Landnahme von unten

Uganda Wie Wohnungsgenossenschaften versuchen, die Hauptstadt Kampala zurückzuerobern – als lebenswerten Raum
Ausgabe 16/2017
An der Peripherie Kampalas findet sich so manches Asyl der Trostlosigkeit
An der Peripherie Kampalas findet sich so manches Asyl der Trostlosigkeit

Foto: ZUMA PRESS/imago

Vor Tagen ist ein Sturm durch Kampala gezogen. Für das niedrig gelegene Viertel Namuwongo hieß das überflutete Häuser, Kinder, die im Wasser eines über die Ufer getretenen Kanals spielen, und matschiger Boden, der das Gehen erschwert. Die 33-jährige Obstverkäuferin Nana Kabogere wurde in Namuwongo geboren und kam nie woanders unter. Ihre kleine Wohnung ist bunt und einladend, die Wände sind mit religiösen Plakaten, Fotos der Familie und Zeichnungen ihrer Kinder bedeckt. Das ist alles, was Nana Kabogere kennt – sie weiß aber auch, dass sie die Nase voll hat. „In der Regenzeit steht mir das Wasser bis zur Hüfte. Das ist der Grund dafür, dass wir hier rauswollen und unser eigenes Land besitzen möchten“, sagt sie. Doch sie hoffte vergeblich darauf, dass ihr einmal eine ertragbare Alternative angeboten würde. Die neuen Wohnungen, die in Kampala entstanden, um die Slums zu ersetzen, waren viel zu teuer für Menschen wie Kabogere.

Deshalb kam sie auf die Idee, sich mit anderen zusammenzuschließen und Land zu kaufen. 2011 gründeten Kabogere und sechs andere Frauen eine Genossenschaft, zunächst nur, um dafür Geld zu sparen. Zusätzlich zu ihren eigentlichen Jobs stellten sie Ziegel aus recyceltem Material her und verkauften davon mehr als gedacht. Heute hat ihre Wohnungsgenossenschaft 30 Mitglieder. „Viele von uns sind verheiratet, unsere Männer hielten das anfangs für einen Witz“, erzählt Amina Iddi, eine Samosa-Verkäuferin, die ebenfalls zur Genossenschaft zählt. „Alles, was wir wollten, war nur das eine, so schnell wie möglich Geld zu verdienen und es für uns zu behalten.“ Als die Frauen in der Lage waren, von ihrem Ersparten drei neue Toiletten zu errichten, und das Fernsehteam eines lokalen Senders vorbeikam, um sie zu filmen, haben sich die Dinge entscheidend verändert. „Jetzt nehmen sie uns sehr ernst“, lacht Amina.

Logistisches Wunder

Genossenschaften waren früher schon so etwas wie eine Instanz in der ugandischen Gesellschaft. Bauern kauften zusammen Land, bewirtschafteten es und teilten sich die Erträge. Doch das Regime Idi Amins (Präsident von 1971 bis 1979) betrachtete die Bewegung als Bedrohung und löste sie in den 70er Jahren nach und nach auf. Es bleibt schwierig, das zu erneuern, was einst verloren ging. Allein um sich registrieren zu lassen, benötigt eine Wohnungsgenossenschaft mindestens 30 Mitglieder. Erst dann wird ihr ein offizieller Status zuerkannt. Nur grenzt es an ein logistisches Wunder, 30 Slum-Bewohner lange genug zusammenzuhalten. Die meisten brauchen allein mindestens fünf Jahre, bis sie genug gespart haben, um ein Stück Land zu erwerben. Der informelle Charakter vieler Siedlungen kommt als Problem hinzu. Neben finanziellen Nöten sorgen Zwangsräumungen dafür, dass die Menschen häufig umziehen, weil sie das müssen.

