Zunächst überwog auf der englischen Seite Optimismus. Obwohl Guardian-Autorin Marina Hyde bereits vor dem Spiel ein ungutes Gefühl hatte:
Eine der vielen Errungenschaften der modernen Technik ist die Möglichkeit, Stammtischsprüche auch denen, die normalerweise von solchen Einblicken ausgeschlossen wären, zugänglich zu machen. Stellen Sie sich nur vor, welche Peinlichkeit am Donnerstagmorgen am südafrikanischen Port Elizabeth Flughafen verhindert worden wäre, hätte nicht der Blackberry eines England-Fans diensteifrig mit einem Piepen sein Tagwerk begonnen. Der Fan sah sofort auf das Display.
„Das ist großartig“, brüllte er seinen Mitreisenden entgegen, wobei er freundlicherweise auch alle, die nicht zu seiner Reisegruppe
e, die nicht zu seiner Reisegruppe zählten, an seiner Vorfreude teilhaben ließ – und auch alle, die mit dem Unglück gestraft sind, in der Lotterie des Lebens nicht den Hauptpreis gewonnen zu haben, als Engländer geboren geworden zu seien. „Diese Weltmeisterschaft ist genau wie der Zweite Weltkrieg“, schrie er unter schallendem Gelächter. „Die Franzosen ergeben sich vorzeitig, die Amerikaner kommen zu spät und wir müssen allein mit den Bloody Germans fertigwerden.“ Tosende Beifallstürme.Seit Englands Achtelfinalgegner feststand, werden Sie so einiges über diese heilige Feindschaft gehört haben. Und doch ist diese sogenannte Rivalität ziemlich offfensichtlich eine Illusion, die nur in den Köpfen derer existiert, deren Wunschdenken an eine Geisteskrankheit grenzt – das heißt, in den Köpfen der meisten Engländer. Wer glaubt, dass unsere Mannschaft und das deutsche Team direkte Konkurrenten sind, der denkt wohl auch, dass unser TV-Sternchen Christine Bleakley in der gleichen Liga wie Oprah Winfrey spielt.Seit 1966 hat die deutsche Nationalmannschaft an 11 wichtigen Länderspiel-Endspielen teilgenommen, fünf davon haben sie gewonnen. Wir hingegen standen zweimal im Halbfinale – und ich muss wohl nicht extra darauf hinweisen, wie die ausgegangen sind. Das einzige Mal, dass wir sie bei einem Fußballturnier besiegten, war während der EM 2000 – als es um nichts mehr ging, weil England und Deutschland sowieso bereits ausgeschieden waren.27. Juni, 15 Uhr, Londoner Zeit, im Free State Stadium im südafrikanischen Bloemfontein hat England Anstoß. Scott Murray kommentiert für den Guardian: 3. Minute: Ein früher Vorstoß der Deutschen, mit Özil und Podolski auf der linken Seite. Barry kommt ihnen in die Quere. Lauter Jubel seitens der englischen Fans.11. Minute: Beide Mannschaften spielen eine Menge zielloser, langer Bälle direkt in die Arme von James und Neuer. Ich habe keine Lust, das genauer auszuführen.20. Minute: KLOSES Nummer 12!!! Deutschland 1, England 0. Guter Gott. Neuer kickt einen langen Ball direkt ins Mittelfeld. Terry scheint im Urlaub zu sein, Upson steht herum und überlegt, ob er mitgeht. Ein so einfaches Tor wurde in der Fußballgeschichte wohl selten erzielt.33. Minute: NOCH EIN TOR! Deutschland 2, England 0. Schon wieder Abwehrchaos.36. Minute: Mittlerweile entwickelt sich das Spiel zu einer Blamage für England. Klose spielt sich zum etwa 384. Mal frei.38. Minute: ENGLAND KOMMT ENDLICH INS SPIEL!!! Deutschland 2, England 1.39. Minute: 1966 NUR UMGEKEHRT!!! Lampard hämmert einen langen Schuss in Richtung Tor. Endlich macht er seinem Trikot alle Ehre und liefert ein Prachtstück, das über Neuers Kopf schlingert und von der Unterseite des Tors abprallt, bevor der Ball hinaustrudelt. Er ist meilenweit hinter der Linie – aber das Tor wird aberkannt! Lampard kann es nicht glauben.HALBZEIT: Unter Buhrufen der englischen Fans verlassen beide Mannschaften das Stadion. Rooney lässt vor seinem Abgang erwartungsgemäß beim Schiedsrichter Dampf ab. Unterdessen erklärt Kommentator Guy Mowbray auf der BBC, die lächerliche Entscheidung, Lampards Tor nicht anzuerkennen, sei noch falscher als die Entscheidung für Hursts Tor in Wembley 1966. Lieber Guy Mowbray, falsch lässt sich nicht steigern. Und überhaupt, es ist schlimm genug, so wie es steht, da muss nicht auch noch Verfolgungswahn hineininterpretiert werden.Währenddessen streiten im deutschen Fernsehen in der Halbzeit Gerd Delling und Günter Netzer darüber, ob ein Videobeweis sinnvoll sei. Delling dafür, Netzer dagegen. Netzers Argument: „Fußball ist Drama!“47. Minute: „Was zählt schon der lange Schatten von 1966, dieses englische Team spielt Fußball als hätten wir das Jahr 1066“, schreibt uns ein Leser.67. Minute: DAS KÖNNTE ES FÜR ENGLAND GEWESEN SEIN. Deutschland 3, England 1.70. Minute: DAS IST JETZT ZU EINFACH. Deutschland 4, England 1.85. Minute: Man muss die Dinge auch mal positiv sehen. Immerhin ist Rooney nicht ausgeflippt und wurde nicht vom Platz gestellt.SCHLUSSPFIFF: Deutschland 4, England 1. Es war zwar eine schändliche Entscheidung, Lampards Tor nicht zuzulassen, dann hätte einiges anders laufen können. Aber um ehrlich zu sein, zweifle ich daran. England hat grottenschlecht gespielt. Und überhaupt, letzten Endes hat England 54 Sekunden der 90 Minuten gut gespielt. Eine fürchterliche Show, eine Blamage und eine lächerliche Leistung der Abwehr.Wie der Kommentator des Guardian sehen die meisten Engländer die 1:4-Pleite. Anders als in den Jahrzehnten zuvor, schreibt die Presse nichts mehr von Blitzkrieg und deutschen Panzern. Man konzentriert sich auf die sportlichen Fakten. Die SUN: „Das englische Team wurde von einer jungen deutschen Mannschaft mit acht Spielern unter 26 Jahren deklassiert. Männer haben gegen Jungs gespielt. Und die Jungs haben gewonnen.“ Und die Klatschzeitung News of the World fühlt sich vom zweifachen deutschen Torschützen Thomas Müller „mullered“. Im Englischen bedeutet „mullered“ so viel, wie "eins über den Schädel kriegen" oder "bis zur Besinnungslosigkeit besoffen sein". Das Wort soll auf den Bomber der Nation zurückgehen, auf Gerd Müller.