In Kapital, dem vorerst letzten Spielfilm des griechischen Regisseurs Costa-Gavras, sitzt in einer Szene die ganze Familie beim Essen, als Onkel und Neffe aneinandergeraten. Der 68er-Onkel wirft seinem Neffen, dem Geschäftsführer einer großen französischen Bank, vor, die Bürger Europas massenhaft in die Verschuldung zu treiben und ganze Länder zu zerstören. Daraufhin antwortet ihm der junge Banker: „Du solltest dich eigentlich freuen, schließlich erfülle ich dir deinen Kindheitstraum: Ihr Linken seid doch immer für den Internationalismus gewesen. Wir haben ihn schließlich durchgesetzt – Geld kennt keine Grenzen.“ Es deutet allerdings einiges daraufhin, als würde das internationale Kapital diese Freiheit bald verl
it bald verlieren und mit ein paar Restriktionen rechnen müssen. Wenn man jüngsten Umfrage-Ergebnissen in Spanien, Griechenland und Slowenien Glauben schenkt, dann befinden sich dort linke Parteien im Aufwind, die dem liberalisierten Kapitalmarkt Grenzen setzen wollen.In Griechenland behauptet Syriza noch immer einen Vorsprung von drei bis vier Prozentpunkten vor der liberal-konservativen Nea Dimokratia und kann aus vorgezogenen Neuwahlen am 25. Januar als stärkste Kraft hervorgehen. In Slowenien rangiert die Vereinigte Linke (Združena levica) in der Wählergunst an dritter Stelle. Wie Podemos in Spanien wurde auch diese Partei wenige Monate vor der Europawahl gegründet und kann auf den Beistand von Syriza zählen.Keinen Sparhaushalt mehrIn Spanien schließlich liegt Podemos – eine Partei, die es vor einem Jahr noch gar nicht gab – bei respektablen 25 bis 26 Prozent. Eine Umfrage der Sozialforscher von Metroscopia von Ende November sah Podemos erstmals vor der regierenden Partido Popular (PP) wie der oppositionellen Partido Socialista Obrero Español (PSOE). Dieser Pegelstand erschien aus zwei Gründen bemerkenswert. Zunächst wurde der Aufwärtstrend bestätigt, der sich schon beim Votum zum EU-Parlament Ende Mai gezeigt hatte, als Podemos acht Prozent erhielt und fünf Mandate in Brüssel beanspruchen konnte. Seitdem verzeichnen die Wahlprognosen einen fast permanenten Zuwachs.Zum anderen spiegelt das Ranking von Podemos die politischen Skandale, die Spaniens ehemals große Parteien, die Volkspartei wie die Sozialisten, zuletzt erschüttert haben. Es gab einen Vertrauensverlust bei den Wählern, der einem Erdrutsch gleicht. Noch bei den Parlamentswahlen 2011 kamen beide Gruppierungen zusammen auf 75 Prozent – ein eher mageres Ergebnis, erzielten sie doch während der neunziger Jahre in der Addition oft Werte jenseits der 80 Prozent.Nach der Europawahl hatte sich Podemos-Generalsekretär Pablo Iglesias enttäuscht geäußert: „Wir haben verloren, denn wir wollten gewinnen, und das wurde nicht geschafft.“ Das zweckpessimistische Fazit wurde offenbar im Blick auf die Parlamentswahl im November gezogen, bei der Podemos reale Chancen hat, stärkste Partei zu werden. Um so mehr wird genau verfolgt, welche Ressentiments und Vorbehalte derzeit in der EU laut werden, weil in Griechenland Ende Januar die Linksallianz von Alexis Tsipras triumphieren könnte. Wie Syriza will Podemos extrem gekürzte Sozialausgaben wieder hochfahren und mit einem Sparhaushalt brechen, der den Sanierungswünschen der EU-Kommission wie der Politik des Premiers Mariano Rajoy (PP) zu verdanken ist.Großer böser WolfWie zielstrebig Podemos agiert, zeigt die Entscheidung, bis zum Parlamentsvotum an keiner Lokal- oder Regionalwahl mehr teilzunehmen. Misserfolge sollen die Moral nicht trüben. Eine Partei, noch ohne feste Strukturen, der Niederlagen bisher fremd sind, schützt sich selbst. Dabei muss Podemos – ebenso wie Syriza – zwei Herausforderungen gerecht werden, um sich auf Dauer zu etablieren. Die erste könnte als „organisatorisch“ beschrieben werden. Auch wenn beide Parteien als Kollektive aus Protestströmungen hervorgingen –, Podemos aus der Bewegung 15. Mai wie den Indignados von Madrid, Syriza aus der Sammlung des Syntagma-Platzes in Athen – beruht ihre Popularität auf charismatischen Führungsfiguren wie Pablo Iglesias und Alexis Tsipras. Zwar galt anfangs bei beiden Bewegungen das Credo, dass man auf Anführer oder exponierte Gesichter verzichten wolle; dann aber waren es Gesichter, die beiden Parteien Identität und Wiedererkennungswert gaben. Aber noch ist die Kluft zwischen Basisdemokratie und Parteipolitik nicht überbrückt. Die Frage lautet schlicht, wie lässt sich dieses häufige Defizit bewältigen? Oder anders formuliert: Wie lassen sich radikaldemokratische Prinzipien in die repräsentative Demokratie hinüberretten?Natürlich standen Linke schon häufiger vor solchen Metamorphosen. Der Studentenführer Rudi Dutschke sprach 1967 vom „langen Marsch durch die Institutionen“, der 13 Jahre später in die Gründung einer grünen Partei in der Bundesrepublik Deutschland münden sollte. 35 Jahre später verwundert es niemanden mehr, dass Joschka Fischer als einer der Parteigründer vor Alexis Tsipras warnt, weil der – sollte er mit „seinem Populismus“ Erfolg haben – mit großer Wahrscheinlichkeit andere Länder „auf linke Abwege“ bringt, was für die EU „fatale Folgen“ hätte. Wenn der 68er-Fischer gegenüber dem griechischen Parteichef derart argumentiert, könnte der à la Costa-Gavras antworten: „Du solltest dich freuen, schließlich erfüllen wir dir einen Kindheitstraum.“Die zweite große Herausforderung besteht in der Frage des Staates. Je näher eine mögliche Regierungsverantwortung linker Parteien rückt, desto öfter hört man, sie seien plötzlich nicht mehr radikal genug. Je realer die Option, eine Regierung zu führen, desto lauter die Warnung, damit drohe unweigerlich eine „Sozialdemokratisierung“. Die Sozialdemokratie wird zum großen bösen Wolf, der verschlingt, was zementierten gesellschaftlichen Zuständen gefährlich werden kann.Doch sind sich Syriza und Podemos programmatisch im Klaren darüber, dass der Sozialstaat erst einmal Resultat eines historischen Kompromisses zwischen Arbeit und Kapital und dann sozialdemokratische Errungenschaft ist. Folglich verteidigen sie ihn – wegen der Situation in ihren Ländern – als letztes Bollwerk zum Schutz öffentlicher Daseinsvorsorge. Zu fragen wäre dennoch: Wie kann man vermeiden, dass Podemos und Syriza das gleiche Schicksal ereilt wie die deutschen Grünen? Wie können die Vorzüge des Sozialstaates erhalten bleiben, ohne dass man erneut den Fehler begeht, dadurch den Kapitalismus zu stärken? Sollte Syriza tatsächlich zur ersten linken Partei werden, die in einem Euro-Land regiert, wird sie freilich keinen Sozialstaat erhalten, sondern einen solchen erst wieder zum Leben erwecken müssen.Placeholder authorbio-1