Dennoch feiern Kooperativen ein Revival. In Uganda sind inzwischen wieder fast 16.500 registriert. Bei den meisten handelt es sich um Gruppen von Kleinsparern und Kreditnehmern. Wie die Gruppe in Namuwongo mutieren sie immer mehr zu kleinen Unternehmen, die deshalb bestehen, weil sie Land erwerben wollen. Wer in Kampala, wo chronischer Mangel an bezahlbaren Wohnungen herrscht, wenig Geld hat, für den ist dies allen Herausforderungen zum Trotz eine lukrative Option. Risiken werden nicht allein, sondern kollektiv geschultert. Auch die Regierung findet wieder Gefallen an der Idee derartiger Genossenschaften: Mittlerweile sind sie Bestandteil der nationalen Wohnungsbaupolitik, wie sie Ende 2016 beschlossen wurde. Viele hoffen nun, dass ein neues Gesetz, mit dem die Rechte von Genossenschaften geregelt werden, auch die Registratur vereinfachen wird

Das Viertel Namuwongo ist dabei ein typischer Fall. Einst bestand es fast ausschließlich aus informellen Siedlungen. Doch dann wurden Teile davon in den 90er Jahren durch ein Bauvorhaben der Regierung aufgewertet und prompt abgerissen. Vermutlich werden die häufigen Überschwemmungen dazu führen, dass noch mehr dem Erdboden gleichgemacht wird. „Damit in einigen Gebieten Grünflächen kultiviert werden konnten, mussten Anwohner weichen, die sich in den Auenlandschaften niedergelassen hatten. Es gab dazu keine Alternative“, meint Robert Kyukyu von der Kampalaer Stadtverwaltung.

Auch wenn die Überschwemmungen bedeuten, dass sich diese Gegend nicht fürs Wohnen eignet, scheint der Plan der Stadt – der formellen Hausbau anstelle der Slums vorsieht – ebenso wenig zu funktionieren. Zwar ist es in Kampala durchaus ein erkennbarer Trend, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, um die informellen Siedlungen zu ersetzen, aber in der Realität können die meisten Menschen die Miete für diese Etablissements eben nicht bezahlen. Also verkaufen sie ihre Ansprüche auf das Land und kommen anderswo informell unter. „Die neuen Häuser sind eindeutig nicht für arme Leute wie uns gedacht“, sagt Iddi, der seit 30 Jahren in Namuwongo lebt.

Auf der Straße schlafen

Neue Siedlungen werden gewöhnlich von der National Housing and Construction Company gebaut, die einst eine Regierungsbehörde war und Angestellte des öffentlichen Dienstes wie Menschen mit niedrigen Einkommen unterzubringen hatte. Mitte der 90er Jahre wurde die Behörde allerdings teilprivatisiert, die Hälfte der Anteile kaufte kein Geringerer als der damalige libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi. Heute baut im Wesentlichen ein privates Architekturbüro die Appartements, um sie an Eigentümer zu verkaufen, die sie dann an die Mittelschichten vermieten. Im Vorjahr gab die ugandische Regierung jedoch überraschend bekannt, National Housing wieder voll in staatliches Eigentum überführen zu wollen. Geschieht das tatsächlich, könnte demnächst auch für eine weniger gut betuchte Kundschaft gebaut werden.

Bislang freilich, so Dorothy Baziwe von der lokalen Nichtregierungsorganisation Shelter and Settlements Alternatives, dienten diese Projekte nicht denjenigen, denen sie dienen sollten. Nur sehr wenige Unternehmen in Uganda – oder deren internationale Geldgeber – hätten ein Interesse daran, sich des Wohnraumproblems in Kampala wirklich anzunehmen: „Wohnen wird auf der ganzen Welt weitgehend als private Verantwortung betrachtet. Hier aber gibt es Menschen, die sich das einfach nicht leisten können.“

Viele davon haben längst das Gefühl, Kampala sei nicht mehr ihre Stadt. Während glamouröse Malls, prachtvolle Hotels und imposante Bürotürme aus dem Boden schießen, werden fliegende Händler von den Straßen vertrieben und informelle Siedlungen – vor allem in kommerziell rentablen Lagen – kassiert. Zum Beispiel der Slum Kisenyi im Stadtzentrum. Die Bedingungen dort reichen von erträglich bis fürchterlich. Beliebt ist Kisenyi vor allem bei Flüchtlingen aus dem Sudan, ärmeren Einwohnern Kampalas und Menschen, die vom Land in die Stadt ziehen. „Man ist in der Nähe des Marktes und der Krankenhäuser. Außerhalb gibt es bessere Häuser – aber es ist zu teuer, jeden Tag in die Stadt zu pendeln“, erklärt die 53-jährige Bahati Shellinah, die seit 30 Jahren in Kisenyi lebt. Leider sei es in den vergangenen Jahren so regelmäßig zu Räumungen gekommen, dass sich beinahe jeder auf ein Leben nach Kisenyi vorbereite – oder es zumindest tun sollte.

