergewöhnlichen Formen seien nur um ihrer selbst Willen außergewöhnlich. Sie entgegnet, ihre Formen dienten dem Zweck, neue urbane Erfahrungen zu schaffen. Als Beispiel führt sie das Maxxi-Museum für zeitgenössische Kunst in Rom an. Dort hat sie eine dreidimensionale Passage geschaffen, die eine Verbindung zwischen alter Stadt und neuer Kunst schafft. Ihre Architektur will nicht weniger, als zwischen dem Innen und Außen eine neue und stärkere Beziehung zu schaffen. Es gehe ihr darum, so Schumacher, „aufkommende soziale Bedürfnisse zu reflektieren“.
Gerade bei einigen ihrer jüngeren Arbeiten ist dieses Argument allerdings schwer nachvollziehbar. Den Formen des CMA CGM-Turms in Marseille oder auch ihres Showrooms für den Badezimmereinrichter Roca in London fehlt etwas, das über den Selbstzweck hinausgeht. Die Kurven und Bögen sind allenfalls ein Update der Zukunftsvision der sechziger Jahre. Und auch die Kurven der Serpentine Sackler Galerie schmiegen sich eher plump an das alte Munitionslager an, sie wirken eher schwerfällig als fließend.
Selbst Pippo Ciorra vom Maxxi-Museum, der zu Hadids Befürwortern zählt, bezweifelt, dass sie ihrer Zeit noch voraus ist. „Ihr Stil“, sagt er, „ist die prachtvolle Verlängerung des 20. Jahrhunderts.“ Junge Architekten, so der Kurator, „arbeiten heute anders für die Zukunft“. Sie interessiere etwa die Umwelt, um die Zaha sich „einen Dreck“ schere. Auch stellt er die „industriellen Konstruktionsmethoden“ infrage, die ihr Büro heute anwendet. Die fließbandartige Errichtung von Stadtzentren und Kulturdenkmälern führt zu Projekten, die wie Parodien auf Zaha Hadids Stil wirken und schwer von den Imitaten kleinerer Firmen zu unterscheiden seien. Wo bleibt da der von ihr verkörperte Ansatz des Architekten als Künstlers?
Vielleicht ist Zaha Hadid aber auch einfach auf andere Art am Puls der Zeit: Reichtum und Macht konzentrieren sich zusehends, da sind einzigartige, opulente Trophäen gefragt, die dem Ausdruck verleihen. Bei Zaha Hadid gab es immer diesen Konflikt zwischen künstlerischem Ego und Gemeinsinn. Das machte sie interessant. Nur ist der Gemeinsinn immer schwerer zu erkennen.
Rowan Moore ist Architekturkritiker des Observer.
Zaha Hadid wurde 1950 in Bagdad als Kind wohlhabender Eltern geboren. Ihr Vater war Finanzminister des Iraks, sein Studium hatte er an der London School of Economics absolviert. Hadid ging in Bagdad, der Schweiz und London zur Schule. Ab 1972 studierte sie an der Architectural Association in London, wo unter anderem Rem Koolhaas lehrte. 1977 wurde sie Mitarbeiterin in Koolhaas’ Office for Metropolitan Architecture (OMA). Im Jahr 1980 eröffnete sie in London ihr eigenes Büro Zaha Hadid Architects. Bekannt wurde Zaha Hadid 1988 durch die Ausstellung Deconstructivist Architecture im Museum of Modern Art New York, wo ihre Entwürfe neben den Modellen von Frank Gehry, Daniel Libeskind, Coop Himmelb(l)au und Rem Koolhaas ausgestellt wurden.
Die einzige Frau unter den Stararchitekten ist unverheiratet und kinderlos. In einem Interview mit dem britischen Observer betonte sie 2008 jedoch, sie habe ein Familienleben nicht der Karriere geopfert. Hätte es sich ergeben, hätte sie Familie und Arbeit „sicher unter einen Hut gebracht“.
Zu Zaha Hadids markantesten Gebäuden in Deutschland zählt die BMW-Zentrale in Leipzig. 2004 bekam sie den Pritzker-Architektur-Preis – die wichtigste Auszeichnung der Branche. ckä
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