Bahati Shellinah war Mitglied einer Kooperative, die Pläne hatte, Land in Kisenyi zu kaufen. Doch habe das Ganze zu lange gedauert. Schließlich zerfiel die Gruppe, als einige Mitglieder – tragischerweise, weil sie von Räumungen betroffen waren – ihre Ersparnisse dann wieder abziehen mussten. „Man kann nicht für jeden planen, jeder plant für sich selbst. Ich habe Land in meinem Dorf, das nicht sehr weit von Kampala entfernt liegt. Ich habe vor, dort eine Bananenplantage zu errichten. Es gibt auch ein kleines Haus, zwar renovierungsbedürftig, aber zumindest kann ich darin schlafen“, erzählt Shellinah. Was ist mit denen, die kein Dorf haben, in das sie zurückkehren können? „Die werden auf der Straße schlafen müssen.“

Gut 30 Kilometer von der Hauptstadt entfernt, in der Region Wakiso, leben frühere Einwohner Kampalas in einer Wohngenossenschaft. Die Gegend ist ruhig und hat den typischen Vorort-Charakter, wie die kleinen Häuser, in denen die Mitglieder einer Kooperative leben. Jedes hat zwei Schlafzimmer, einen Wohnraum, Wasser- und Stromanschluss. Die Vorsitzende Betty Nakafero erinnert sich, wie die vielen Räumungen, die sie miterleben musste, sie zu zerstören begannen. Sie sei HIV-positiv – unter den widrigen Umständen, wie sie in Kisenyi herrschten, einigermaßen bei Gesundheit zu bleiben, sei ihr schwergefallen. Im Jahr 2007 wandte sie sich deshalb an eine Selbsthilfegruppe für mit dem HI-Virus infizierte Frauen. „Wir versuchten, einen Weg zu finden, als Gruppe Geld zu verdienen. Jeden Dienstag trafen wir uns, um Körbe, Schals und ähnliche Dinge herzustellen, die wir dann verkauften.“ Nachdem die Registratur endlich geschafft war, konnten die Frauen vier Jahre später eine Kooperative gründen.

Nicht alle blieben dabei. „Sie sagen, das sei doch bloß ein Traum. ‚Ein ganzes Jahr habe ich nun schon gespart und sehe nichts‘“, resümiert Henry, der ebenfalls zu dieser Kooperative gehört, die übliche Reaktion. Dank eines Kredits von Shelter and Settlements Alternatives, den die Gruppe 2014 erhielt und nun in monatlichen Raten zurückzahlt, konnte sie schneller Land erwerben als andere. Jedes Mitglied stieg mit einer Million ugandischen Schilling (etwa 250 Euro) ein. Wenn irgendwann alles abbezahlt ist, gehen die Unterkünfte in den Besitz der Genossenschaft über. Auch wenn es in diesem Fall besonders gut lief, ist die Kooperative doch ein Beispiel dafür, dass und wie es gelingen kann. Viele der Mitglieder führen den Erfolg auf die gemeinsame Erfahrung der HIV-Erkrankung zurück. „Man muss eine Motivation teilen“, sagt Nakafero, „so findet man zueinander.“

Zurück nach Namuwongo. Maria Ajok, die zur Wohnkooperative von Nana Kabogere gehört, die das alles noch vor sich hat, flicht einer anderen Frau die Haare. „Geld aufzubringen und Leute zusammenzukriegen, braucht Zeit. Die Regierung sollte Gruppen unterstützen, die bereits sparen, damit sie schneller Land kaufen können.“ Wie schätzt sie die Chancen ihrer Gruppe ein? „Ich bin zuversichtlich. Wir sind stark und werden viel Geld verdienen. Und dann wird alles wie von selbst laufen.“

Alice McCool ist eine freie Autorin, die für Zeitungen wie Independent und Guardian aus Afrika berichtet

Übersetzung: Holger Hutt/Zilla Hofman

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Geschrieben von

Alice McCool | The Guardian

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